Ausstellung Amazonien. Der Schamane und das Denken des Regenwaldes im MEG in Genf

Termin: 20.05.2016 bis 08.01.2017

Das MEG - Musée d'ethnographie de Genève - konserviert eine der bedeutendsten völkerkundlichen Amazonien-Sammlungen Europas, sowohl im Hinblick auf die Menge (annähernd 6000) als auch auf die Qualität und Herkunft der Objekte, aber auch aufgrund der grossen Bandbreite der vertretenen Kulturen.

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird jetzt eine umfangreiche Auswahl von Exponaten aus dem Amazonasbecken gezeigt. Die Ausstellung «Amazonien. Der Schamane und das Denken des Regenwaldes» legt Zeugnis von der Geschichte und dem Schicksal der indigenen Völker ab, die seit Ankunft der ersten kolonialen Siedler die vordringende Waldnutzung, die eingeschleppten Krankheiten und die mannigfaltigen Programme zu ihrer «Befriedung», Sesshaftmachung und Missionierung überleben.Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Schweizerischen UNESCO-Kommission, die damit den kulturhistorischen Wert der MEG-Sammlungen und deren heutige Bedeutung für die Völker Amazoniens würdigt.

Auf tausend Quadratmetern zeigt die Ausstellung an die fünfhundert Objekte, Photographien und Filme. Leuchtender Federschmuck, Blasrohre, Bogen und Giftpfeile mit Curare, Musikinstrumente, Gebrauchsgegenstände, aber auch Gerätschaften, die von den Schamanen für die Einnahme von Halluzinogenen verwendet werden, führen die amerindischen Kulturen des 18. bis 21. Jahrhunderts vor Augen. Herausragende Keramik aus Marajò und eine Reihe verblüffender polierter Steine führen auf die Spur präkolumbischer Kulturen. Der Zerstörung ihres Lebensraumes haben die Völker Amazoniens nur mit Mühe widerstanden, und in fünf Jahrhunderten der Eroberung und der Landnahme ist ihre Bevölkerung um fast achtzig Prozent geschrumpft.

Im grössten Land am Amazonas, Brasilien, leben heute nur noch 700'000 Indianerinnen und Indianer, verteilt auf 237 Ethnien, von denen einige nur noch ein paar hundert Menschen zählen. Mit der neuen MEG-Ausstellung «Amazonien. Der Schamane und das Denken des Regenwaldes» soll eine breite Öffentlichkeit für das Schicksal der amerindischen Völker sensibilisiert werden.

Die grossen Themen der Ausstellung:

Amazonien

Die MEG-Ausstellung präsentiert herausragende Artefaktevon fast dreissig Völkern aus neun Ländern des Amazonasbeckens, darunterder Kayapò, Wayana, Yanomami, Ka'apòr, Araja, Shuar (Jivaro), Tukuna und Bororo. Diese Gemeinschaften, die weit verstreut im grössten Waldgebietder Erde leben (6 Mio. Quadratkilometer), sind damit Staatsbürger Brasiliens, Venezuelas, Ecuadors, Perus, Boliviens, Kolumbiens, Surinames, Guyanas und Französisch-Guyanas.

Animismus

Die Lebens-und Denkweise der amerindischen Völker Amazoniens ist vom Animismus geprägt. Animismus ist eine besondere ontologische Weltsicht, d.h eine Art, den Menschen oder das Lebewesen im Universum einzuordnen und zu erklären. Im Animismus sind Tiere und manchmal auch Pflanzen oder der Wald ebenso denkende und handelnde Wesen wie es der Mensch ist. Auch teilen Amerindianerinnen und Amerindianer die Auffassung, es bestünden gleichzeitig nebeneinander verschiedene Welten in Zeit und Raum: die Welt der Lebenden, diejenige der Geister, der Toten usw.

«Denkt nicht, der Wald sei tot und stehe hier ohne Grund. Wenn er leblos wäre, würden auch wir uns nicht bewegen. Er ist es, der uns Leben und Seelegibt. Er lebt. Man hört ihn nicht klagen, doch der Wald leidet, wie die Menschen.» Sagt Davi Kopenawa, Wortführer und Schamane der Gemeinschaft der Yanomami-Indianer im brasilianischen Regenwald (2003). Der Wald fühlt, er hat sein eigenes Denken.

Schamanismus

Schamanismus kann man als die Fähigkeit eines Menschenbeschreiben, unter bestimmten Bedingungen die Grenzen zwischen den Weltenzu überschreiten. Indem er dies tut, kann der Schamane sein Aussehen demjenigen einer anderenSpezies anpassen und damit deren Eigenschaften annehmen. So kann er beispielsweise in der Gestalt des Vogels urubu den Wald überfliegen und die geraubte Seele eines Menschen finden. Oder er kann in der Gestalt des Jaguars das unheilbringendeWesen, das die Seele geraubt hat, bekämpfen. Man bezeichnet ihn manchmalals den «Diplomaten zwischen den Arten».

Perspektivismus

Perspektivismus ist ein anthropologischer Begriff, mit dem man in einem animistischen Kontext die Fähigkeit und das Geschick eines Menschen beschreibt, sich in ein anderes Wesen hinein zu versetzen und dessen Sichtweise einzunehmen. So kann er sich in einen Menschen, aber eben auch in ein Tier (sei es ein Jaguar oder ein Insekt), einen Geist oder in jedes andere Geschöpf «hineinversetzen», das vom Denken «beseelt» (anima = lat. Seele) ist. Ähnlich wie Schachspieler oder Schachspielerinnen können so die Bewohner Amazoniens vielfältige Perspektiven einnehmen und sich auch vorstellen, wie sie selber wahrgenommen werden, sei es auf der Jagd, in der schamanischen Praxis oder auch bei der Traumdeutung. Allerdings bleibt der Schein trügerisch, und was man sieht oder hört ist immer nur Illusion. Perspektivismus heisst immer, dass man sich in den anderen in mehreren möglichen Varianten hineinversetzt. Heute spricht man deshalb in einem ganzheitlicheren wissenschaftlichen Ansatz, der dem Diskurs der Amerindianerinnen und Amerindianer über ihre eigenen Kulturen besser Rechnung trägt, hie und da auch von einem «Denken des Regenwaldes»

Mythologie

Mythologie ist ein wesentliches Element im Leben der Amazonas-Völker. Mythologie ist eine theoretisch nie abgeschlossene Sammlung von Geschichten und deren Abwandlungen, wie sie durch mündlichen Vortrag weitergegeben werden. In Gesellschaften ohne Schrift nimmt Mythologie also immer die mündliche Form an. Unser (westliches) Verständnis von Mythologie ist sehr begrenzt weil auf die schriftliche Überlieferung beschränkt, die in der Regel eine verkürzte und zusammengefasste Version wiedergibt.

In den Mythen treten alle denkenden Geschöpfe als Personen auf. Alle Vögel und anderen Tiere, deren Federn oder andere Teile zur Herstellung von Körperschmuckverwendet werden, sind Figuren der Mythologie.

Photographie und Film in der Ausstellung

In der Ausstellung nehmen Photographie und Film einen wichtigen Platz ein und ermöglichen einen noch facettenreicheren Blick auf die Völker des Amazonas. Aufnahmen aus den Sammlungen des MEG -historische Bilder des deutschen Photographen George Huebner und der russischen Baronin Nadine de Meyendorff bis hin zu Aufnahmen des Ethnologen und Aktivisten René Fuerst oder von Museumskurator Daniel Schoepf -aber auch Arbeiten zeitgenössischer Photographen und Filmemacher wie Paul Lambert, der berühmten,in der Schweiz geborenen brasilianischen Photographin Claudia Andujar, des Genfer Photographen Aurélien Fontanet oder des engagierten Filmemachers Daniel Schweizer, stellen den Besucher mitten hineinin das Leben der Amazonas-Völker.

Musik und Klang in der Ausstellung

Musik und Ton sind in der Ausstellung «Amazonien. Der Schamane und das Denken des Regenwaldes» in zweierlei Gestalt vertreten. Im ersten Beitrag geht es darum, die bemerkenswerte Vielfalt der Instrumentalmusik Amazoniens aufzuzeigen, die vor allem auf Blasinstrumenten beruht. Die Ausstellungfächert eine breite Palette von Musikinstrumenten auf, begleitet von zahlreichen Tonaufnahmen. Der zweite Beitrag ist eine Klanginstallation, die den gesamten Raum bespielt. Sie ist die Arbeit eines Forscherteams, das sich auf die Klangwelt des Amazonasbeckens spezialisiert hat, und besteht aus einer Abfolge von sechzehn Klangmärchen, die erzählen, wie die Musik zwischen Menschen, Tieren und Geistern Beziehung entstehen lässt.

1

Federkroneme-àkà, männlicher zeremonieller Kopfschmuck. Brasilien,Bundesstaat Pará, Rio Chiché. Kayapó Mekrãgnoti. Datiert 1960-1970. Papageienfedern, Baumwolle. H15cm,Ø22cm. Erworben 1975 durch den Ethnologen Gustaaf Verswijver. MEG Inv. ETHAM 040861 Photo:© MEG, J.Watts

2

Federkrone wirara oder akangatar, männlicher zeremonieller Kopfschmuck. Brasilien, Rio Gurupi, Bundesstaat Maranhão, Dorf Javaruhú. Ka'apor. Mitte 20. Jh. Gelbe Federn von Psarocolius, schwarze von Crax, rote von Aramacao, Taubendaunen. Vogelbalg eines Cotinga cayana,Baumwolle. H 53cm, l 31cm. Erworben 1966 durch den Anthropologen und Biologen Borys Malkin. MEG Inv. ETHAM033453 Photo: © MEG, J.Watts

3

Schmuck für Armbindepachik, beidseitig. Brasilien, Bundesstaat Pará, Oberer Rio Paru Wayana. Datiert 1960er Jahre. Rote Federn von Ara macao, weisse von Gallus domesticus, gelbe vom Tukan, Holz, Pflanzenfasern, Harz. H 53/53cm,B19/22cm. Forschungsreise des Ethnologen Daniel Schoepf,1971-1972. MEG Inv. ETHAM 036949 Photo: © MEG, J. Watts

4

Halsschmuck. Brasilien, Bundesstaat Mato Grosso, Dorf Meruré Bororo. Datiert 1960er Jahre. Federn, Pflanzenfasern. H 25cm, B17cm. Erworben 1976 durch den Salesianer-Missionar Renato Maltoni; Sammlungsjahr 1971. MEG Inv. ETHAM 038749 Photo: © MEG, J.Watts

5

Halsschmuck. Peru? Ecuador? Kolumbien? Oberer Amazonas Ende 19.-Anfang 20. Jh. Jaguar-Fangzähne, Affen-Schneidezähne, Baumwolle. Ø 23cm. Schenkung Frédéric Dusendschön, 1960; ehemalige Sammlung Oscar Dusendschön, Kautschukproduzent in Manaus, 1890-1914. MEG Inv. ETHAM 029491 Photo: © MEG, J. Watts

6

Keule. Brasilien? Bundesstaat Goiás? Mato Grosso? Pará? Tocantins? Kayapó Irã’ãmranh-re? Ende 19. -Anfang 20. Jh. Geschnitztes Holz, Griffumflechtung aus Pflanzenfasern. L 137cm,B8cm. Schenkung Frédéric Dusendschön, 1960; ehemalige Sammlung Oscar Dusendschön, Kautschukproduzent in Manaus, 1890-1914. MEG Inv. ETHAM 029788 Photo: © MEG, J. Watts

7

Armschmuck marachi-omsik. Brasilien, Bundesstaat Roraima, Oberer Tio Demini, Rio Tootobi Yanomami. Datiert 1950er Jahre. Rote Federn von Ara macao, grüne von Amazona farinosa? Holz, Pflanzenfedern.
H 63cm, B 27cm. Erworben 1963 durch den Ethnologen René Fuerst MEG Inv. ETHAM 032049 Photo: © MEG, J. Watts

8

Ohranhänger. Brasilien,Bundesstaat Mato Grosso, Dorf Meruré Bororo. Datiert 1960er Jahre. Perlmutt, Pflanzenfasern, Federn. L 6/6cm,B4/3cm. Erworben 1976 durchden Salesianer-Missionar Renato Maltoni; Sammlungsjahr 1971. MEG Inv. ETHAM 038743 Photo: © MEG, J. Watts

9

Ameisenmattekunana für Initiations-oder Heilungsritenfranz. Guyana, oberer Rio Maroni, Dorf Ouaquil Wayana. Datiert 1950er Jahre. Rote, blaue und gelbe Federn von Ara macao, schwarze von Crax alector, weisse von Gallus domesticus, Flechtwerk, Palmfasern miriti, Harz. L 76 cm, B 50 cm. Schenkung Henri Dormond. 1961MEG Inv. ETHAM 030588 Photo: © MEG, J. Watts

10

Maskeype, auchcara grande. Brasilien, Bundesstaat Mato Grosso, Rio Tapirapé, Rio Araguaya Tapirapé. Mitte 20. Jh.Holz, Schilf oder Palmenstamm, gelbe und blaue Federn von Ara ararauna,nicht näher bestimmte blaue und rote Federn, Perlmutt, Tucum-Nuss, Bienenwachs, Harz, gefärbte und mit Ton bestrichene Baumwolle, Pflanzenfasern. H 134cm, B109cm. Erworben 1966 durch den Anthropologen und Biologen Borys Malkin. MEG Inv. ETHAM 033549 Photo: © MEG, J. Watts

11

Weiblicher zeremonieller Halsschmuck tukaniwaroder tukadjura. Brasilien, Bundesstaat Maranhão, Rio Gurupi, Dorf Javaruhú Ka'apor. Mitte 20. Jh. Gelbe Federn vom Tukan, rote von Cotinga ouette, Teile eines Sperlingsbalgs, Stoff, Baumwolle. H 46cm, l 20c. Erworben 1966 durch den Anthropologen und Biologen Borys Malkin. MEG Inv. ETHAM 033454 Photo: © MEG, J. Watts

12

Haubenmaske. Grenzregion Brasilien-Kolumbien-Peru, LeticiaTicuna. 1927-1934. Rindenbast Tapa «turury», Ficus radula oder Couratari legalis. H 44 cm, B 32,5 cm. Schenkung des Diplomaten Carlos Garcia-Palacios, 1935. MEG Inv. ETHAM 015003 Photo: © MEG, J. Watts

13

Federkrone. Ecuador Omagua? Kokama? Ende 19. - Anfang 20. Jh. Ara-und Tukanfedern, Daunen, Baumwolle. H 44cm, B 38cm. Schenkung Frédéric Dusendschön, 1960; ehemalige Sammlung Oscar Dusendschön, Kautschukproduzent in Manaus, 1890-1914. MEG Inv. ETHAM 029647 Photo: © MEG, J. Watts

14

Köcher, Giftpfeile, Baumwollbeutel. Franz. Guyana, Rio Tacutu Pemón. Ende 19. -Anfang 20. Jh. Flechtwerk, schwarzes Harz, Holz, Baumwolle, Werg, Kiefersplitter eines Kleintiers. H 28 cm. Schenkung Frédéric Dusendschön, 1960; ehemalige Sammlung Oscar Dusendschön, Kautschukproduzent in Manaus, 1890-1914. MEG Inv. ETHAM 029796 Photo: © MEG, J. Watts

15

Krone mit Federaufsatz und Anhänger kandela, zur Jagd getragen. Franz. Guyana, unterer Rio Oyapok Palikur. Datiert 1940-1950. Federn, Holz, Schilfrohr, Pflanzenfasern, Baumwolle, Skarabäusscheren. H 102 cm,B 35 cm,T 70 cm. Schenkung des ZoologenHenry Larsen, 1956. MEG Inv. ETHAM 025431 Photo: © MEG, J. Watts

16

Behälter mit Cashewnüssen. Suriname Carabe? Anfang 19. Jh. Flechtwerk aus yamaïe-Pflanzenfasern, Cashewnüsse. H 29cm, Ø 17cm. Schenkung Louis Pictet an das Musée académique, 1824. MEG Inv. ETHAM K000252 Photo: © MEG, J. Watts

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