(Zustandsbericht am 19. März – der 4. von 10 Messetagen)
Für die meisten Sammler von Tribal Art dürfte die TEFAF (The European Fine Art Fair) in Maastricht ein unbeschriebenes Blatt sein. Interessant ist diese Messe jedoch trotzdem für denjenigen, der
- absolut hochkarätige Objekte der Stammeskunst bei einer kleinen Anzahl von Ausstellern sehen möchte
- exemplarisch die Wertekriterien vom ebenfalls handwerklich bestimmten Antiquitätenbereich mit denen anderer Kulturen vergleichen möchte.
Allgemeines
Nachdem Antiquitäten in den letzten 20 Jahren häufiger „geschwächelt“ haben, sind diese wieder sehr gefragt. Die TEFAF wurde heuer 25 Jahre alt und verstand es, sich immer wieder neu zu erfinden. Grundsätzlich ist die Teilnahme nur etablierten, alterwürdigen Galerien vorbehalten. Seit fünf Jahren wird jedoch einigen Newcomern der Kunstszene die Gelegenheit gegeben, ihre Fähigkeiten im „Showcase“ zu demonstrieren: eine Galerie mit Tribal Art war dieses Jahr hierfür nicht ausgewählt worden. Die Präsentation der Objekte und das Messeambiente insgesamt empfand ich als sehr ansprechend – nicht umsonst gilt die TEFAF als eine der schönsten Messen weltweit. Dies zeigte sich nicht zuletzt an der guten Stimmung der Besucher. Auch wenn der Umsatz im chinesischen Kunstmarkt mittlerweile an 1. Stelle weltweit steht, freuten sich die dortigen Galeristen („in good, old Europe“) über respektable Geschäfte.
Drei Galeristen boten ausschließlich Tribal Art an – einer zumindest mit hohem Anteil
1. Entwistle (Hauptniederlassung in Paris – Dependance in London)
Lance und Roberta Entwistle arbeiten seit 1968 in diesem Feld und haben in der ganzen Welt Ausstellungen organisiert. Ihre Objekte sind für ihren Seltenheitswert und die ausgezeichnete, ästhetische Qualität bekannt. Entsprechend erlesen ist Ihre Kundschaft – unter anderem sowohl zahlreiche der führenden ethnologischen Museen dieser Welt als auch eine der prestigeträchtigsten Privatsammlungen in Europa und der USA. Auf der Parcours des mondes zeigten sie regelmäßig eine der schönsten Ausstellungen. Die Preise bewegten sich auch bei der TEFAF schnell im 6-stelligen Bereich: eine Fang-Statue und ein Kota-Reliquiar gab es aktuell für jeweils 450.000 € - eine große Dogon-Statue dürfte noch teurer gewesen sein. Ein wunderschöner und sehr alter Maori-Anhänger (Hei Tiki) ist mir schon auf dem Parcours des mondes 2011 aufgefallen. Alle anderen ausgestellten Objekte – die Mehrzahl afrikanischen Ursprungs – waren ebenfalls hervorragend und sind in deutschen Galerien / Auktionen in dieser Qualität entweder gar nicht oder nur sehr selten zu sehen. Nach Aussage des Kunsthändlers hatte ein massiver Anstieg der Einkaufspreise Ende 2011 vor allem in der Top-Klasse zu einem Preissprung auch für die Endkunden geführt. Der Kontakt kann mit gepflegtem Understatement beschrieben werden und war immer freundlich (letzteres bei allen Ständen).
2. Bernard de Grunne Fine Tribal Arts (Niederlassung in Brüssel)
Bernard de Grunne war 1998 – 1992 Direktor bei Sotheby´s New York und London, häufig Kurator für Tribal Art und publizierte mehrfach. Hier beeindruckten mich eine große Kuba-Statue und ein großer Bembe-Kopf, einige Herrschaftsinsignien des Chokwe-Kulturkreises (alle verkauft) und der Mangbetu. Eine hochklassige Kabeja-Sammlung (Janusfiguren von Mann und Frau) umfaßte 25 Objekte der Hemba. Hier stach wiederum eine koloniale Figur mit Schwitzpatina heraus. Die Sammlung kann aktuell noch in 3D auf der TEFAF-Homepage angeschaut werden. Das im Katalog abgebildete Referenzobjekt - eine perlenbesetzte Gedächtnisstatue der Bali - habe ich auf dem Stand nicht mehr vorgefunden.
3. Galerie Meyer - Oceanic Art (Niederlassung in Paris)
Anthony JP Meyer als Kopf der Galerie ist anerkannter Spezialist in der ozeanischen Kunst und hat ein Standardwerk zur ozeanischen Kunst herausgegeben. Man konnte einige seiner Objekte auch in bekannten, deutschen Auktionshäusern bewundern. Die ästhetisch sehr anspruchsvollen Herrschaftsinsignien fanden auch hier großes Interesse und sind gut verkauft worden. Top-Stück war ein Tanz-Zauberstab aus Papua-Neuguinea.
4. Polak Works of Art (Niederlassung in Amsterdam)
Jaap Polak gilt als einer der wenigen Generalisten. Eine außergewöhnliche Elefantenmaske der Izzi / Igbo hat mich in ihren Bann geschlagen. Alter, Patina, Ausdruck und Provenienz waren sehr überzeugend. Topstück (im Katalog) war ein Rednerstuhl der Sepik (122 cm).
Außergewöhnliche Tribal Art Objekte gab es vereinzelt auch bei Galerien, die in anderen Kunstgattungen spezialisiert sind: so z. B. ein extrem minimalistischer und sehr fein gestalteter Blasebalg der Kusu. Bei einem pfahlförmigen Objekt des kubistisch-expressionistischen Künstlers Armand Bouten (1925/1935) hatte offensichtlich die Stammeskunst als Vorbild gedient.
Mein Besuch auf der TEFAF galt nicht nur der Tribal Art, sondern auch den Antiquitäten und alten Gemälden (ihrer Kernkompetenz). Ich habe ein Faible für alte Möbel und wollte mir die Alleinstellungsmerkmale der Top-Stücke anschauen (zu neudeutsch: Produkt-Benchmarking betreiben). Bekanntermaßen gilt für die afrikanische Kunst: Top-Preise werden nur erzielt bei hervorragender Ästhetik, gutem Erhaltungszustand, perfekter handwerklicher Umsetzung, guter Provenienz und selbstverständlich kultisch-/religiöser Nutzung im Ursprungsland. Die TEFAF-Richtlinien vermerken auch, daß das Objekt zum Zeitpunkt des Sammelns schon ein „ausreichendes Alter“ haben müsse, um auf der Messe akzeptiert zu werden. Grundsätzlich das Gleiche gilt auch für den Bereich der Antiquitäten und „alten Kunst“ – und bei der TEFAF im Besonderen. Die nachträgliche Bearbeitung und Verbesserung, die Ergänzung von Teilen OHNE deutliche Kennzeichnung und vieles andere mehr (siehe „Vetting Guidelines for Exhibitors and Visitors“ im Messeband S. 36 - 43) gelten zu Recht als „Todsünde“. Umso mehr war ich jedoch überrascht und auch enttäuscht, daß bei einigen Stücken die alte Grundsubstanz maßgeblich überarbeitet worden war. Insbesondere Messing-Applikationen bei manchen Möbeln waren häufig nicht mehr original – das heißt sie waren komplett durch Versatzstücke ersetzt worden. Erkennbar war dies daran, daß diese Applikationen absolut neu aussahen und oft eine neue Vergoldung erfahren hatten (Metalloberflächen zeigen über die Jahrhunderte auch ihren historischen Werdegang). Das Wesentliche für mich ist jedoch: das plumpe und kaum inspirierte Erscheinungsbild entspricht nicht annähernd der höchstdifferenzierten, wagemutigen Gestaltung von Möbelbeschlägen, wie ich dies aus Fachzeitschriften / -büchern und Museen kenne. Im Originalzustand konkurrieren feinste Intarsienarbeiten im Holzbereich mit ebensolchen Metallarbeiten um den Nimbus des Schöneren. Ein Fachmann hat mir meine Beobachtungen mehr als bestätigt: ein Großteil des Metalls sei während der Jahrhunderte eingesammelt und v.a. für Kriegszwecke mißbraucht worden.
Ein gutes Beispiel hierfür war eine wunderschöne Kommode. Meisterliche Intarsien-, Einlege- und Färbearbeiten kontrastierten mit eher groben Messingapplikationen. Die Vergoldung ließ den krassen Qualitätsabfall und Stilbruch dem Laien nicht so deutlich werden. Auf meine Frage nach der Ursache dieses Qualitätsunterschieds, erhielt ich die Antwort, daß in dieser südfranzösischen Region die Metallverarbeitung vor 280 Jahren leider nicht dasselbe Niveau gehabt habe. In diesem Falle hätte ich eine ehrliche(re) Antwort erwartet angesichts der Tatsache, daß das Objekt für 800.000 Euro angeboten worden ist (und laut Messenachschau trotzdem irgendwie verkauft worden ist). Ich bitte darum, dieses Beispiel NICHT in irgendeine „nationale Schublade“ zu subsumieren. Ähnliche Ungereimtheiten hatte ich auf anderen Möbelstücken und vereinzelt bei der Leinwandoberfläche alter Gemälde festgestellt. Das Detektiv-Spielen machte mir durchaus Spaß.
Bekannt ist, daß im Markt für Stammeskunst nicht immer Alles ganz wahrhaftig zugeht (weil viel Geld korrumpierbar macht). Die Erfahrungen aus der TEFAF – und aus ein paar Museumsbesuchen in diesem Frühjahr – zeigten mir erneut, daß die Verhältnisse im tradierten Kunstmarkt definitiv nicht besser sind. Es lohnt sich also immer genau den aktuellen Zustand eines Kunstobjektes zu hinterfragen und eine möglichst wissenschaftliche Plausibilitätsprüfung durchzuführen (soweit man als mehr oder weniger Laie dazu in der Lage ist).
Es wäre jedoch falsch, den Stab über den Kunsthändler zu brechen oder vom „bösen Kunstmarkt“ zu sprechen. Als Käufer trage ich selbst auch eine große Verantwortung.
Kunsthändler haben mir über die Jahre ab und zu verraten, daß die Forderung einer absoluten Perfektion des Objektes seitens der Top-Kaufklientel eine mächtige Versuchung entstehen läßt, der Optik und dem Zustand des zu verkaufenden Objektes etwas nachzuhelfen. Es wird quasi erwartet, daß alte authentische Objekte eine Nutzungspatina haben, die optisch immer ansprechend ist. Kleine Schrammen – natürlich überpatiniert – werden nicht nur geduldet, sondern erwartet. Wehe aber die Schrammen sind größer, die Patina sieht weniger schön aus (Patina bröckelnd, unerwünschte Farbe etc.), beim Auge fehlen Teile, das Objekt hat zu viele Teile (z.B. sieht manch eine Statue der Bakongo ohne die magische Ladung minimalistischer und schöner aus) und viele andere potentielle Mängel beziehungsweise was in irgendeiner Weise für störend gehalten werden kann. Die Folge ist: ein altes, authentisches und eigentlich sehr wertvolles Objekt fällt im Preis massiv ab, wenn nur 1 Mangel vorliegt.
Trotz der genannten Bedenken - die sich auf jede Kunstrichtung anwenden lassen - unbenommen bleibt die Tatsache, daß ich ein solches Konzentrat an wunderschönen und hochwertigen Kunstobjekten nur sehr selten geboten bekomme und ich habe die TEFAF 2012 sehr genossen.