Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte findet vom 25. Juli 2015 bis zum 3. April 2016 die Ausstellung Schädel – Ikone. Mythos. Kult. statt. Die Ausstellung ist nicht einfach eine Wiederholung der Schädelkultausstellung, die es 2011/12 in den REM in Mannheim gab, sondern sie wurde vom Weltkulturerbe Völklinger Hütte ganz neu konzipiert, es sind lediglich Leihgaben aus den REM mit ausgestellt.
Die Ausstellung zeigt, wie Köpfe die Menschen durch die Jahrhunderte und in verschiedensten Regionen und Kulturen fasziniert haben und welchen Kult sie um den Schädel betrieben. Sie umfasst 250 Schädel und Köpfe aus allen Kulturkreisen von der Steinzeit und der Zeit des Alten Ägypten bis zur Gegenwart. „Schädel – Ikone. Mythos. Kult.“ erzählt die Kulturgeschichte des menschlichen Schädels vom Neandertaler bis zu Darth Vader und bietet so eine überraschende und faszinierende Perspektive auf 170.000 Jahre Menschheitsgeschichte, Gegenwart und Zukunft.
Und sie erzählt spektakuläre Geschichten von Kopfjägern, von Voodoo-Zauber und der Verehrung von Schädelreliquien. Zu allen Zeiten waren Köpfe und Schädel magische Kraftzentren. Ein wichtiger Punkt ist der Aspekt des Memento Mori, die Ausstellung ist auch eine Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Tod.
'Schädel – Ikone. Mythos. Kult.' zeigt Köpfe aus weit entfernt liegenden Regionen wie Papua-Neuguinea und Schädel, die aus der unmittelbaren Umgebung wie dem Koblenzer Raum stammen. Zusammen sind sie menschliches Welt-Kulturerbe. Dementsprechend werden alle Köpfe und Schädel mit großem Respekt und im Dialog mit den weltweit einmaligen Gebläsemaschinen inszeniert.
Ahnenschädel der Asmat, Papua-Neuguinea, 1900. Knochen, Schnecken, Federn, Höhe: 25 cm, rem Mannheim © Weltkulturerbe Völklinger Hütte / Jean Christen / Glas AG
Das älteste Exponat der Ausstellung ist die Schädeldecke eines Neandertalers aus dem Kreis Mayen-Koblenz. Vor 170.000 Jahren wurde sie als Schale benutzt. Die Schale zeigt, dass schon die Neandertaler dem menschlichen Haupt eine besondere Wertschätzung entgegen brachten. Aus dem pfälzischen Herxheim stammen mehrere Schädel und Schädelschalen, die auf ein Ritual vor etwa 7.000 Jahren verweisen. Neben zertrümmerter Keramik und Tierknochen fand man hier Schädel von 500 Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts. Alle wurden offensichtlich bei einem gewalttätigen Ritual zerschlagen, zerlegt und entfleischt. Die Schnitt- und Bearbeitungsspuren an den Knochen weisen auf rituellen Kannibalismus während der Zeremonien hin.
Einen besonders ausgeprägten Kult um den Schädel betrieben die Kelten. In der Ausstellung ist eine besondere Rarität zu sehen: ein keltischer Trophäenschädel, in dem noch der vollständige Eisennagel erhalten ist. Mit diesem Nagel wurde der Schädel an ein keltisches Holzhaus geschlagen. Der Schädel stammt aus der Nähe von Koblenz zur Zeit des Gallischen Krieges. Es ist der erste keltische Schädelfund dieser Art in Deutschland. Im Gegensatz zu den Kelten war den Ägyptern der ganze, unversehrte Körper heilig. Denn nur er garantierte das Weiterleben im Jenseits. Aus diesem Grund wandten die alten Ägypter die Technik der Mumifizierung an. Von der Bedeutung des Kopfes zeugen Mumienmasken. Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist eine Gipsmaske aus dem Alten Reich, etwa 2.200 vor Christus, zu sehen. Die Herstellung von Gipsmasken war sehr aufwendig und wurde daher später aufgegeben. Die altägyptische Gipsmaske ist daher ein besonders herausragendes Exponat der Ausstellung „Schädel – Ikone. Mythos. Kult.“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte.
Zu allen Zeiten und in den verschiedensten Regionen und Kulturen waren und sind Schädel magische Kraftzentren. Mit Trophäenschädeln glaubte man die Kraft des Feindes für sich selbst nutzen zu können. Über Ahnenschädel traten die Menschen in Kontakt mit ihren Vorfahren. Durch Schädelreliquien von Märtyrern glaubte man die Gnade Gottes erreichen zu können. Zahlreiche Exponate der Ausstellung wie ein Skalp aus der Zeit der Indianer, zahlreiche Kopftrophäen, Schrumpfköpfe und Schädelreliquien zeugen von der Magie der Schädel.
Besonders spektakulär ist der Aspekt der Kopftrophäen. Am bekanntesten sind die Skalps aus der Zeit der Indianer. Die Kraft des einstigen Trägers ging im Glauben vieler nordamerikanischer Indianerstämme auf den neuen Besitzer über. Der Verlust des Skalps bedeutete den spirituellen und sozialen Tod. Bei den Naga in Neuguinea war die rituelle Kopfjagd ein wichtiger Teil männlicher Initiationsriten. Die Dayak in Borneo glaubten durch Kopftrophäen dem Dorf neue Lebensenergie zuzuführen. Auch Schrumpfköpfe hatten eine ähnliche Funktion: Das Tragen eines Schrumpfkopfes diente dem Jäger als Garant für Jagderfolg.
Ebenso magisch waren die Köpfe der eigenen Ahnen. Auf den Südsee-Inseln der Salomonen bewahrten die Menschen ihre Ahnenschädel in Familienschreinen auf, die kleinen Häusern ähneln. Sie glaubten, dass die Verstorbenen durch Totenrituale zu einer schützenden Macht wurden. Auf den Andamanen in Indien wurden Schädel von Verstorbenen mit Tragschnüren auf dem Rücken getragen. Die Ahnenschädel schützten ihre Träger vor bösen Geistern. Ein solcher Ahnenschädel samt Band und ein Schädelhaus aus den Salomonen sind in der Gebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zu sehen.
Nicht nur in uns exotisch anmutenden Regionen wurden Schädel magische Kräfte zugewiesen. Das zeigt eine Schädelreliquie aus den Niederlanden des 18. Jahrhunderts. Im Barock, der Hochzeit des Reliquienkultes, glaubte man sich die Gnade Gottes zu sichern, indem man die sterblichen Überreste von Märtyrern verehrte. Schädel waren als Objekte der Verehrung besonders bedeutend, da der Kopf nach christlichem Verständnis der Sitz der Seele ist.
Die Magie von Köpfen und Schädeln verdichtet sich im Mythos des Kristallschädels. Lange glaubte man, dass die Mayas Kristallschädel für magische Zeremonien und zur Beschwörung des Todes verwendeten. Heute weiß man, dass die Kristallschädel im 19. Jahrhundert in speziellen Edelsteinmanufakturen wie in Idar-Oberstein gefertigt wurden. Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist ein Kristallschädel zu sehen, der nach den Originalmethoden und mit den Werkzeugen des 19. Jahrhunderts hergestellt wurde. Der Mythos des 19. Jahrhunderts lebt in Filmen wie „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ (2008) weiter. Und bis heute schreiben Menschen Kristallschädeln magische Kräfte zu.
Die Bedeutung, die Schädeln in allen Kulturen zugewiesen wurde und wird, zeigt sich auch in deren kunstvoller Behandlung. Ahnenschädel, die mit Muscheln oder Schnecken geschmückt wurden, zeigen den hohen Status des Verstorbenen an. Die neuseeländischen Maori verzierten ihre Häuptlingsköpfe mit aufwendigen Tätowierungen, den „moko“, die Dayak in Borneo verzierten ihre Ahnenschädel mit kunstvollen Gravuren und Schnitzereien. Ebenfalls im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen ist ein Trophäenkopf der brasilianischen Mundurucu, die im 19. Jahrhundert sowohl bewundert als auch gefürchtet wurden. Die Bewunderung galt den Federarbeiten und Tätowierungen, die Furcht den als „Kopfabschneidern“ berüchtigten Kriegern. Jedes Jahr zur Trockenzeit zogen die Krieger aus, um Köpfe von feindlichen Stämmen zu erbeuten. Diese wurden nach der Rückkehr im Lager durch Räuchern haltbar gemacht und mit Federn dekoriert. Mit den Zähnen wurde ein Gürtel geschmückt.
Auch der berühmte Renaissance-Künstler Leonardo da Vinci beschäftigte sich mit Schädeln. In der Ausstellung „ ist ein fünf Zentimeter großer Miniaturschädel aus Alabaster und Quarz zu sehen, der mit großer Sicherheit aus der Hand des Meisters stammt und mit dem sich eine unglaubliche Geschichte verbindet. Ein Weihnachtsgeschenk entpuppte sich nach einer abenteuerlichen Spurensuche und zahlreichen Begutachtungen von Experten als Werk von Leonardo da Vinci. Die Betonung der Augen in diesem Miniaturschädel verweist auf Leonardo Denksystem: Er verortete die Augen als „Fenster der Seele“. Durch die Augen eines Schädels blickt man demnach direkt in die Seele des Menschen.
Leonardo da Vinci, geboren 1452 Anchiano, gestorben 1519 Amboise: Anatomischer Miniaturschädel, um 1490. Kunststein aus florentinischem Alabaster und Quarz, Höhe 4,75 cm. Sammlung Dr. Winfried Rolshausen © Weltkulturerbe Völklinger Hütte / Dr. Kurt W. Becker, Homburg/ Glas AG
Die Kulturgeschichte des menschlichen Schädels erzählt von Kulten und Praktiken, die auf den ersten Blick bizarr erscheinen - wie Zweitbestattungen oder magische Rituale mit Schädelmasken, die dazu dienen sollten, die Kraft des Verstorbenen auf die Lebenden zu übertragen oder für den überlebensnotwendigen Regen zu sorgen.
Dass auch in Mitteleuropa die Sitte der Zweitbestattung existierte, zeigen die Beinhausschädel aus Österreich, von denen seltene Exemplare im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen sind. Aus der Notwendigkeit, Gräber nach kurzen Ruhefristen für eine Neubestattung wieder räumen zu müssen, war im Mittelalter der Brauch entstanden, nicht verweste Gebeine, darunter meist Schädel, zu exhumieren und in Beinhäuser zu verlegen. Auf Wunsch der Angehörigen konnten die Schädel verziert oder mit einer Beschriftung individualisiert werden. Die aufwendig bemalten Beinhausschädel der Ausstellung sind eine Besonderheit, die sich auf Oberösterreich, den Bayerischen Wald und das östliche Oberbayern konzentrierte. Die Praxis der bemalten Schädel entwickelte sich im 19. Jahrhundert, als auch Gräber von durchschnittlichen Menschen vermehrt individuell gekennzeichnet wurden. Heute sind bemalte Schädel fast nur noch im österreichischen Hallstatt und in wenigen Museen zu sehen.
Ebenso bizarr wie Schädelmasken oder Beinhausschädel ist die Guillotine – eine Maschine zum ‚humanen‘ Töten, die den Kopf vom Körper trennte. Sie ersetzte die bis zur Französischen Revolution üblichen grausamen Hinrichtungen mit Axt und Schwert. Es ist ist ein Fallbeil aus Metz zu sehen, das noch bis 1908 im Einsatz war.
Schädel gelten in den verschiedensten Kulturen als magische Kraftzentren. Aber natürlich spielen sie auch in der Alltagskultur eine wichtige Rolle. Besonders im Andenraum wurden die Köpfe von Kindern mit Deformationsbrettern in eine Idealform gebracht. Den medizinischen und anatomischen Aspekt des Schädels kann man in der Ausstellung „Schädel – Ikone. Mythos. Kult. an einer Schädelgalerie nachvollziehen, die menschliche Schädel vom Kleinkind bis zum Erwachsenen zeigt. Anatomische Modelle des Schädels und des Gehirns sind ebenso zu sehen wie medizinisches Werkzeug wie die Schädelsäge.
Im 21. Jahrhundert sind Schädel und Totenköpfe Kult. Mode, Schmuck oder Plattencover zeigen, welche Faszination das Schädelmotiv in unserer Alltagskultur bis heute ausübt. Wie stark Köpfe und Schädel unsere Phantasie beschäftigen, zeigen Filme wie „Terminator“ oder „Star Wars“. Aus beiden Filmen sind Film-Abgüsse des Kopfes von Terminator und des Helms von Darth Vader zu sehen. Ein stilprägender Künstler für Alien-Köpfe ist der Schweizer Künstler HR Giger. Aus einem echten Schädel, den er künstlich verlängerte und modifizierte, entwickelte er die Vorlage für das Ungetüm des Science-Fiction-Klassikers „Alien“ (1979). Für seine Mitwirkung an diesem Film erhielt er einen Oscar in der Kategorie „Beste visuelle Effekte“. Auch seine Zusammenarbeit mit Debbie Harry - der amerikanischen Punk-Ikone und Frontfrau der Kultband „Blondie“ - für deren Soloprojekt „KooKoo“ ist Kult. Zu sehen ist auch ein Alienkopf von HR Giger und Gesichtsmasken für Debbie Harry. Besonders seltene Exponate der Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte sind zwei Polyestermasken von HR Giger, die an Insekten erinnern und in seinem Privathaus in Zürich hingen. Seit Jahrzehnten wurden diese nicht mehr ausgeliehen.
Schließlich wird in der Ausstellung auch eine Galerie der prägnantesten Plattencover gezeigt, deren zentrales Motiv der Schädel ist – von den „Grateful Dead“ und dem heute legendären Cover von HR Giger „Brain Salad Surgery“ für „Emerson, Lake & Palmer“ bis hin zu Motörhead, Metallica und dem Überraschungscoup „Mit freundlichen Grüßen“ von Heino. Ein besonderer Akzent liegt auf der Urban Art. In der Graffiti-Kunst und Urban Art ist der Totenkopf ein zentrales Motiv. In dem Motiv verbindet sich die klassische Bedeutung des Memento Mori mit dem Lebensgefühl des ‚Underground‘. Als eines der bedeutendsten Zentren der Urban Art hat das Weltkulturerbe Völklinger Hütte zahlreiche der namhaftesten Künstler wie Jef Aérosol, Eric Lacan, Tasso, Thomas Baumgärtel oder Ludo gebeten, ein Kunstwerk mit dem Motiv des Totenschädels zu gestalten. Diese Urban-Art-Kunstwerke zeigen, wie der Schädel unsere Phantasie auch im 21. Jahrhundert prägt.
Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Die Exponate kommen von 30 internationalen Leihgebern.
Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Gebläsehalle
Öffnungszeiten:
Sommer (bis 1. November 2015): Täglich 10 bis 19 Uhr
Winter: Täglich 10 bis 18 Uhr
Besucherservice:
Tel. +49 (0) 6898 / 9 100 100
Fax +49 (0) 6898 / 9 100 111
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