Da ihre Bücherregale seit langem kurz davor sind zusammenzubrechen, überlegen sich Tribal Art-Sammler sehr genau, ob sich die Anschaffung eines neuen Buches lohnt. Bei ‚Korwar - Northwest Guinea ritual art according to missionary sources‘ aus dem Jahr 2019 von Raymond Corbey lautet die Antwort aus meiner Sicht: Ja!
Korwar-Figuren aus dem nordwestlichen Neuguinea, genauer von der Cenderawasih-Bucht (Geelvink Bay), repräsentieren kürzlich verstorbene Familienmitglieder. Der Lehrstuhlinhaber an der Universität Leiden berichtet in seinem 395 Seiten dicken englischsprachigen Buch mit über 300 Abbildungen davon, wie sie kulturell verwendet wurden, welche Stile es gibt und wie sie vor allem von Missionaren gesammelt wurden. Er beruft sich dafür schwerpunktmäßig auf Missionars-Quellen.
Dabei ist ‚Sammeln‘ ein Euphemismus. Corbet macht klar, mit welch psychologischem Druck die Missionare zwischen 1870 und 1930 versuchten, den ihrer Meinung nach „Barbaren“ ihre Fetische abzunehmen. Teilweise um sie für die Mission zu behalten, wesentlich öfters, um sie zu zerstören bzw. zu verbrennen. Diese Vorgehensweise stieß bereits im 19. Jahrhundert auf Kritik.
Diese Praktiken der Verkünder des Wortes Gottes führten dazu, dass nach Corbets Berechnung nur noch ungefähr 600 ‚authentische‘, d.h. kulturell verwendete Korwar-Figuren existieren, 2/3 davon in überwiegend Niederländischen Museen. Corbey zufolge sind dies nur 20% der tatsächlich in dieser Zeit hergestellten Figuren. Die Seltenheit der Objekte ist neben ihrem prägnanten Aussehen der Hauptgrund, warum sie auf dem Kunstmarkt so begehrt sind: Ästhetisch ansprechende Stücke erreichen 5-stellige Euro-Preise, manche sogar mehr. Übrigens wurden bereits im 19. Jahrhundert für den Verkauf Korware aus frisch geschnitztem zumeist leichtem Holz hergestellt.
Ein Muss wird das Buch allein schon durch seinen Hauptteil: Corbey unterteilt die Korwar in 5 Stil-Regionen, auf deren Eigenheiten er im Text und insbesondere durch viele Objektfotos eingeht. Beispielsweise sind Doreh Bay-Korware zumeist stehende Figuren, die einen Schild, eine Figur oder auch Schlangen in der Hand tragen. Schlangen spielen in der Mythologie eine große Rolle. Dagegen enthalten bzw. enthielten Wandammen Bay-Korware entweder einen Schädel, oder sie besitzen einen länglichen Kopf, dessen hinterer Teil eine Art Haarteil ist.
Etwas schwieriger ist es, die Shouten Islands von den Yapen Island-Korwaren zu unterscheiden, während Raja Ampat Korware aufgrund großer ‚Missionarserfolge‘ bei der Zerstörung sehr selten sind.
Anders ausgedrückt: Wer das Buch bekommt, der wird sich sofort daran machen, im Internet nach Korwaren zu suchen und versuchen, sie stilistisch einzuordnen. Zumindest mir ging es so.
Die sehr guten Objektfotos stammen nicht nur aus Museen, sondern auch vom Kunstmarkt und von Privatsammlungen. Dabei fand ich bei besonders coolen Figuren relativ oft als Besitzername Casanovas. Das Ehepaar Casanovas gehört zu den renommiertesten Tribal Art-Händlern überhaupt, und ich gehe davon aus, dass sie ihre Korwar-Figuren für 6-stellige Beträge verkaufen. Toll sind auch viele Objekte, die ein Niederländischer Sammler und Händler im Jahr 2010 in Den Haag entdeckte: Sie stammen der Sammlung des Lehrers Henry Blekkink, der sie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert zusammengetragen hatte. Erstanden hatte Blekkink die Objekte wohl bei Missionarsausstellungen und durch Kontakte mit Missionaren.
Auf ca. einem Drittel des Buchs befasst sich Corbey mit Objekten des Kulturraums, die keine Korware sind: Große Figuren, die an Schlangen erinnern oder Helme anhaben, Korwaramulette, die vereinzelt auf dem Kunstmarkt auftauchen und mit 4-stelligen Preisen deutlich günstiger sind, kunstvoll geschnitzte Kopfstützen oder sehr seltene Masken.
Gibt es etwas, was ich nicht gut fand? Kaum. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass deutsche Wissenschaftler und Museumsleute für solch ein Buch versuchen würden, zusätzlich die Herkunftsgesellschaften zu befragen. Andererseits lautet der Untertitel ausdrücklich, ‚according to missionary sources‘. Und es scheint dass der Korwar-Kult wirklich in den 1930ern ausgestorben ist.
Fazit
Raymond Corbey ist mit Korwar - Northwest Guinea ritual art according to missionary sources das Standardwerk über diese Kunstform und Kultur gelungen, das trotz des hohen Preises von 95 Euro eigentlich in keiner Tribal Art-Bibliothek fehlen darf: Als Einladung für eine Entdeckungsreise zu einer spannenden Kultur, Nachschlagewerk, Kunstbuch und selbst für Sammler, die sich weniger für die Korware interessieren, als Dokument von Missionarsaktivitäten in den Kolonialgebieten.
Raymond Corbey, Korwar - Northwest Guinea ritual art according to missionary sources
395 Seiten.; 322 Abbildungen, 2019, Verlag C. Zwartenkot Art Books, Leiden
Zu erwerben z.B. über die Buchhandlung Ethnographic Art Books in Leiden zu einem Preis von 95 Euro zzgl. Versandkosten, zum Link
(Ich bin in keinem Partnerprogramm mit dieser Buchhandlung, bekomme also keine Prozente am Kauf. Es ist reiner Service)
Vielen Dank an C. Zwartenkot Art Books für die Zusendung eines Belegexemplars