Ein Bergholländer in einem Japan des Umbruchs
Der 1796 geborene Würzburger Arzt Philipp Franz von Siebold hielt sich zweimal in Japan auf: 1823 bis 1830 und 1859 bis 1862, also kurz vor Beginn der Meiji-Zeit. Er war damit einer der wichtigsten Zeugen eines sich dem Westen hin öffnenden Landes und legte große Sammlungen an, von denen sich die von der ersten Reise in Leyden, die seiner zweiten im Münchner Museum Fünf Kontinente befindet. Diese wurde zusammen mit japanischen Wissenschaftlern erforscht, die über 260 Objekte aussuchten, um sie 2017/2018 in fünf Museen in Japan auszustellen. Unter dem Titel „Collecting Japan. Philipp Franz von Siebolds Vision vom Fernen Osten“ zeigt das Museum Fünf Kontinente vom 11.10.2019 bis zum 26.04.2020 nun seine kuratorische Sicht auf die Sammlungstücke.
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München greift bei der Struktur seiner Ausstellung Siebolds Kategorisierungsschema auf. Er teilte seine Sammlungen in zwei Hauptgruppen ein, in „Gegenstande der Kunst und des Gewerbefleißes“ (Siebold war der Ansicht, dass die westliche Welt stark an Handelserzeugnissen interessiert war) und „wissenschaftliche Gegenstände“. Dazu gibt es jeweils Untergruppen wie Lackarbeiten oder gedruckte Bücher und Holzschnitt-Bilder.
Im fast gleichmäßig hell erleuchteten ersten Raum wird Siebolds Kategorisierungsschema erklärt, indem auf einem großen Tisch dazu gehörende Objekte gezeigt werden. Dies hätte sehr trocken sein können, gäbe es nicht einige herausragende Objekte zu sehen. Äußerst spannend fand ich beispielsweise ein Orakelgerät, das eine Schildkröte zeigt (4), auf dessen Rücken sich eine Büchse für Orakelstäbe befindet. Es erinnerte (nicht nur) mich an Terry Pratchetts Romane über die Scheibenwelt, die von vier auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte stehenden Elefanten getragen wird.
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5 Sanduhrtrommel
In dem Raum gibt es des Weiteren Erörterungen zu Siebolds Forschungsreisen und ein echtes Schmuckstück: Ein Ehrenschwert (8), das dem Deutschen vom Shogun lemochi verliehen wurde. Sehr schön ist auch das um 1860 entstandene Modell des Landhauses (6), das Siebold in den 1820er Jahren erwerben konnte.
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7 Kinderspielzeug aus Tierhaaren
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In zweiten Raum, der mystisch-dunkel ausgeleuchtet ist, sind unter einer Stoffverkleidung wertvolle Lackarbeiten ausgestellt - eine Kunstform, in der die Japaner die absoluten Meister sind. Siebold konnte damals kaum welche kaufen, weil sie den Fürsten vorenthalten waren. Es handelt sich bei den Gegenständen also größtenteils um Geschenke. Besonders eindrucksvoll fand ich ein Picknickset (19) in Form eines Schiffes und Serviergefäße in Fisch- oder Reiherform (16, 17, 18).
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Raum 3 befasst sich mit Religion und Ritus und damit mit Siebolds Kategorisierungen Religion ( 1.F), Festbrauchtum (2.G) und Wohlbefinden (2.E). Das Highlight ist sicherlich der stehende Buddha Amida (25). Siebold konnte erst auf seiner 2. Reise buddhistische Werke kaufen. Sie fand in einer Zwischenepoche statt, kurz vor dem Beginn der Meiji-Zeit. Zum einen verlor der Buddhismus im Zuge der Säkularisierung an Bedeutung. Zum anderen wurde es Ende des 19. Jahrhunderts wieder deutlich schwerer, solche Objekte zu kaufen - wohl auch, weil der Buddhismus bei der Bevölkerung weiterhin eine hohe Relevanz besaß.
Wunderschön ist auch das Muschelspiel mit Spielmuscheln mit Darstellungen aus berühmten Werken (33).
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Die letzten Räume werden im Begleitheft als „Archiv“ geführt. Darin befinden sich unterschiedlichste Gegenstände, die Siebolds Kategorienschema illustrieren, beispielsweise ein eindrucksvoller Kimono (34), der aus restauratorischen Gründen zur Halbzeit der Ausstellung ausgetauscht werden wird.
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36 Räuchergefäß, wohl aus China
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Zu meinem Leidwesen fehlen in der Ausstellung Chado-Teekeramiken. Sie waren zu Siebolds Zeiten keine Handelsware und konnte nicht einfach erworben werden, da in Japan noch ein Feudalsystem herrschte.
Und wie hat mir die Ausstellung alles in allem gefallen? Sie ist sehr geschmackvoll inszeniert, z.B. die Beleuchtung, zeigt deutlich Siebolds ’Vision vom Fernen Osten‘ und seine Denkweise beim Sammeln, beinhaltet sehr schöne Objekte und bietet ein nachvollziehbares wissenschaftliches Konzept.
Warum bin ich aber nicht restlos begeistert? In meinem Interview mit den beiden Inhabern des Augsburger Büros für Ausstellungsgestaltung Thöner von Wolffersdorff für die Zeitschrift Restauro lautete ein Zauberwort: Storytelling. Dazu meinte Christian Thöner: „Storytelling ist das Credo, anders geht es gar nicht mehr. Es genügt nicht, Sammlungen in Vitrinen zu stecken, sondern eine Ausstellung muss funktionieren wie ein packendes Theaterstück oder wie ein gutes Drehbuch zum Film.“ Und Tobias von Wolffersdorff führte als Beispiel den Raum mit einer Seevitrine im Museum in Seehausen auf: „Der Witz an der Geschichte ist, dass in diesem Raum ein Fischerboot von unten sichtbar an der Decke hängt, so dass man sofort versteht: ‚Ich bin unter Wasser‘. Das ist die klassische Form der modernen Ausstellungsinszenierung: Mit einem einfachen Element wie dem stilisierten Bootsrumpf die Besucher mit in die Geschichte nehmen – oder als Akteur auf die Bühne.“
Genau dies fehlt mir in der Ausstellung, die etwas distanziert wirkt. Es gibt wenige (visuelle) Storytelling-Elemente, die einen in die Ausstellung hineinziehen. Und was gäbe es für spannende Geschichten visuell zu erzählen: Dass das Schwert von dem Shogun überreicht wurde, erschließt sich nur, wenn man das Begleitheft liest. Wodurch wird visualisiert, dass nur die Fürsten hochwertige Lackarbeiten besaßen? Die dunkle Beleuchtung und die Stoffverkleidung waren mir zu wenig. Warum gibt es kein Foto, das zeigt, wie der derzeitige japanische Kaiser bei einer der Ausstellungen in Japan vor der Buddha-Statue stand? Wo gibt es Hinweise auf den Rezeptionswandel des Buddhimus? Und wieso ist folgende von dem Kurator Bruno Richtsfeld kolportierte Story nirgends bebildert: Japan durfte nur mit Niederländern Handel treiben, weswegen sich Siebold als Niederländer auswies. Jedoch fiel einigen Japaners sein Akzent auf. Holländisch wurde seit langem als Verkehrssprache zwischen den holländischen Händlern und den japanischen Dolmetschern der Hafenbehörden verwendet. Außerdem hatte sich seit dem frühen 18. Jahrhundert eine Gelehrtenrichtung in Japan entwickelt, die als Rangaku, Hollandstudien, bezeichnet wurde. Diese Gelehrte erlernten Holländisch, um durch diese Sprache und mittels aus Holland auf Bestellung importierten Büchern Kenntnis über die Fortschritte in den europäischen Wissenschaften zu gewinnen und diese für die japanische Forschung nutzbar zu machen. Siebold gab sich daraufhin als Bergholländer aus. Dies wird nicht jeder geglaubt haben (Berge in den Niederlanden?), aber es genügte wohl zur Gesichtswahrung. Kurz: Die Ausstellung lohnt, ist wissenschaftlich fundiert und hat natürlich eine Story: Siebolds Kategorienschema des Sammelns. Ich hätte mir aber mehr publikumsorientierte Emotionalität gewünscht.