Interview mit Professor Erwin Melchardt

Interview mit Professor Erwin Melchardt

Tribal Art-Experte des Auktionshauses Dorotheum in Wien

Ingo Barlovic: Sehr geehrter Herr Prof. Melchardt, die erste Tribal Art Auktion im Dorotheum ist vor kurzem über die Bühne gegangen. Wie zufrieden sind Sie als Experte des Dorotheums für diese Kunst mit der ersten Auktion?

ERWIN-MELCHARDT Dorotheum Foto-by-Newald about-africa.de
Erwin Melchardt: Zur Entstehung meiner Tätigkeit hier im Wiener Dorotheum: Herr Mag. Martin Böhm, Geschäftsführer des Dorotheums, hat mich bei einem zufälligen Treffen angesprochen. Er erklärte, dass alle großen Auktionshäuser seit langem die Sparte „Tribal Art“ im Programm haben, nur Wien nicht. Immerhin ist das Wiener Dorotheum sonst eines der umsatzstärksten Häuser auf dem Kontinent. Er fragte mich, ob ich ihm beim Aufbau einer eigenen Stammeskunst-Sparte helfen könnte. Ich bin gelernter Ethnologe und seit mehr als 40 Jahren Sammler. Als langjähriger Kunstkritiker und Journalist bin ich jetzt im Ruhestand. Obwohl mir Freunde und Sammler-Kollegen eindringlich abgeraten haben („In Wien hat Tribal Art keine Tradition, hier gibt es doch nichts!“), habe ich dennoch zugesagt. Mein Anliegen dabei ist, auch Wien auf die „Landkarte“ des Interesses für Stammeskunst zu setzen.

Im Hinterkopf hatte ich dabei schon die Idee, mit dem Nachlass meines verstorbenen Freundes Dr. Rudolf Leopold zu beginnen. Denn ich wusste, dass Prof. Leopold seit den frühen 60er Jahren auch Stammeskunst gesammelt hat und dass nicht sein gesamter Bestand auf diesem Gebiet 1994 in die Stiftung eingeflossen ist, die letztlich zur Gründung seines Museums geführt hat.

Es ist mir gelungen, über die Witwe Dr. Elisabeth Leopold Zugang zu den verbliebenen Objekten im privaten Wohnhaus zu bekommen. Sie hatte aber überhaupt keine Unterlagen, Listen oder Rechnungen zu diesen Objekten. Das war der schwierigste Teil der Übung: Wochenlang saß ich in zwei großen Zimmern, inmitten vieler meiner eigenen Bücher, um mehr als 500 Stücke, von Nordamerika bis Asien und Australien – mit Schwerpunkt Afrika - neu zu bestimmen und zu schätzen.

Für die Start-Auktion traf ich eine ziemlich strenge Auswahl von ca. 150 Afrika-Objekten. Mit bewusst sehr moderat gehaltenen Schätz-Preisen.

Das hat sich gelohnt: Bei einer Summe aller Ruf-Preise von ca. 124.000 € beträgt derzeit (9. 5.) der Brutto-Erlös mit Aufgeld und einigen Nachverkäufen ca. 665.000 €. Verkaufs-Quote: mehr als 90 %.

Für die erste Auktion von Stammeskunst in Wien kann man, so denke ich, durchaus zufrieden sein.

Ingo Barlovic: Was war aus Ihrer Sicht besonders positiv, gab es Dinge, die Sie da überrascht haben?

Erwin Melchardt: Überrascht hat mich, dass viele erfahrene Händler und Sammler, trotz fehlender klangvoller Provenienz-Namen, so unvoreingenommen allein die Qualität der einzelnen Stücke zu schätzen wissen und sogar mit hohen Zuschlägen honoriert haben.

Ingo Barlovic: Und gab es wenn auch leichte Enttäuschungen? Welche?

Erwin Melchardt: Nein, auch keine leichte Enttäuschung. Denn aus den wenigen Retouren konnte ich im Nachverkauf sogar selbst zwei Metall-Objekte erwerben.

Ingo Barlovic: Ihre Taxierungen erschienen mir im Vorfeld sehr vorsichtig. Warum und wen wollten Sie damit ansprechen? Österreichische Einsteiger, deutschsprachige Sammler, die etwas preissensibler sind als die Amerikaner. Oder Weiterverkäufer/Galerien aus Brüssel oder Paris?

Erwin Melchardt: Die niedrigen Taxierungen waren natürlich als Anreiz für alle Interessenten gedacht. Schließlich war es überhaupt die erste größere Sonder-Auktion von Tribal Art in Wien.

Ingo Barlovic: Wer hat dann tatsächlich gekauft?

Erwin Melchardt: Gekauft haben Händler und Sammler aus Brüssel, Paris, New York, Antwerpen, Brügge u. a., aber auch österreichische Sammler aus Wien, Salzburg, Tirol usw. haben auch im höheren Preis-Segment erfolgreich mitgehalten, was ich als sehr positiv sehe.

Ingo Barlovic: Und wie sehen Sie in dem Zusammenhang Wien als Standort?

Erwin Melchardt: Ich hoffe, dass damit mein Ziel, Wien auch auf diesem Gebiet auf die „Landkarte“ zu setzen, zumindest gut begonnen worden ist. Andererseits bestätigt die Auktion meine Ansicht, dass es heute - im Zeitalter des Internet – ziemlich egal ist, wo etwas zur Versteigerung kommt. Wichtig ist nur, dass die Qualität der angebotenen Objekte stimmt !

Ingo Barlovic: Versteigert wurde ja die Sammlung von Professor Dr. Leopold, ein Sammler, der auf anderen Gebieten der Kunst in Österreich äußerst renommiert war. Welche Rolle hat der Leopold-Bonus für den Verlauf der Auktion gespielt?

Erwin Melchardt: Der Leopold-Bonus hat natürlich hauptsächlich bei österreichischen Sammlern das Interesse erhöht. Aber auch ausländische Händler haben sogar Stücke „zurückgeholt“, die Prof. Leopold im Lauf von mehr als 40 Jahren bei ihnen gekauft hat.

Ingo Barlovic: Das auf Tribal Art spezialisierte Auktionshaus Zemanek-Münster in Würzburg garantiert, dass alle Stücke in Ihren Auktionen (außer den Colons) von ethnischen Volksgruppen für die Verwendung innerhalb der Ethnie gefertigt wurden. Welche Garantien gibt mir das Dorotheum und wie gehen Sie mit dem Thema Replikate oder Fakes um?

Erwin Melchardt: In Sonder-Auktionen (projektiert sind 2x pro Jahr) garantiere ich die Echtheit, so wie Sie es als Beispiel bei Zemanek angeführt haben (sofern im Katalog nicht anders beschrieben). Kopien, Repliken oder reine touristische Dekor-Stücke (die man manchmal in Konvoluten „mitnehmen“ muss) kommen bei mir in kleinen, wöchentlichen Auktionen oder in Möbel-Auktionen zur Versteigerung. Aber stets richtig und ehrlich als Kopie oder Dekor-Stück beschrieben und mit entsprechend niedrigen Rufpreisen (ca. 100 – 300 €).

Ingo Barlovic: Bei den Auktionshäusern, die sich mit Tribal Art befassen, gibt es ja unterschiedliche Strategien: Sotheby's ist auf Rekordjagd und spricht Sammler an, für die ein Meisterwerk aus Afrika schön zu ihrer Kunst der Moderne korrespondiert. Tribal Art als Gesellschaftsevent. Und: Tribal Art als knallharte Investition. Bei Zemanek treffen sich dagegen auch die Tribal Art Maniacs, weil man sich auf diese Kunst spezialisiert hat und es dort häufig günstigere Angebote gibt. Und Neumeister aus München versucht derzeit, wieder an alte glorreiche Zeiten anzuknüpfen. Wie möchte sich das Dorotheum da positionieren? Und wen sehen Sie als Konkurrenz?

Erwin Melchardt: Sotheby`s und Christie`s sind für mich außerhalb jeder Konkurrenz. Wir beginnen ja erst und ich sehe mich überhaupt nicht in einem „Konkurrenzkampf“. Ich will in den entsprechenden größeren Sonder-Auktionen einfach gute Qualität zu vernünftigen Schätz-Preisen anbieten.

ERWIN-MELCHARDT Dorotheum Foto-by-Newald about-africa.de 2

Ingo Barlovic: Mindestens so schwierig, Stücke zu verkaufen, ist es, qualitätsvolle Stücke zu bekommen. So gibt es zwar eine alt gewordene Sammlergeneration, die sich von Ihren Sammlungen trennen möchte – gerne als Ganzes-, aber diese sind bzgl, der Qualität äußerst heterogen. Wie kommen Sie an Stücke für die nächsten Auktionen?

Erwin Melchardt: An gutes Material zu kommen ist schwierig. Händler bieten Objekte an, die in ihren Galerien bereits „abgeschaut“ sind und im Depot liegen.

Wenn ganze Sammlungen oder Nachlässe angeboten werden, so habe ich – wie oben erwähnt – die Möglichkeit die „Spreu“ vom „Weizen“ zu trennen und schwächere Stücke in Kleinauktionen wegzubringen. Die guten Dinge spare ich für Sonder-Auktionen. Außerdem habe ich in der Wiener Zentrale jeden 2. Montag „Schalter-Dienst“ und die Menschen bringen Dinge zur Begutachtung – das ist meist Ramsch, aber es sind schon echte „Überraschungen“ dabei gewesen! Derzeit bearbeite ich eine wirklich gute Sammlung alter afrikanischer Waffen, die auf diesem Weg ins Dorotheum gekommen ist.

Darüber hinaus habe ich Pläne, den osteuropäischen Raum (Prag, Budapest usw.) genauer zu durchforsten. Denn vor der Zeit der Kommunisten und der Nazis gab es dort auch recht tapfere Reisende –ich erinnere z. B. an den Ungarn Emil Torday – und ich denke, da müsste es da und dort noch exotische Familien-Erbstücke aus dem 19. Jh. Geben. Mal sehen . . .

Ingo Barlovic: Und wie geht es weiter mit Tribal Art im Dorotheum? Was ist geplant, auf was können wir uns freuen?

Erwin Melchardt: Geplant sind 2 Sonder-Auktionen pro Jahr, eine im Frühjahr und eine im Herbst. Für diesen Herbst habe ich noch einen interessanten Bestand aus dem Leopold-Nachlass und von einigen weiteren Einbringern. Ich versuche auf jeden Fall ungefähr das Qualitätsniveau des Beginns zu halten.

Ingo Barlovic: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Melchardt!

Siehe hierzu auch http://www.about-africa.de/auktion-messe-galerie-ausstellung/239-portraet-professor-erwin-melchardt

Autor

  • Ingo Barlovic

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  • Quellen-Nennung: Interview mit Professor Erwin Melchardt; Ingo Barlovic; 2011; https://www.about-africa.de/auktion-messe-galerie-ausstellung/258-interview-erwin-melchardt-dorotheum-wien
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