Ausstellungen, die sich mit der Kolonialzeit befassen, bieten die Chance, unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen: Die des politisch Interessierten, der sich über unrühmliche Kapitel deutscher Geschichte und die postkoloniale Gegenwart informieren möchte. Und die des Tribal Art-Liebhabers, denn er kann darauf hoffen, erstklassige Objekte zu sehen.
Inwieweit gelingt es der vom 30.9.2016 bis zum 26.2.2017 gehenden Ausstellung heikles erbe - Koloniale Spuren bis in die Gegenwart im Landesmuseum Hannover diesen Ansprüchen gerecht zu werden?
Das Museum hat in seiner Ausstellung einen 'leicht verständlichen' Weg gefunden, sich mit dem Kolonialismus auseinanderzusetzen: Sie bietet eine theoretische Verortung des Phänomens, zeigt dann Objekte aus deutschen Kolonien, geordnet nach Gebieten und endet mit zeitgenössischer Kunst aus Hawaii, die versucht, auf kulturellen Interessen der dortigen Indigenen aufmerksam zu machen und dafür einzutreten. Da in Hannover Provenienzforschung groß geschrieben wird, das Museum hat sogar eine eigens eingerichtete Stelle, besetzt von Claudia Andratschke, gibt es bei den einzelnen Gebieten auch Biografisches zu den Sammlern.
Die Ausstellung beginnt und endet mit einer Colon-Figur (Abb. 1-3), deren Herkunft unklar ist: Sie wurde mittlerweile den Kuju im Kongo zugeschrieben, angeblich aber in Kamerun gesammelt - auf der Rückseite sind als Herkunftsvolk allerdings die Fang vermerkt… Dieses wirklich außergewöhnliche Objekt steht nicht nur für die Probleme der Provenienzforschung, sondern auch dafür, dass die indigenen Völker auch bei ihrer materiellen Kultur von den kolonialen Herrschern beeinflusst wurden - und dass sie solche Einflüsse selbstbestimmt übernahmen. Kultur war auch bei indigenen Völkern nie etwas Statisches.
Abb. 1 Colon
Abb. 2
Abb. 3 Colon
Nachdem danach auf das theoretische Umfeld des Kolonialismus eingegangen wird - u.a. anhand des Boxeraufstandes in China (Abb. 4, 5), von Völkerschauen und 'kolonialen' Produkten wie Spendendosen, die sich rassistischer Stereotypen über Afrikaners bedienten (sogenannte 'Nickneger') (Abb. 6-7),
Abb. 4
Abb. 5 'Boxer-Schwert', China
Abb. 6
Abb. 7
Abb. 8 Deutsche Kolonien
beginnen die ausgestellten Werke aus der damaligen Kolonialzeit mit Objekten aus Neu-Mecklenburg, dem heutigen Neuirland (Abb. 9-17). Im Mittelpunkt stehen Malangan-Schnitzereien, die zum Teil von Rudolf von Bennigsen gesammelt wurden, dem kaiserlichen Gouverneur von Deutsch-Neuginea.
Abb. 9 Neuirland, kulap-Figuren
Abb. 10 Malangan
Abb. 11 Malangan
Abb. 12 Malangan
Abb. 13 Malangan
Abb. 14 Malangan
Abb. 15 Malangan
Abb. 16 Malangan
Abb. 17 Malangan
Bereits hier wird ein Problem der Provenienzforschung deutlich: Zwar gibt es Aufzeichnungen, wer gesammelt hat bzw. unter wessen Befehl, wie ein Objekt aber gesammelt wurde, ist anscheinend recht selten bekannt: Ob es getauscht, gekauft, im Rahmen einer Strafexpedition gestohlen wurde oder eine Schenkung war. Zumindest erzählte dies der Kurator der Ausstellung, Alexis von Poser beim Pressetermin am 29.9.2016. Dementsprechend seltsam erschien es mir, dass bei einem der Objekte im Begleittext stand, es wäre wahrscheinlich bei einer Strafexpedition von den Truppen erbeutet worden: Denn erstens ist es nur eine Spekulation, und zweitens: Warum soll man Objekte aus den Malangan-Feiern rauben, wenn sie nach der einmaligen indigenen Verwendung eh weggeworfen werden, bzw. man sie auch leicht ohne Druck erwerben konnte…
Weiter zu sehen sind Objekte aus Samoa, den Maty-Inseln, Kaiser-Wilhelmland (nord-östlicher Teil von Neuguienea) und den Salomonen. Dort wurden vor allem auch Waffen getauscht.
Abb. 18 Samoa
Abb. 19 Maty Inseln
Abb. 20 Kaiser-Wilhelmland, Nord-Ost Guinea
Abb. 21 Salomonen
Ein weiterer Schwerpunkt sind die Admiralitäts-Inseln (Abb. 22-27), mit wunderschönen Zierkämmen, erworben von Bruno Mencke, dem Leiter der 'Ersten Deutschen Südsee-Expedition', der 1901 von Einheimischen auf Mussau getötet wurde - er hatte wohl u.a. die dort vorhandenen Kokospalmen vernichtet. Die gezeigten Objekte stammen allerdings nicht aus dieser Expedition, sondern waren schon vorher in Besitz des Millionärs. Weitere spannende Objekte aus diesem Gebiet sind ein Krokodil und Bettpfosten.
Abb. 22 Admiralitäts-Inseln
Abb. 23 Admiralitäts-Inseln
Abb. 24 Admiralitäts-Inseln
Abb. 25 Admiralitäts-Inseln
Abb. 26 Admiralitäts-Inseln
Abb. 27 Admiralitäts-Inseln
Der Teil über das koloniale Erbe in Afrika beginnt mit Objekten aus Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania (ohne Sansibar), Burundi und Ruanda und ein Teil Mosambiks), - hier wird deutlich, dass es bei kolonialem Sammeln auch um die Tier- und Pflanzenwelt ging, gefolgt von Deutsch-Südwestafrika (Namibia) und Togo. Unter den Objekten aus Südwestafrika sind auch Schmuck und Accessoires der Herero, erworben vor dem Völkermord im Rahmen der Aufstände der Herero und Nama. Spannend eine Elefantenfigur der Luba, die von Gustav Cohrs wohl in Deutsch-Ostafrika erworben wurde (Abb. 29).
Abb. 28 Deutsch-Ostafrika
Abb. 29 gesammelt von Gustav Cohrs in Deutsch-Ostafrika, Figur der Luba (Kongo)
Abb. 30 Deutsch-Südwestafrika
Abb. 31 Deutsch-Südwestafrika (u.a. Objekte der Herero)
Abb. 32 Togo
Im Zentrum der Afrika-Teils steht Kamerun, das prototypisch dafür ist, wie vielschichtig Kolonialismus zu sehen ist: Die Ausstellung geht ein auf Strafexpeditionen, aber auch auf die höfische Kunst und damit auf den Versuch von lokalen Herrschern, sich mit den Europäern zu arrangieren. In diesem Teil gibt es zwei der ausdrucksvollsten Skulpturen: Die Statue eines Königs (Abb. 34-35) und die Figur in Gestalt einer Frau mit zwei Kindern (Abb. 36).
Abb. 33 Kamerun
Abb. 34 Kamerun
Abb. 35 Kamerun
Abb. 36 Kamerun
Sie lässt aber auch einen Blick auf das mystische Afrika zu, der dunkle Kontinent voller Magie und Aberglaube. Dieser spezielle koloniale Blick ist heutzutage noch weit verbreitet (und nicht nur bei Tribal Art Sammlern). Die gezeigten Objekte haben zumeist etwas mit Geheimbünden zu tun (Abb. 37-40).
Abb. 37 Kamerun
Abb. 38 Kamerun
Abb. 39
Zusätzlich werden ein Einbaum und Bootsmodelle der Duala gezeigt (Abb. 40, 41).
Abb. 40 Duala
Abb. 41 Duala
Nach einem kurzen Abschnitt zur Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonialstaaten
Abb. 42 Papua-Neuguinea
Abb. 43 Ghana
sind der letzte Schwerpunkt der Ausstellung Werke zeitgenössischer indigener Künstler aus Hawaii. Ihr Motto lautet Aloha 'Aina (Liebe zum Land). Sie setzen sich kritisch mit der postkolonialen Situation auseinander - was gar nicht so leicht erscheint: Die Indigenen sind auf Hawaii mittlerweile in der Minderheit, und die meisten von ihnen begrüssen es laut von Poser, dass die Inselgruppe ein Bundesstaat der USA ist. Immerhin wäre es den Künstlern schon gelungen, Projekte wie der Schutz eines heiligen Berges durchzusetzen, so Alexis von Poser.
Abb. 44
Abb. 45 Kapulani Landgraf
Am spannendsten fand ich eine Arbeit von Ka'ili Chun: In eine US-amerikanische Flagge sind die Wort eines Verrats eingebrannt, die Spitze einer Lanze steckt im 50. Bundesstaat, Hawaii, und durch die kreuzförmig angebundene 2. Lanze wird die Assoziation an die christliche Mission geweckt, die bei der Annexion der Inseln mithalf.
Abb. 46 Ka'ili Chun
Damit wird die Verbindung zur Gegenwart hergestellt und im letzten Raum vertieft, indem gezeigt wird , welche Bodenschätze zur Produktion eines Handys benötigt werden - und dass viele aus Krisengebieten stammen und postkoloniale Wirtschaftsinteressen wichtiger sind als ethisches Handeln.
Abb. 47
Gelingt es der Ausstellung, die Bedürfnisse des politisch Interessierten und des Tribal Art-Liebhabers zu befriedigen? Ja, aber…
Denn ja, es gibt Informationen zu den deutschen Kolonien, zum Kolonialismus, zu den Sammlern und es werden gute Objekte ausgestellt. Und das Ganze wird verständlich aufbereitet und ohne einen zu deutlichen pädagogischen Zeigefinger. Es ist zum Glück keine zu verkopfte Ausstellung.
Andererseits aber…
- ist es keine Ausstellung, die den Schrecken der Kolonien oder gar drastisch heutiges koloniales Verhalten aufzeigt. Sie ist sehr entspannt
- ist der Hawaii-Teil ein Fremdkörper. Warum wird Postkolonialismus anhand von Hawaii demonstriert und warum nicht anhand multinationaler Konzerne, auch unter deutscher Beteiligung? Und warum so soft? So kann man sich dezent über die Amerikaner aufregen und sich als Deutscher gut fühlen. Wesentlich weiter ging beispielsweise die Ausstellung Letzte Ölung Nigerdelta im Münchner Museum Fünf Kontinente. Und warum Hawaii? Laut von Poser, weil dort der Kolonialismus nicht so offensichtlich ist. Anderswo sei er schon bekannter
- scheint die Provenienzforschung noch am Anfang. So schreibt Sandra Bauman, die zusammen mit von Poser kompetent durch die Ausstellung führte, in dem lesenswerten und gut bebilderten Katalog auf S. 204: "Hintergründe und Details des Objekterwerbs durch die kolonialen Sammler sind in den meisten Fällen nicht bekannt." Nur um u.a. später anzugeben: "Kolonialbeamte nutzten häufig das hegemoniale Machtgefälle aus, um Ethnografika an sich zu bringen. In diesen Fällen wurden Stücke ohne die Zustimmung der Besitzer erbeutet oder unter Gewaltandrohung entnommen…" Wie kann ein Wort wie "häufig" genutzt werden, wenn in den meisten Fällen die Hintergründe nicht bekannt sind?
- erleichtert die Gliederung nach Kolonien zwar einen Zugang, aber dadurch gehen grundlegende Kolonialismus-Themen unter: Beispielsweise
- die Aneignung westlicher Ansichten und Ästehtik in den Kanon der indigenen Völker, wie aber auch der umgekehrte 'Weg;
- Auswirkungen der Kolonialisierung in den einzelnen Länder bis ins Heute;
- die Darstellung der Angehörigen des indigenen Volkes als handelnde Personen und nicht nur als Opfer. Dies gelang beispielsweise in der genialen Ausstellung From Samoa with Love über Völkerschauen im Museum Fünf Kontinente
Eine sehenswerte Ausstellung, aber keine, die im Übermaß unbequeme Fragen stellt…
Der lesenswerte Katalog hat 392 Seiten und über 340 gute Abbildungen.
Vielen Dank an das Landesmuseum Hannover für die Erlaubnis, Fotos zu machen und auf about africa zu veröffentlichen.
Fotos: Ingo Barlovic