PORTRÄT PROFESSOR ERWIN MELCHARDT

Professor Erwin Melchardt, 2011

Professor Erwin Melchardt, 66, ist seit Herbst 2010 Experte der neuen Sparte für außereuropäische Kunst und Stammeskunst des Wiener Auktionshauses Dorotheum. Der langjährige Kunstkritiker und Journalist, jetzt im Ruhestand, ist gelernter Ethnologe und seit 40 Jahren Sammler. So lag es wohl nahe, dass ihn Herr Mag. Martin Böhm, Geschäftsführer des Dorotheums, bei einem zufälligen Treffen darauf ansprach, ob er beim Aufbau einer eigenen Stammeskunst-Sparte helfen wolle – schließlich hätten alle großen Auktionshäuser seit langem die Sparte "Tribal Art" im Programm.

Dass Prof. Melchardt zusagte, lag stark an seinem Ansinnen, Wien auf die Landkarte des Interesses für Stammeskunst zu setzen – auch wenn es skeptische Stimmen gab.

"Obwohl mir Freunde und Sammler-Kollegen eindringlich abgeraten haben ("In Wien hat Tribal Art keine Tradition, hier gibt es doch nichts!"), habe ich dennoch zugesagt."

Für die erste Auktion gelang es ihm, den Nachlass seines Freundes Dr. Rudolf Leopold zu gewinnen. "Denn ich wusste, dass Prof. Leopold seit den frühen 60er Jahren auch Stammeskunst gesammelt hat und dass nicht sein gesamter Bestand auf diesem Gebiet 1994 in die Stiftung eingefl ossen ist, die letztlich zur Gründung seines Museums geführt hat… Es ist mir gelungen, über die Witwe Dr. Elisabeth Leopold Zugang zu den verbliebenen Objekten im privaten Wohnhaus zu bekommen. Sie hatte aber überhaupt keine Unterlagen, Listen oder Rechnungen zu diesen Objekten. Das war der schwierigste Teil der Übung: Wochenlang saß ich in zwei großen Zimmern, inmitten vieler meiner eigenen Bücher, um mehr als 500 Stücke, von Nordamerika bis Asien und Australien – mit Schwerpunkt Afrika - neu zu bestimmen und zu schätzen."

Die erste Auktion fand am 3. Mai 2011 statt und wurde mit einer Verkaufsquote von mehr als 90% und einem Brutto-Erlös von ca. 665.000 Euro ein Erfolg. Die Zuschläge vieler Stücke lagen wesentlich über den sehr moderaten Ruf-Preisen. Prof. Melchardt ist es wichtig, "gute Qualität zu vernünftigen Schätz-Preisen anzubieten." Es gelang, sehr breite Käuferschichten anzusprechen: "Händler und Sammler aus Brüssel, Paris, New York, Antwerpen, Brügge u. a., aber auch österreichische Sammler aus Wien, Salzburg, Tirol usw. haben auch im höheren Preis-Segment erfolgreich mitgehalten, was ich als sehr positiv sehe." Besonders erfreulich: Die Vielzahl an "jungen" Käufern unter 50 Jahren – das Dorotheum scheint hier kein Nachwuchsproblem zu haben.

Eine Herausforderung sieht Prof. Erwin Melchardt allerdings darin, an gutes Material zu kommen - dies teilt er mit anderen Auktionshäusern. Aber er ist optimistisch, hat er doch die Möglichkeit, ganze Sammlungen zu übernehmen: Er versteigert dann die qualitätsvollen Stücke in Sonderauktionen, schwächere Stücke und die "Kopien, Repliken oder reine touristische Dekor- Stücke (die man manchmal in Konvoluten "mitnehmen" muss) in kleineren wöchentlichen Auktionen oder in Möbel- Auktionen." "Aber stets richtig und ehrlich als Kopie oder Dekor-Stück beschrieben und mit entsprechend niedrigen Rufpreisen (ca. 100 – 300 Euro)." Ehrlichkeit als Prinzip.

Daneben ist er sich aber auch nicht zu schade für Basisarbeit: "Außerdem habe ich in der Wiener Zentrale jeden 2. Montag "Schalter-Dienst" und die Menschen bringen Dinge zur Begutachtung – das ist meist Ramsch, aber es sind schon echte "Überraschungen" dabei gewesen! Derzeit bearbeite ich eine wirklich gute Sammlung alter afrikanischer Waffen, die auf diesem Weg ins Dorotheum gekommen ist." Hier spürt man sie förmlich, die Neugier eines Experten, der im Innersten immer noch ein Sammler ist.

Und: Prof. Melchardt hofft auf spannende Entdeckungen im osteuropäischen Raum (Prag, Budapest usw.). "Denn vor der Zeit der Kommunisten und der Nazis gab es dort auch recht tapfere Reisende – ich erinnere z. B. an den Ungarn Emil Torday – und ich denke, da müsste es da und dort noch exotische Familien-Erbstücke aus dem 19. Jh. Geben. Mal sehen . . ."

Auf alle Fälle scheint es in Wien, im Dorotheum, nach dieser erfolgreichen Auktion weiterzugehen mit Tribal Art. Geplant sind zwei Sonder-Auktionen pro Jahr, eine im Frühjahr und eine im Herbst. "Für diesen Herbst habe ich noch einen interessanten Bestand aus dem Leopold-Nachlass und von einigen weiteren Einbringern. Ich versuche auf jeden Fall ungefähr das Qualitätsniveau des Beginns zu halten." Ein Versprechen, dass neugierig macht!

Verfasser: Ingo Barlovic

Siehe hierzu auch http://www.about-africa.de/auktion-messe-galerie-ausstellung/258-interview-erwin-melchardt-dorotheum-wien

Aus Kunst&Kontext, Ausgabe 01/2011, Seite 41, Vereinigung der Freunde Afriknaischer Kultur e.V.

Autor

  • Ingo Barlovic

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  • Quellen-Nennung: PORTRÄT PROFESSOR ERWIN MELCHARDT; Ingo Barlovic; 2011; https://www.about-africa.de/auktion-messe-galerie-ausstellung/239-portraet-professor-erwin-melchardt
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