S-21 ist die lakonische Bezeichnung für ein von den Khmer Rouge in Kambodscha betriebenes Gefängnis, besser: Tötungsanlage, in dem zwischen 1975 und 1979 15.000 bis 20.000 Gefangene ermordet wurden – zu Tode gefoltert oder hingerichtet. Der damalige offizielle Sprachgebrauch war: „Starben im Krankenhaus“. 1979, also direkt nach dem Ende der Schreckensherrschaft von Pol Pot und seinen Schergen, während der ca. 2 Millionen Kambodschaner ihr Leben ließen, ¼ der Bevölkerung, wurde das Gefängnis zu einem Museum, dem Tuol Sleng Genocide Museum.
Es wurde nach Aussage seines anlässlich der Pressekonferenz am 14.12.2017 im Münchner Museum Fünf Kontinente anwesenden Leiters Visoth Chhay von der Bevölkerung von Beginn an häufig aufgesucht, da sie sich Informationen erhofften über ihre vermissten Angehörigen. Fast jeder hatte Terroropfer in seiner Familie, so gab es am Ende im ganzen Land nur noch 30 Lehrer – eine furchtbare Folge der rückwärtsgewandten Ideologie der roten Khmer. Das Museum zeigte deshalb die Fotos der Insassen, die bei Ankunft im Gefängnis gemacht wurden. Mittlerweile hat das Museum über 50.000 Besucher jährlich, 90% davon Ausländer.
Ann-Kathrin Woehrl, Bruno Richtsfeld, Visoth Chhay Foto: Barlovic
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl, von der im Museum Fünf Kontinente 2014 die Ausstellung UN/SICHTBAR über weibliche Opfer von Säureanschlägen zu sehen war, besuchte 2013 das erste Mal S-21 und fotografierte 2015 und 2016 vor Ort, im ehemaligen Gefängnis, auf anderen Killing Fields (Exekutionszentren) und auch auf dem UN-Tribunal zur Ahnung der Verbrechen. Die dabei entstandene Fotoserie ist der Mittelpunkt der von Michaela Appel kuratierten Ausstellung Shaded Memories – Der Schatten über Kambodscha, die vom 17.2.2017 bis zum 17.9.2017 im Münchner Museum Fünf Kontinente zu sehen ist.
Blick in die Ausstellung 1, Foto: Barlovic
Blick in die Ausstellung 2, Foto: Barlovic
Woehrl hat für ihre Fotografien eine bemerkenswerte Bildersprache gefunden, was vor allem bei den Porträts der Gefangenen nicht einfach ist: Diese Bilder der damaligen Opfer sind schon alleine so eindrücklich, wirken wie eine Anklage, dass der Versuch, diesen Fotografien die eigene Kreativität aufzudrücken, schnell hätte peinlich werden können. Anne-Christine Woehrl hat dafür eine gute Lösung gefunden. Sie hat diese Bilder fast originalgetreu abgelichtet, zusätzlich kann man aber den Raum sehen oder erahnen, in dem sie sich befinden: zerschlissenen Wände, sich spiegelnde Lichtreflexe, Gitter. Durch den Einbezug von Zeit und Raum werden die Fotos verortet, kontextualisiert, stehen eben für die beschatteten Erinnerungen.
„Heute haben wir auch 160 Kinder getötet von insgesamt 178 Gegnern" © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Portät einer Gefangenen © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Portät eines Gefangenen 1 © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Portät eines Gefangenen 2 © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Was zusätzlich bei allen Fotografien auffällt: Sie wirken, als hätte man ihnen die Farbwerte entzogen. Sie wirken häufig geradezu monochrom.
Das Eingangstor zum ehemaligen Tuol Sleng-Gefängnis© Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Das Gebäude D des Tuol Sleng-Gefängnisses spiegelt sich in einer Pfütze © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Das unterzeichnete Geständnis des Gefangenen Chum Mey, eines der wenigen Überlebenden © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Das Zuordnungssystem für die Schlüssel © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Die Korridorflucht im Zellenblock C © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Ein Verhörraum im Gebäude A © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Einige der 5000 Schädel im verglasten buddhistischen Stupa, einem Denkmal für die Morde in der Massengrabstätte Choeung Ek © Ann-Christine Woehrl/Echo Photo Journalism
Auf Woehrls Arbeiten sind aber nicht nur S-21 und die Killing Fields zu sehen, d.h. die grausame Vergangenheit, sondern auch - in der gleichen Ästhetik – das Tribunal, und damit die Hoffnung, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden.
Zusätzlich zu den Fotografien werden als Kontrast antike Meisterwerke der kambodschanischen Kunst ausgestellt. Sie sollen zum einen zeigen, dass sich ein Land nicht nur durch eine kurze inhumane Epoche definiert, auch wenn sie noch so prägend erscheint. Sondern dass dieses Land eine alte Kultur mit herausragenden Kunstwerken ist. Und zum zweiten, so Visoth Chhay, soll sie aufzeigen, dass die Bevölkerung in Kambodscha stolz ist auf dieses Erbe, diese Kultur.
Ganesha, Foto: Barlovic
Torso einer männlichen Gottheit, Foto: Barlovic
Kopf eines Vishnu, Foto: Barlovic
Vishnu, Foto: Barlovic
Sicherlich keine Mainstream-Ausstellung, aber eine äußerst gelungene.
PS Die Pressekonferenz begann mit der Todesnachricht von Christine Kron, der Direktorin des Museums, die sich maßgeblich für diese Ausstellung eingesetzt hat. Shaded Memories…
Zu der Ausstellung ist ein ausführlicher Katalog erschienen