Indische Miniaturmalereien sind wie Einblicke in traumhafte, idealisierte Welten. Die Themen der Bilder sind vielfältig und reichen von religiösen und mythologischen Sujets über poetisch-literarische sowie weltlich-höfische Motive. Das Museum Rietberg eröffnet zum ersten Mal einen Blick auf die unterschiedlichen Facetten von Frauenidealen in der indischen Malerei.
Frauenbilder spielen in vielen Genres der indischen Malerei einewesentliche Rolle. Im Einklang mit den formvollendeten Ausdrucksformen in indischen Miniaturen erscheinen Frauenfiguren in den ausgestellten Werken visionengleich und ästhetisiert. Sie widerspiegeln künstlerische Ansprüche und gehen über Dar-stellungen von realen Personen hinaus. Es handelt sich nicht um Portraits von existierenden Frauen, wie sie am Fürstenhof anzutreffen waren. Die Bilder zeigen vielmehr facettenreiche Schönheiten, angelehnt an die poetischen Beschreibungen der klassischen indischen Dichter wie Jayadeva oder Kalidasa, die die weibliche Erscheinung mit positiv gewerteten Elementen der Natur verglichen: Gesichter rund wie der volle Mond, ein Mund wie ein aus dem Wasser ragender Lotos oder Beine elegant wie ein Elefantenrüssel.
Facettenreiche Ideale – Stilisierte Schönheiten
Frauendarstellungen der indischen Malerei wirken auf den ersten Blick stark stilisiert, was besonders fassbar im Kontext von Männerfiguren wird. So wirken männliche Darstellungsweisen aufgrund nuancierter, vielseitiger Gesichtszüge individualisierter oder wegen distinkter, rangbezogener Kleidung personalisierter. Das bedeutet aber nicht, dass die Maler weniger Sorgfalt und Mühe auf die Darstellung von Frauen aufwandten. Mit viel Liebe zum Detail versahen sie sie mit üppigem Schmuck, kostbaren Gewändern, delikat durchwirkten Stoffen, dezenter Schminke und eleganten Frisuren. Auch Gestik und Haltung sind genau beobachtet und durchdacht: Sie zeugen von einer eigenen Bildsprache, die von den verständigen Kunstliebhabern der indischen Fürstenhöfe hoch geschätzt und verstanden wurde.
Nebst ästhetischen Gesichtspunkten verbergen sich in der Darstellung von Frauen kunsthistorische Informationen. Diese liefern massgebliche Hinweise zur Einordnung der meist undatierten, nicht signierten Miniaturen anonymer Künstler. In Stil und Ästhetik werden zeitliche und geografische Vorlieben sichtbar: In einer Gegend sind es stark mit Kajal geschminkte Augen und eine feine Nase, in der anderen kräftige Augenbrauen mit einer prägnanten Nase. Kleider in kräftiger Farbe wechseln sich ab mit kostbaren, transparenten Stoffen oder zart durchwirkten Mustern. Mancherorts sind die ganzen Handflächen oder Fusssohlen mit Henna gerötet, andernorts nur die Fingerspitzen und Zehen.
Es sind Konventionen und Sehgewohnheiten, die aus der Bildsprache, der Kleidung und den facettenreichen Schönheiten hervortreten und weit mehr als blosse Elemente des Stils und der Mode verkörpern. Sie bezeugen mit ihrer stereotypen Erscheinung fundierte Hinweise zu künstlerischen und kunstvollen Idealen der Entstehungszeit.
AUSSTELLUNG
In sechs Sektionen zeigt die Ausstellung vom 23.5. bis zum 17.9.2017 in den historischen Räumen der Park-Villa Rieter rund 60 Sammlungswerke zu den facettenreichen Idealen von Frauendarstellungen der indischen Malerei. Zu sehen sind Miniaturen vom 15. bis 19. Jahrhundert aus verschiedenen Werkstätten vom Fusse des Himalayas bis in den Dekkan.
Der Einstieg verdeutlicht die Eigenheiten der Frauendarstellungen. Miniaturen mit abgebildeten Frauen stehen in einem direkten Dialog zu Männlichkeitsdarstellungen. Bildsprache, Bekleidung, Gestik und Haltung geben Hinweise zu den unterschiedlichen Darstellungsweisen der Geschlechter.
In der zweiten Sektion stehen zeitliche und regionale Besonderheiten im Vordergrund. Frühe Miniaturen aus dem 15. Jahrhundert bis hin zu späten Werken aus dem 19. Jahrhundert zeigen geografische und temporäre Vorlieben der Darstellungsweise.
Poesie, Ästhetik und Emotion sind zentrale Ankerpunkte der idealisierten Weiblichkeitsdarstellungen der dritten Sektion. Zu entdecken sind Darstellungen von Frauen, die vor dem Hintergrund dieser Begriffe zu lesen und entschlüsseln sind.
Im Kontrast zu diesen teilweise stark ästhetisierten Miniaturen findet sich in den Facetten der indischen Malerei eine Reihe von Bildern, die über Konventionen hinausgehen und unerwartete Frauendarstellungen inszenieren. In der vierten Sektion bricht Individualität mit normativen Vorstellungen von Ästhetik, Persönlichkeit wird zum Zentrum der Betrachtung.
Die fünfte Sektion legt das Augenmerk auf Göttinnen und Dämoninnen, die für die indische Religiosität von zentraler Bedeutung sind. In ihren Facetten kontrastieren sich Ideale und fantastische Bilder von Frauen besonders eindrucksvoll.
Die abschliessende Sektion der Ausstellung bildet eine Gruppe von Trouvaillen mit unerwarteten Szenerien. Deren anekdotische Erläuterungen verlocken zum Schmunzeln, regen aber auch zum Nachdenken an.
Alle Informationen zur Ausstellung unter rietberg.ch/frauenbilder
Parallel zur Ausstellung wird das Thema «Frauen in der Kunst» auch in den Sammlungsräumen der chinesischen und japanischen Malerei sowie in der Afrika-Sammlung im Smaragd aufgenommen.