Der Heidelberger Hans Himmelheber war wohl der wichtigste deutsche Feldforscher und field collector, der sich mit den traditionellen Kulturen Afrikas befasste. Er versuchte vor Ort so viel wie möglich über die Entstehung der Objekte zu erfahren und legte ein Hauptaugenmerk auf die Künstler. "Negerkunst und Negerkünstler" heißt dementsprechend sein Hauptwerk aus dem Jahr 1960. Andererseits handelte er mit seinen vor Ort gemachten Erwerbungen und hatte dafür ein breites Abnehmernetz von Museen bis Galerien.
Während Himmelheber vor allem durch seine Arbeit in Westafrika bekannt ist, befasst sich die Ausstellung „Fiktion Kongo", vom 22. November 2019 bis zum 15. März 2020 im Züricher Rietberg Museum, mit seinen einjährigen Aufenthalt im Kongo, von 1938 bis 1939.
Die multimedial angelegte Ausstellung - Objekte, Gemälde, Fotografien, Videos - ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, was ein Museum heutzutage glaubt, alles beachten zu müssen, wenn es im kolonialen Kontext erworbene Objekte zeigt. Sie versucht mehrere Storys zusammenzubringen, wobei sie sich ein wenig verbiegen muss.
Der einfachste Strang sind die Objekte selber, Werke insbesondere der Kuba, Pende, Yaka, Songe und Chokwe und wie sie erworben wurden. Sie werden teilweise in Gruppen, teilweise vereinzelt präsentiert, wobei man aber sehen kann, dass Himmelheber recht spät gesammelt hat: Für des westlichen Kunstblick fehlt es bei ‚seinen‘ Objekten etwas an Meisterwerken - auch wenn beispielsweise die Masken der Yaka richtig gut und einige Songe großartig sind.
Dies scheint dem Rietberg Museum bewusst zu sein, weshalb es für die Liebhaber dieser Kunst Nicht-Himmelheber-Objekte in die Ausstellung integriert hat, beispielsweise zwei imposante mangaaka Kraftfiguren aus Zuger Sammlungen (Foto 14-16). Bei ihnen irritiert aber, dass sie das Ausstellungskonzept, das sich bei den alten Werken auf die 1930er Jahre beschränken möchte, etwas verwässern: Sie wurden deutlich früher gesammelt. Gewundert hat mich auch, dass in den Vitrinen manche Plätze leer blieben.
Eines der herausragenden von Himmelheber gekauften Objekte ist eine große Figur der Songe (Foto 47). Bei ihr ist nicht nur der Erwerb auf Fotos dokumentiert und welche Probleme es bei dem Autotransport gab (Foto 46), sondern es ist auch zu sehen, welche Metamorphosen sie mitgemacht hat. Im Erwerbskontext hatte sie wohl aus Dekorationsgründen eine Federmütze (Foto 49) an, in der Ausstellung steht sie mit einem Horn - das ursprünglich wohl genauso wenig zu ihr gehört hat.
Apropos Erwerb: Ausstellung und Katalog belegen gut, dass Himmelheber im Kongo für die Objekte bezahlt hat und dass er nicht alles kaufen konnte, was er wollte. Es also eher keinen Zwang gab. Aber natürlich hat er für manches hohe Preise, für andere, vergleichbar Objekte, niedrige Preise bezahlt - in Abhängigkeit davon, was der Verkäufer wollte und wie der Handel lief. Zu sagen, dass der günstige Kauf aber ähnlich ist wie der von Schnäppchen auf dem Flohmarkt, wenn die nicht mehr gebrauchten Schätze der Großmutter angeboten werden, scheint nicht political correct zu sein: In einem Video meint die Kuratorin Michaela Oberhofer, es würde sich daran das koloniale Machtgefüge zeigen.
Der Aspekt Objekte (spannend ist beispielsweise das CT eine Figur der Pende, Foto 28) und ihr Erwerb durch Kauf und Schenkung im kolonialen Kontext hätte alleine schon ausgereicht für eine Ausstellung und hätte noch stärker vertieft werden können. Dann wäre die Ausstellung aber von manchen Seiten als zu eurozentriert kritisiert worden - und sie hätte natürlich auch nicht in die von der zumindest in Deutschland ‚Alles geklaut‘ geprägten überhitzen Restitutionsdiskussion gepasst.
Deswegen gibt es Videos von kongolesischen Künstlern, in denen diese ihre kritische Sicht auf den kolonialen Erwerb der Objekte wiedergeben. Und es gibt zeitgenössische Kunst aus dem Kongo, wie die ursprünglich auf der Schildermalerei basierenden Gemälde eines Chérie Samba (Foto 2) oder die Raumfahrtmotive von Monsengo Shula (Foto 71), einem Schüler von Moke. Man möchte demonstrieren, dass man Afrikanern auf Augenhöhe begegnet. Diese Kunst kreist zum Teil auch um Themen wie Kolonialisierung und der Dekontextualisierung der Werke, indem sie in den Westen verfrachtet wurden.
Hier erhält der Ausstellungstitel ‚Fiktion Kongo‘ eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite hat Himmelheber durch die Objekte, der Dokumentation ihre Entstehung und seinen Fotos das Bild eines traditionellen Kongo erzählt, die Moderne und das Leben der Mehrheit z.B. in den Städten werden geradezu ausgeklammert.
Auf der anderen Seite kreieren aber auch die gezeigten zeitgenössischen Werke eine Fiktion, bei der man hinterfragen müsste, was sie mit dem Leben des größten Teils der Bevölkerung zu tun hat. Ich gebe zu, dass ich diese unterschiedlichen Elemente der Ausstellung, die Vision der Tradition und die spezielle Vision des Heute als Bruch erlebt habe.
Eine Fiktion vom Kongo stellen auch die Fotografien von Sapeurs mit ihrem modischen Lebensstil her, wobei auf alten Himmelheber-Aufnahmen zu sehen ist, dass schon früher individuelle schicke Kleidung genutzt wurde, um das Selbstbild zu kommunizieren (Foto 11).
Übrigens habe ich in der Ausstellung nur wenig gesehen, was sich plakativ und deutlich mit der heutigen Ausbeutung des Kongo befasst. Natürlich wird es im Katalog erwähnt, aber dies ist mir irgendwie zu wenig.
‚Fiktion Kongo‘ ist eine sehenswerte Ausstellung, die aber etwas überambitioniert erscheint, zu viel will und ein wenig zu sehr versucht, es allen Seiten recht zu machen und nicht anzuecken.
Zu den Fotos:
Fotogalerie Fiktion Kongo im Rietberg Museum 2019
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Zur Ausstellung gibt es einen über 300 Seiten dicken lesenswerten Katalog. Er ist auf speziellem Umweltpapier gedruckt, wodurch er erstaunlich leicht ist. Andererseits fehlt es den Fotos dadurch an Brillianz.
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Fotos: Ingo Barlovic
Vielen Dank an das Rietberg Museum, dass ich fotografieren durfte