Zum 100sten Geburtstag der Dada-Bewegung, 1916 hatte Hugo Ball seinen legendären Auftritt im Züricher Cabaret Voltaire, hat das Rietberg Museum in Zürich zusammen mit der Berlinerischen Galerie in der Ausstellung Dada Afrika zum ersten Mal den Einfluss außereuropäischer Kunst und Kultur auf die Dada-Bewegung als Thema.
Dabei spielt der Galerist Han Coray eine herausragende Rolle, in dessen Galerie 1917 in der ersten Dada-Ausstellung moderne und afrikanische Kunst präsentiert wurden.
Die vom 18.3.-17.7.2016 gehende Ausstellung in Zürich mit über 100 Exponaten ist in 4 Bereiche und eine Art Prélude gegliedert.
Abb. 1: Hemba-Figur
Den Beginn markiert eine Hemba Figur (Abb. 1), die aus der Sammlung Han Coray stammt, gefolgt im eigentlichen Ausstellungsbereich von zwei Arbeiten, die zeigen warum Dada (auch) entstanden ist: als Reaktion auf den ersten Weltkrieg und der damit einhergehenden Enttäuschung, dass die europäischen Werte dieses Massensterben nicht aufgehalten haben.
Der 1920 entstandene Preußische Erzengel (Abb. 2) von John Heartfield und Rudolf Schlichter ist eine Schaufensterpuppe in einer Soldatenuniform, deren Schweinsfratze Symbol ist für die gesamte Epoche. Und die im gleichen Jahr hergestellte Schneiderpuppe (Abb. 3) von George Grosz und John Heartfield stellt einen Kriegskrüppel dar, eine Kritik am ersten Weltkrieg, gleichzeitig durch seine Zusammensetzung aus alltäglichen Fundstück auch ein Diskurs darüber, was Kunst ist. Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass diese Erfahrungen und Enttäuschungen dazu geführt haben, dass sich Künstler weg von Europa zu anderen Kulturen und Werten hingewandt haben, wie vor allem nach Afrika.
Abb. 2: Heartfield, Schlichter - Preußischer Erzengel
Abb. 3: Grosz, Heartfield - Der wildgewordene Spießer Heartfield
Beide Objekte (wie auch einige andere dada-Objekten in der Ausstellung) sind nur Rekonstruktionen der Originale, da diese zerstört wurden.
Zu dieser Prélude gehören auch Werke der Prä-Dada-Zeit: 2 Zeichnungen von Raul Hausmann, der sich dafür von einer Makonde-Maske aus der Sammlung von Erich Heckel inspirieren ließ (Abb. 4). Es ist faszinierend, dass es für die Ausstellung gelungen ist, die Zeichnungen und die Makonde-Maske zusammen zu bringen. Die Objekte treten dadurch in einen gleichberechtigten Dialog - das Leitmotiv dieser Ausstellung. Dialog bedeutet bei diesem Objekt: Afrika als Inspiration für die Moderne.
Abb. 4: Hausmann; Maske Makonde
Im eigentlichen ersten Bereich, dada Performance, geht es darum, wie die Dada-Künstler versuchten, ihre eigene Kunst und Sprache zu sprengen und angeregt durch das Fremde eine neue Bild- und Formensprache zu entwickeln. Es entstanden die multimedialen Perfomances der 'Soirées nègres, Lautgedichte, Trommelmusik, Maskentänze.
Abb. 5: Figur lefem, Bangwa; Janco Entwurf für Dada-Plakat zur Veranstaltung Le Chant Nègre
Dementsprechend wird dieser Teil eröffnet von einer Figur der Bangwa (Abb. 5), die mit ihrem expressiven Ausdruck für Bewegung und Ausbruch aus dem europäischem Kanon steht. Von den übrigen Exponaten blieben mir vor allem haften: zwei 'wilde' Masken von Marcel Janco (Abb. 7, 8). Ihnen werden gegenübergestellt eine japanische Maske aus der Edo-Zeit und eine Fasnachts-Maske aus der Schweiz - letztere bietet wie auch die Kunst aus Afrika eine scheinbar befreiende Gegenwelt. Und ein (bzw. seine Replik) Katsina-Kostüm von Sophie Taeuber-Arp (Abb. 10). Sie ließ sich dafür von Katsina-Puppen der Hopi-Indianer anregen, die sie wohl bei C. G. Jung gesehen hatte. (Jung brachte solche Figuren 1925 von einer Reise mit. Im Ausstellungskatalog werden aber Entwürfe und Fotos des Kostüms auf 1922 datiert. Laut der Taeuber-Arp-Expertin Walburga Krupp ist es aber wahrscheinlich, dass diese Fotos falsch, d.h. zu früh, datiert wurden. Email vom 25.3.2016)
Abb. 6: dada Performance
Abb. 7: Maske Lötschental, Schweiz; Janco - Maske
Abb. 8: Janco - Maske; Yasutaka - Hannya-Maske, Japan
Abb. 9: dada Performance
Abb. 10: Taeuber-Arp - Replik eines Katsina-Köstüms; Bergschaf-Katsinas
Das Symbol der 2. Sektion, dada Galerie, ist das von Marcel Janco zur ersten Dada-Ausstellung in der Galerie Corray gestaltete Plakat (Abb. 11), in dem Dada, Cubistes und Art nègre ankündigt wird. Es geht um die wechselseitige Beeinflussung von Avantgarde und Afrika-Kunstmarkt.
Abb. 11: Janco - 1re Exposition Dada
Zu sehen sind herausragende Werke der Art premier, wie eine Figur der Baule (Abb. 12), die in der Dada Ausstellung von Han Corray gezeigt wurde (und damals im Besitz von Paul Guillaume war) und im damaligen Ausstellungskatalog abgebildet ist, ein formvollendeter Löffel aus Gabun (Abb. 14) oder auch das Schiffsbug eines Kampfbootes der Maori aus dem 18. Jhd. (Abb. 15). Allerdings ist es fraglich, ob Dada-Künster wirklich eines der ausgestellten außereuropäischen Objekte gekannt haben. Ausnahmen sind die Baule und Werke aus der Privatsammlung von Tritan Tzara (Abb. 20), des rumänischen Mitbegründers des Dadaismus. Damit fehlt etwas der direkte Zusammenhang - außer dass einige Objekte aus der Sammlung von Han Coray stammten.
Abb. 12: Baule, Elfenbeinküste
Abb. 13: dada Galerie
Abb. 14: Gabun
Abb. 15: Maori, Neuseeland
Die Objekte der Art premier werden u.a. zusammengebracht mit Fotografien von Man Ray und - eines meiner persönlichen Highlights - seinem Idole du pecheur, eine Art Objet trouvé, die Montage von verschiedenen am Strand gefundenen Korkstücken. Daneben: eine Ahnenfigur von den Osterinseln, die eine formale Verwandtschaft aufweist (Abb. 16)
Abb. 16: Osterinsel; Man Ray - idole du pécheur
Abb. 17: Bembe/Kongo; Figur für die ekoho Gesellschaft, Kongo; Villa Haldengut von Han Coray
Abb. 18: Kuba-Maske, Kongo
Abb. 19: Webrollenhalter, Guro und Baule, Elfenbeinküste
Abb. 20: Maske Bete/Guro, Effenbeinküste; Krokodilskulptur, Mittlerer Sepik
In der 3. Sektion, dada Magie, finden sich in den Collagen von Hannah Höch die augenscheinlichsten Dialoge zwischen Dada und der außereuropäischen Kunst. Exemplarisch ist dafür eine Arbeit, die einen Kopffüßler zeigt (Abb. 22), als dessen Kopf sie das Bild einer Pende-Maske, bzw. eines Anhängers aus Elfenbein (Abb. 21), aus der Avantgarde-Zeitschrift Der Querschnitt nutzte. Im Museum Rietberg werden sowohl die originale Maske als auch ein Exemplar der Zeitschrift und die Collage gezeigt. Es ist vielleicht der Höhepunkt der Ausstellung: eine Rezeption der Rezeption afrikanischer Kunst.
Abb. 21: Anhänger, ikhoko, Pende/Kongo
Abb. 22: Höch - Ohne Titel (aus einem ethnografischen Museum)
In der gleichen Technik nahm Höch Bilder eines Flötenaufsatzes aus dem Sepik (Abb. 23-25), einer Guro-Maske (Abb. 26) und einer Skulptur aus Angkor (Abb. 28) als Teile ihrer Collagen - leider ist die originale Guro-Maske nicht ausgestellt, dafür aber ein Stück von gleicher Hand, dem Meister von Buafle. Ein nettes Detail der Collage mit der Guro-Maske, die auch den Titel des Katalogs schmückt: Das linke Bein stammt aus einer Fotografie von Lilian Harvey, eine der größten UFA-Stars, zusammen mit Willy Fritsch ein Traumpaar der damaligen Zeit.
Abb. 23: Flötenaufsatz, Papua-Neuguinea
Abb. 24: Höch - Ohne Titel (Aus einem ethnologischen Museum)
Abb. 25: dada Magie
Abb. 26: Maske, Guro, Elfenbeinküste; Höch - Aus einem ethnographischen Museum Nr. VIII: Denkmal I
Abb. 27: Höch - Dada-Puppen (Rekonstruktion)
Abb. 28: Höch - Ohne Titel (Aus einem ethnografischen Museum); Torso der Göttin Uma, Kambodscha, Khmer-Reich
Leider 'nur' als Fotografie ist die Dada-Ikone, der Mechanische Kopf von Raoul Hausmann, zu sehen - das Centre Pompidou wollte das Original nicht ausleihen. Der Tribal Art-Interessierte wird allerdings durch das Werk entschädigt, mit dem der mechanische Kopf in einen Dialog tritt: eine 1892 gesammelte nkisi Kraftfigur der Vili aus dem Kongo. Beiden Kunstwerken gemeinsam ist die Tatsache, dass es sich um Assemblagen handelt. So erhält die Kraftfigur ihre magische Macht auch durch aus Europa importierte Güter, Eisennägel und -klingen (Abb. 29).
Abb. 29: Hausmann - Mechanischer Kopf, Fotografie; Kraftfigur nkisi n'kondi, Kongo
Abb. 30: Helmmase (Baule) mit Kostüm (Gurol
Abb. 31: Höch - Aus einem ethnografischen Museum Nr. X; Mit Mütze, Aus einem ethnografischen Museum Nr. XI
In der 4. Sektion, dada Kontrovers, befinden sich in einem von der eigentlichen Ausstellung abgetrennten Raum vier Ikonen der afrikanischen Kunst (Abb. 32-35): Objekte, die in Carl Einsteins Buch Negerplastik (1915), das viele Avantgarde-Künstler beeinflusst hat, abgebildet wurden, darunter die sitzende Figur mit Fessel der Bena Kanioka aus dem Kongo (Abb. 32).
Abb. 32: Bena Kanioka, Kongo
Abb. 33: Toma, Guinea; Amulett, Kongo
Abb. 34: Kuyu, Gabun
Abb. 35: Senufo, Elfenbeinküste
Zusätzlich gibt es die Arbeit Portes Oranges der Künstlerin Senam Okudzeto (abb. 36), in deren Mittelpunkt Eisengestelle aus Ghana stehen, die Orangenverkäuferinnen zur Präsentation ihrer Ware nutzen - ein dadaistisches Readymade als Sinnbild für das moderne und urbane Afrika.
Abb. 36: Senam Okudzeto - Portes Oranges
Ein Fazit: Es ist eine bahnbrechende Ausstellung, die äußerst kompetent Neuland betritt und einen erstklassigen Katalog bietet, der wohl zum einen Standardwerk werden wird. Und die es schafft, europäische und außereuropäische Kunst gleichberechtigt zu präsentieren. Dennoch ist es eine eher intime Ausstellung, die zum genauen Hinschauen einlädt und erstaunlich wenig Raum einnimmt. Ich hätte mir allerdings gewünscht, das Rietberg Museum hätte sie noch etwas größer aufgezogen: mit mehr Platz zwischen den Exponaten und auch mit noch mehr Objekten - denn das hätte dieses ungemein spannende Thema gut vertragen. Mal sehen, wie die Ausstellung in der Berlinischen Galerie aussehen wird, in der sie ab dem 5.8.2016 gezeigt wird. Der Mitkurator Ralf Burmeister von der Berlinischen Galerie kündigte auf der Medienkonferenz bereits an, sie würde in Berlin noch stattlicher ausfallen.