Till FÖRSTER ist Professor am Ethnologischen Seminar der Universität Basel.
Er hat für den Ausstellungskatalog von Reinhard KLIMMT ein Vorwort geschrieben und mindestens der Objektauswahl nicht massiv widersprochen. Der Text „Was heißt hier echt?“[1], ist eine Erwiderung auf den FOCUS-Artikel 26/10 vom 28. Juni 2010, in welchem Kritiker der KLIMMT-Ausstellung in Osnabrück zitiert wurden. FÖRSTER: „Dort wird dem Sammler Klimmt vorgeworfen, dass die Mehrzahl seiner Skulpturen aus Afrika nicht echt sei, wobei im Unklaren gelassen wird, wie viele es tatsächlich sind.“[1]
Erwartet hatte ich nach diesem Satz, eine detaillierte Ausführung zu einzelnen Stücken mit Gründen, warum diese echt seien. Stattdessen folgen allgemeine Abhandlungen. Mit Büchern und abstrakten Gedanken ist aber leider nicht erfahrbar, was auch der Hände, der Augen und der Nase bedarf. Es ist allein der Vergleich vieler einzelner Stücke der schult, ein systematisches Arbeiten mit Museums- und Privatsammlungen. Sammlungsdokumentation, Aufsätze und Bücher ergänzen und füllen das optisch-haptische Gedächtnis mit Inhalt.
(Eine Frage: Gibt es an der Universität Basel noch den sog. ‚Museumsschein‘, wo genau diese Fähigkeit an einem einzelnen Stück vermittelt wird?)
Schlusssatz und wesentliches Ergebnis von FÖRSTER ist, dass die Echt oder Falsch-Frage „ohne Bedeutung für den ästhetischen Wert“ sei. Ich halte diese Behauptung für:
- falsch, denn daraus folgt, dass eine sehr schöne Fälschung einer afrikanischen Figur, in Asien hergestellt, gleichen ästhetischen Wert hätte wie das Original.
- bequem (und das sollte Wissenschaft nie sein).
- ungerecht, denn wir achten damit weder die Objekte, noch ihre afrikanischen Hersteller und Nutzer.
Wir brauchen Einzelanalyse und Diskussion. Mein Arbeitsansatz ist die systematische, digitale Erfassung aller Museums- und Privatbestände, der mühsame Weg des Systematikers. Die Bestände aller Völkerkundemuseen müssen in den nächsten Jahren digital fotografiert und mit der Sammlungsdokumentation im Internet veröffentlicht werden. Vergleiche sind dann für jeden möglich und die Objekte können in vielen konkurrierenden Projekten diskutiert werden. Ein derartiges Projekt ist die digitale Fortführung von Arbeiten der großen Systematiker der deutschen Ethnologie: Felix von LUSCHAN, Eckart von SYDOW. Ob die selbst-referentielle Ethnologie dann die Begegnung mit den Museen und dem Kunstmarkt nicht scheuen wird, bleibt abzuwarten. Die Wissenschaftler könnten vom optischen Gedächtnis und den Detailkenntnissen mancher Sammler und Händler profitieren.
Neugier und ewiger Zweifel (vor allem Selbstzweifel) sind Herz, Hand und Hirn der Erkenntnis. Obwohl wir davon ausgehen sollten, dass die meisten unserer heute so wichtigen Theorien und Erkenntnisse von späteren Generationen als falsch verworfen werden, ist dies heute notwendig. An jedem einzelnen Stück können wir diskutieren und unsere Meinung begründen, eine abstrakte Auseinandersetzung über „Echtheit (an sich)“ ist vor dem konkreten Stück sinnlos. Uns bleibt meist nur die ewige Unsicherheit vor dem Objekt. Einen Schiedsrichter gibt es nicht, aber viele Streiter und Päpste.
Nach mehreren Ansätzen einen unsystematischen Essay logisch zu ordnen, ohne an Verständlichkeit einzubüßen, habe ich mich entschieden die Textpassagen von FÖRSTER absatzweise zu zitieren (gelb), um anschließend meine Fragen und Anmerkungen folgen zu lassen. Teile des Essays, die mir für die Argumentationslogik unwichtig erschienen, habe ich weggelassen und durch (...) gekennzeichnet. Wichtige Schlüsselworte FÖRSTERs sind von mir fett markiert.
Zitat FÖRSTER:
„Man kann diese scharfe, feindselige bis herausfordernde Sprache unsachlich finden oder nicht. Neben Missgunst zeugt diese ausfallende Art der Auseinandersetzung vor allem von einem, nämlich davon, dass der Markt für afrikanische Kunst sich in seinen Äußerungen seit Jahren auf sich selbst bezieht ohne noch wahrzunehmen, was in der Wissenschaft in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten zur afrikanischen Kunst erforscht und publiziert wurde – und noch viel weniger ist er darum bemüht, zu erfahren, wie sie in Afrika selbst beurteilt wird. Dieser Kunstmarkt hat einen selbstreferentiellen Diskurs hervorgebracht, der sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigt und um sich selbst dreht.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Eine „scharfe, feindselige bis herausfordernde Sprache“ ist leider in Printmedien wie BILD, FOCUS und SPIEGEL in den letzten Jahrzehnten die übliche Form und nicht zwingend typisch für die Art der Auseinandersetzung der Afrikanische-Kunstmarkt-Teilnehmer.
** An die Missgunstthese glaube ich persönlich nicht. Ich glaube kaum, dass die im FOCUS-Artikel zitierten Kritiker eines der Stücke von Herrn Klimmt besitzen wollen. Da einige Kritiker selbst Ausstellungen organisieren, brauchen sie auch in dieser Beziehung nicht missgünstig zu sein. Sie sahen sich berufen und sind selbstbewusst genug, um die Diskussion ‚Echt oder Falsch‘ öffentlich zu führen. Ein Verhalten, das in einer Demokratie grundsätzlich erwünscht ist. Wer durch eine Ausstellung aus dem privaten in den öffentlichen Bereich wechselt, kann nicht nur Zustimmung erwarten.
** Hinsichtlich des „selbstreferentiellen Diskurs“ seien mir zunächst einige Fragen an Herrn Förster erlaubt:
- Was wurde in den letzten 20-30 Jahren im Bereich Afrikanischer Kunst erforscht und von „dem Kunstmarkt“ nicht wahrgenommen?
- Welche wissenschaftlichen Untersuchungen des weltweiten Afrikakunstmarktes bzw. der regionalen Märkte in Deutschland, Frankreich etc. gibt es? Und: welche Untersuchungen wurden vom Lehrstuhl des Herrn Förster initiiert und betreut?
- Was hat die Wissenschaft in den letzten 50 Jahren unternommen, um z. B. durch Tagungen den Austausch zwischen den Beteiligten des Afrikakunstmarktes (Sammler, Händler, Wissenschaftler), den Museen und den Universitäten zu entfalten?
Mir sind keine derartigen Bemühungen deutschsprachiger Lehrstühle bekannt, obwohl das Interesse vereinzelt vorhanden ist. Die traurige Wahrheit ist, dass die universitäre Lehre sich von der Bearbeitung materieller Kultur und der Zusammenarbeit mit den Museen in den letzten 20 Jahren weitgehend verabschiedet hat. Die universitäre Ethnologie führt, in Bezug auf Museen und Kunstmarkt, einen ebenso selbstreferentiellen Diskurs, „der sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigt und um sich selbst dreht.“ Dies resultiert auch aus der empfundenen Ver- und Missachtung ihrer Fähigkeiten, welche die MuseumskuratorInnen, Sammler und Händler an der Professorenschaft beklagen. Natürlich führt auch die Art der FOCUS-Auseinandersetzung, die FÖRSTER zu Recht unangenehm findet, nicht gerade zur zukünftigen Gesprächsbereitschaft von Universität - Sammler - Händler - Museum beitragen.
** Wissenschaftlich falsch ist, dass FÖRSTER den Begriff ‚Markt für afrikanische Kunst‘ verwendet, als wäre dies ein monolithischer Block. ‚Den‘ Markt für afrikanische Kunst gibt es ebenso wenig, wie ‚den‘ Stamm. Vielmehr besteht dieser, wie die meisten Märkte, aus vielen verschiedenen, regional differenzierten Märkten, die durch gemeinsame Ereignisse (z. B. Bruneaf, Parcours des Mondes), Auktionshäuser (z. B. Sothebys, Christies, Koller, Zemanek), Zeitschriften (z. B. Tribal Arts, A4), Kataloge und Bücher, Ausstellungen, Schlüsselpersonen (z. B. international bekannte Händler und Sammler) usw. miteinander verbunden sind. Aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht ein Allgemeinplatz.
Wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Bereich gibt es bestenfalls - und sehr selten - als Einzelstudie zu Teilbereichen. Die Verallgemeinerung von FÖRSTER entbehrt einer wissenschaftlichen Basis, und ist außerdem weder sinnvoll, noch angebracht. Längst nicht alle Afrika-Kunst-Teilmärkte sind selbstreferentiell.
** Der Diskurs der Beteiligten, z. B. in Form von Tagungen, kann die „wachsende Kluft zwischen Forschung und Wissenschaft auf der einen Seite und dem Kunstmarkt auf der anderen Seite“ verringern. Dazu gehört jedoch auch die Bereitschaft, die Fähigkeiten der jeweils Anderen sehen zu wollen und anzuerkennen; nur wenige EthnologInnen können diese zu ihren Charaktereigenschaften zählen. Durch Arroganz ist die Kluft entstanden und mit dieser vergrößert sie sich ständig.
Zitat FÖRSTER:
„Bis in die 1950er oder noch in den 1960er Jahren hatte das Sammeln afrikanischer Kunst einen anderen Charakter als heute. Es ging fast ausschließlich um Skulptur und Plastik, denn andere Kunstformen fielen zunächst kaum unter den unscharfen Begriff der afrikanischen Kunst. Es gab die ästhetische Qualität, also die Gestalt des Werkes und es gab dessen Authentizität. Für letztere ließen sich augenscheinlich sichere Merkmale anführen, die belegten, dass eine Skulptur nicht „gefälscht“ war – oder umgekehrt, dass sie authentisch war. Dazu dienten Gebrauchsspuren wie etwa Schweiß auf der Rückseite der Masken, ausgerissene und abgeriebene Durchführungen für Halterungen oder natürlich das Fehlen industrieller Farben oder Öle. Was wie auszusehen hatte, war damals Wissen, das vornehmlich von Ethnologen beigesteuert wurde. Es wurde nachgerade von ihnen verlangt, und fast jeder Sammler afrikanischer Kunst bezog sich auf diese Literatur oder besaß sie sogar. Ethnologen sollten zeigen, wie eine Maske getragen wurde oder wie eine Statuette in dem Zusammenhang aussah, in dem sie in Afrika gebraucht worden war. Gleiches galt für den Stil. Er sollte einem der „Stämme“ entsprechen, die Ende des 19. Jahrhunderts in dem kolonialen Inventaren der großen imperialen Mächte verzeichnet wurden. Wenn dies alles mit dem übereinstimmte, was man von Ethnologen erfuhr, dann war man sich sicher, ein authentisches Werk vor sich haben. Authentisch hieß also vor allem eines: Das Kunstwerk sollte von lokalen, afrikanischen Handwerkern für ein lokales, afrikanisches Publikum gemacht worden sein. Um dies plausibel zu machen, war ein möglichst hohes Alter folgerichtig – am besten eines, das vor den Beginn der Kolonialzeit als Datum ante quem verwies. Denn wenn ein Werk vor dieser Zeit entstanden war, konnte es, so die Grundüberzeugung, auch nicht für fremde, womöglich europäische Auftraggeber entstanden sein. All das hat sich im Laufe der Zeit als unzureichend erwiesen. Aus der Sicht der Sammler wurde aus den immer feinsinnigeren Methoden, „Fälschungen“ zu erkennen ein Rennen von Hase und Igel. Immer wenn Sammler und Kunsthändler wieder einen neuen „Trick“ der Fälscher erkannt hatten, waren diese schon einen Schritt weiter und „täuschten“ erneut ein Alter der Werke vor, welches diese nicht hatten. Schlussendlich gab es keine Sammlung und keine Ausstellung mehr, an der nicht früher oder später Zweifel an einzelnen Werken geäußert wurden. Selbst die gewaltige und höchste Ansprüche reklamierende block-buster-show „Africa. The Art of a Continent,“ die 1995 an der Royal Academy of Arts in London gezeigt wurde, ist von solcher Kritik nicht verschont geblieben.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Der einleitende Satz ergibt keinen Sinn, denn auch heute geht es ‚dem Kunstmarkt‘ meist um Figuren und Masken. Worin liegt also der Unterschied?
Interessanterweise betitelten die wichtigen deutschen Theoretiker und Systematiker bis in die 1930iger Jahre (z. B. EINSTEIN, von SYDOW, VATTER, NUOFFER) ihre Hauptwerke meist mit dem Wort ‚Plastik‘ und nicht mit ‚Kunst‘.
** Der Begriff ‚Authentizität‘ taucht meines Wissens erst um 1974 auf und wurde z. B. von Henri KAMER in einem Aufsatz verwendet („De L’Authenticite des Sculptures Africaines“[2], „The Authenticity of African Sculptures“[3], ).
** Da die damalige Händlergeneration Afrikanischer Kunst auch nach Afrika reiste, waren es durchaus nicht nur die Ethnologen, die das Erkennen von Fälschungen thematisierten und untersuchten. Die Zahl deutscher Ethnologen, die sich mit diesem Thema beschäftigten war und ist verschwindend gering. Der Wichtigste, Hans HIMMELHEBER, wurde von vielen der damaligen Lehrstuhl-Ethnologen ebenso gemieden, wie das Thema selbst.
** Einziges Fazit der langen Ausführungen: exakte, gleichsam naturwissenschaftliche Beweise der Echt- oder Falschheit gibt es nicht. Für diejenigen (Sammler, Händler, Museen), die sich regelmäßig mit diesem Thema beschäftigen, nichts neues. Dafür hätte wenige Sätze gereicht.
** Störend auch das implizit entstehende Bild von ‚dem‘ Sammler. Welches wissenschaftliche Weltbild steht hinter derartigen Verallgemeinerungen? Typen zu verwenden, ohne diese einzugrenzen, ist wissenschaftlich nutzlos.
Zitat FÖRSTER:
„Was heißt also echt? Die kurze Antwort ist, dass es eine Leerstelle bezeichnet. Echtheit ist etwas Unentscheidbares, dessen Evaluierung notwendig scheitern muss. Sie entspricht genau dem, was der französische Philosoph Jean-François Lyotard schon 1979 als Charakteristikum der condition postmoderne unseres Lebens bezeichnet hat. Man könnte es dabei bewenden lassen, aber es macht mehr Sinn, sich anzuschauen, wie die einzelnen Kriterien, nach denen der moderne Sammler- und Kunstmarkt Echtheit konstruiert hat, heute in der Wissenschaft diskutiert werden.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Das Echt-falsch-Problem kann wissenschaftstheoretisch als eine spezielle Variante des Problems ‚Wahr‘ oder ‚Nicht Wahr‘ betrachtet werden. Die Auseinandersetzung zu diesem Thema ist wesentlich älter, wichtiger als LYOTARD, der sich auf WITTGENSTEIN bezieht, ist dann Sir Karl POPPER mit seiner Arbeit „Logik der Forschung“ (1934). Wichtigstes, stark vereinfachtes Ergebnis ist, dass die Suche nach endgültiger Wahrheit zugunsten einer Falsifizierbarkeit von Theorien aufgegeben wird, d.h. Thesen sind so lange gültig bis sie durch empirische Erkenntnisse widerlegt werden. Wahrheit und Echtheit, selbst wenn es etwas „Unentscheidbares“ wäre, sollten wir die Suche nie aufgeben. Denn wer die Suche nach Wahrheit aufgibt, verabschiedet sich von einer wissenschaftlichen Arbeitsweise, die bisher ausreichend positive Beiträge geleistet hat.
Die Frage der Echt- oder Falschheit eines Stückes wäre heute zu beantworten, wenn Herstellung und Benutzung des gesammelten Stückes dokumentiert worden wäre. In den wenigsten Fällen ist dies der Fall und eigenartigerweise sind es nicht diese ‚bewiesenen‘ Stücke, die als besonders wertvoll gelten. Wären von den Sammlern und Händlern jährliche Werksverzeichnisse aller, aus Afrika neu importierten Stücke angelegt worden, würden wir heute wenigstens das ‚Eingangsjahr‘ kennen.
Für fast alle Stücke gilt das Authentizitätsdilemma der Afrikanischen Kunst:
es gibt Stücke die ‚authentisch‘ sind, aber diese Eigenschaft ist nicht beweisbar.
Aus diesem Dilemma folgen mindestens drei weitere Paradoxa:
- Ein Stück kann echt sein, obwohl es alle für falsch halten.
- Ein Stück kann falsch sein, obwohl es alle für echt halten.
- Ein Stück kann beides sein, wenn z. B. die Industriefarbe vom Händler beseitigt, eine Patina vom Händler oder Sammler erzeugt wurde, wesentliche Teile in Europa ergänzt wurden, das Museum den Benin-Bronzekopf mit zuverlässigen Haushaltsmitteln grundgereinigt hat.
Weitere Anmerkungen zu Authentizität und Provenienz unter: „Markt für Afrikanische Kunst“[4]
Zitat FÖRSTER:
„Da ist der Stamm. Als tribus einmal aus dem Lateinischen abgeleitet, wurde das Wort zu tribe im Englischen und tribu im Französischen. Die überwiegende Mehrheit der afrikanischen Kunst wird in diesem Markt noch immer als „Stammeskunst“ angesehen. Die Versuche, den Begriff inhaltlich zu schärfen haben sich gegenüber seiner ideologischen Verwendung sämtlich als zu schwach erwiesen. Das Wort gehörte einst in das koloniale Vokabular, und mit der Unterwerfung des inneren Afrikas erlebte es seine Blüte. Es sollte einen generellen, wesentlichen Unterschied zwischen den kolonialisierten Gesellschaften und der modernen, westlichen Gesellschaft ausweisen – einen Unterschied, der sich vor allem aus eben jener Ideologie des kolonialen Staates speiste und sich bei näherer Betrachtung in Luft auflöste: Die Gesellschaften Afrikas waren einfach zu vielgestaltig als dass sie sich über einen Kamm scheren ließen. Dementsprechend, aber mehr noch aufgrund seines exkludierenden, pejorativen Gebrauchs, ist das Wort mit der Entkolonialisierung auch aus dem Vokabular der Ethnologie verschwunden.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Das Wort ‚tribus‘ bezeichnete eine Abteilung der Bürgerschaft Roms. Das englisch Wort ‚tribe‘ und das französische ‚tribu‘ entsprechen in ihrer Verwendung weitgehend dem deutschen Wort ‚Stamm‘. Es mag sein, dass ‚Stamm‘ im deutschsprachigen Kolonialbereich Afrikas diffamierend benutzt wurde. War dies auch in Amerika, Asien, Ozeanien etc. so? Meiner Kenntnis nach nein. Wurde ‚tribe‘ (England, Amerika) und ‚tribu‘ (Frankreich, Belgien) ähnlich verwendet? Erst wenn dies zutrifft, könnte eine gewisse Ächtung des Begriffes vorgeschlagen werden. Wenn dies nicht zutrifft, könnte man die Sprachdebatte der Afrikanisten als kleinkariert bezeichnen; in den Naturwissenschaften sind Sprachdebatten eher selten.
Übrigens sagt die Deutsche Enzyklopädie: „Ethnos (gr. Volk) bezeichnet in der Geschichte Stämme oder Völker. ... Ethnie wird meist synonym zu Volk, Stamm, Volkszugehörigkeit oder Nation verwendet.“ Also die Ethno-logie als Lehre von den Stämmen und Völkern.
All dies hat wenig, mit der Diskussion der Frage „Was heißt hier echt?“ zu tun, daher möchte ich nicht weiter darauf eingehen. Die Ankündigung ‚der‘ Kriterien, nach denen „der moderne Sammler- und Kunstmarkt Echtheit konstruiert“ -, sehe ich mit diesen Ausführungen nicht erfüllt.
Zitat FÖRSTER:
„Was hat das alles mit Kunst zu tun? Eine ganze Menge. Denn das übliche Deutungsmuster „ein Stamm – ein Stil“ ist eine Konstruktion der Kolonialzeit und entsprach nie der Praxis künstlerischen Schaffens in Afrika. Immer hat es Austausch zwischen den verschiedenen Gesellschaften gegeben, und natürlich auch zwischen den verschiedenen Künstlern, die diesen Gesellschaften angehörten. Die Vorstellung, dass Afrika aus in sich ruhenden, isolierten Gemeinschaften bestand, die sich gleichsam nur an ihren Rändern berührten, ist eine koloniale Vorstellung, die längst widerlegt ist. In der Ethnologie weiß man seit 40 Jahren, ziemlich genau seit 1969, dass ethnische Identitäten durch handelnde Menschen geschaffen werden, sie sind nicht einfach da. Gleiches gilt für die Geschichtswissenschaft, die immer wieder gezeigt hat, wie „Stämme“ durch den kolonialen Staat geschaffen wurden. Selbst in den Kunstwissenschaften ist dies längst anerkannt. Schon 1974 zeigte René Bravmann, dass die Gleichung „ein Stamm – ein Stil“ nicht aufging. Später wurde das Deutungsmuster mehrfach widerlegt und als das erkannt, was es eben war: Eine Konstruktion kolonialen Ursprungs.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Wer sind die Vertreter des „ein Stamm - ein Stil“ Deutungsmusters? Hier gibt FÖRSTER keine Beispiele, auch nicht „der Kolonialzeit“, gibt es keine? Ich kenne vor allem William FAGG als Vertreter dieser Theorie, dessen Werke sind aber erst ab Mitte der 1960iger Jahre erschienen, da war die Kolonialzeit schon fast vorbei. Natürlich kenne auch ich ein paar Personen, die im Gespräch erkennen lassen, dass sie die Stil-Vielfalt von Sprachgruppen und Regionen durch Nichtbeachtung ausblenden. Diese Personen zum „üblichen Deutungsmuster“ zu erklären, ist schlicht falsch. Für „den Kunstmarkt“ gilt, was FÖRSTER für Afrika fordert; auch hier werden „Identitäten durch handelnde Menschen geschaffen“. Nur wer Einzelpersonen und Gruppen, mit ihren Interessen, unterscheidet, kann diese analysieren, sagt die Soziologie spätestens seit Max WEBER und deutlich vor 1969.
** Ich finde bei vielen deutschen Theoretikern der Zeit zwischen 1890 bis 1933 das Bemühen regionale Stilmerkmalen zu erkennen. Bei von SYDOW ist bereits um 1930 mehrfach darauf hingewiesen, dass er in der Literatur diesen Austausch beschrieben fand, auch entsteht beim Lesen seiner Werke keineswegs der Eindruck von „in sich ruhender, isolierter Gemeinschaften“. BRAVMAN hat also lediglich 1974 wiedererkannt, was mindestens dem großen Systematiker SYDOW bereits bekannt war.
Zitat FÖRSTER:
„Nun heißt es, man brauche jahrelange Erfahrung, um den Stil eines „Stammes“ erkennen und richtig einschätzen zu können. Das ist richtig – aber anders, als man es auf den ersten Blick verstehen mag. Denn das Erkennen ist nicht etwa dem bloßen Betrachten eines Werkes geschuldet, es ist abhängig vom Kontext. Im welchem Maße das der Fall ist, lässt sich schön mit einem Fall aus dem Buch „African Art in Transit“ von Christopher Steiner illustrieren.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Vielleicht sollte man die Wortfolge „ein Stamm - ein Stil“ durch den Begriff ‚regionale Stile“ ersetzen. Sowohl Hersteller, als auch Nutzer können (teilweise) regional eingeordnet werden, auf mehr kommt es bei einer Stilanalyse meiner Meinung nicht an. Natürlich muss das optische Gedächtnis trainiert werden, um Stilmerkmale zu identifizieren. Wer diese Fähigkeit im wissenschaftlichen Sinn schulen möchte, sollte die Stücke immer im gleich neutralen Kontext miteinander vergleichen. Keine Sockel und Halterungen, kein besonders Licht um Einzelstücke hervorzuheben, keine weiteren Angaben zum Einzelstück vor und während des Betrachtens, immer die gleichen fotografischen Perspektiven.
** Das Buch von STEINER ist sehr informativ und spannend mit wunderbaren Beispielen, die alle echt sein können, aber nicht beweisbar echt sind: die große Einschränkung jeder Einzelfallstudie. Räumlich und zeitlich eingeschränkt, ohne unabhängige Zweit-, Dritt- oder Viertmeinung, daher ohne verallgemeinerbare Gültigkeit. Notwendig wären seit Jahren konkurrierende, langfristige Projekte in Afrika, wie dies in vielen anderen Wissenschaften üblich ist. Warum schafft es die Ethnologie nicht, mittel- (5-10 Jahre) und langfristige (10-30 Jahre) Feldstudien an vielen Orten Afrikas zu realisieren?
** Leider sind auch diese langen Ausführungen ohne Belang für die Entscheidung, ob ein konkretes Stück Echt oder Falsch ist. Zusammengefasst erfahren wir einiges darüber, nach welchen Kriterien FÖRSTER ‚den modernen Sammler- und Kunstmarkt“ konstruiert, den er nur auszugsweise persönlich kennt und nicht wissenschaftlich analysiert hat, aber wenig darüber, wie die Frage „Was heißt hier echt?“ angesichts eines Stückes zu beantworten wäre.
Zitat FÖRSTER:
„Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Merkmale eines Werkes, welches es als authentisch ausweisen, nur in einem Deutungszusammenhang Sinn machen. Die internationale Kunstwelt lässt sich als ein solcher Kontext beschreiben – einer, der sich diskursiv formiert und zur Bildung eines festen Kanons geführt hat. Erst dieser macht es möglich, ein Stück als „typisch Kuba, Pende, Yoruba, etc.“ zu beschreiben. Wie dieser Kanon aussieht, kann man lernen. Tatsächlich bedarf es vieler Jahre, um darin Meisterschaft zu erwerben. Was man lernt, ist aber nicht etwas, das aus der Wirklichkeit der Kunst in Afrika kommt, sondern etwas, was erst als Einheit konstruiert worden ist. Das Bild, das Imago, welches man sich von einem „Stammesstil“ in der Kunstwelt macht, ist durch diese selbst geschaffen. Sie ist es, die durch autoritative Referenzen auf einzelne ikonografische und stilistische Merkmale erst jene Wirklichkeit schafft. Die Grenzen lassen sich ziehen, weil ethnische Stile selbst kein Signifikat haben. Afrikanische Künstler waren und sind wie andere Künstler auch. Sie haben aufgegriffen, was ihnen sinnvoll erschien, haben übernommen, manchmal kopiert, manchmal Neues entwickelt, und manchmal auch abgelehnt, was sie gesehen haben. Dieser Prozess konstituiert die eigentliche Geschichte der Kunst in Afrika – nicht etwa die auf einem kolonialen Deutungsmuster aufbauende Gleichung „ein Stamm – ein Stil“. ... Auch das lässt sich illustrieren, diesmal mit einem Beispiel aus meiner eigenen Forschung. Da gab es einen hochbegabten Schnitzer, der als Künstler der Senufo ausgewiesen war. Er bediente eine unterschiedliche Klientel, einmal die lokalen Kunden, die ab und zu und eher selten von ihm eine Maske orderten. Zum anderen produzierte er für europäische Kunden, die damals, d.h. vor dem Krieg, gelegentlich in der Stadt vorbeikamen. Für erstere, die lokale Kundschaft, schuf er eine Maske, die zwar als kodali zu erkennen war, doch sie wich in vielen Merkmalen deutlich von dem ab, was man auf dem internationalen Kunstmarkt als „Senufo-Stil“ hätte durchgehen lassen. Sie wäre unter diesem Etikett nicht verkäuflich gewesen. Dennoch war die Maske ästhetisch überzeugend, und das nicht zuletzt gerade wegen ihrer Originalität, die die „typischen“ Proportionen neu formte und zu einer Spannung führte, die nicht mehr viel mit der Ausgeglichenheit älterer Stücke zu tun hatte. Natürlich war die Maske neu, brandneu sogar. Sie hätte nie einen Käufer auf dem Sammlermarkt gefunden. Aber ist sie deswegen schlechter gewesen? Das zu behaupten, hieße einen Kategorienfehler zu begehen. „Echt“ im Sinne der Kunstwelt vermengt ästhetische Argumente mit anderen. Diese anderen sind nicht zuletzt institutioneller Art, bestätigen also die Grenzen der Kunst und damit der Kunstwelt, und schließlich den monetären Wert der Werke als Kunst.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Für einen Teil des Kunstmarktes kann ich diese Kritik FÖRSTERs an einem „festen Kanon“ teilen, solange er jedoch von „der „internationalen Kunstwelt“ spricht, ist diese Aussage in ihrer Absolutheit falsch. Eine Ursache des Kanons ist, dass zu wenig mit Museumsbeständen gearbeitet wird. Händler und Sammler dürfen in der Regel nicht in die Depots, Wissenschaftler sind dort eher selten zu finden.
** Nicht ganz klar ist mir, ob FÖRSTER nur diesen „festen Kanon“ der „internationalen Kunstwelt“ kritisiert, oder ob er auch das Vorhandensein regionaler Stile bzw. identifizierbarer Stile ablehnt. Wer systematisch arbeitet und viele Stücke incl. Sammlungsangaben miteinander vergleicht, findet beschreibbare, gemeinsame Merkmale verschiedener Werke vor, die regional geordnet werden können. Die Bildung von Oberbegriffen (z. B. Kota) finde ich nicht bedenklich, wenn der Autor (z. B. PERROIS) die subsummierten Gruppen aufführt. Viele regionale Stile, wobei im französisch- und englischsprachigen Raum durchaus die Worte tribe und tribu verwendet werden, sind von, bisher anerkannten, Ethnologen und Fachleuten (PERROIS, NEYT, LEHOUARD etc.) analysiert und die Einzelstücke sortiert worden. Ob FÖRSTER auch diese Arbeiten kritisieren will und zur „internationalen Kunstwelt“ rechnet?
** Zum Beispiel der Senufo-Maske: ich kenne Sammler, die auch, oder manchmal gerade solche Stücke, erwerben; meine Person eingeschlossen.
Zitat FÖRSTER:
„Das Unglück des Diskurses über Echtheit ist, dass er den Blick auf die Ästhetik der Werke zunehmend verstellt. Ein Werk ist alt. Ein Werk ist neu. Gut oder nicht gut. Sie mögen gleich aussehen, aber nur das zweite verliert seinen monetären Wert. Dessen ungeachtet bleibt sein gestalterischer. ... Heute, zwanzig Jahre nachdem diese Debatte hätte geführt werden müssen, erscheint sie nur noch anachronistisch. Es wäre Zeit, sich endlich der Gestalt der Werke zuzuwenden, und falsch und echt das sein zu lassen, was sie sind: ohne Bedeutung für den ästhetischen Wert.“[1]
Anmerkungen Schlothauer:
** Für ganz falsch, aus Sicht der „internationalen Kunstwelt“ halte ich die Behauptung FÖRSTERs, dass der Echtheits-Diskurs, den Blick auf die Ästhetik verstellt. Vielmehr sind sehr viele Eigentümer (Händler und Sammler) ‚bedeutender Stücke‘ oder von ‚Objekten mit Weltgeltung‘ der Meinung, dass sie das Schönste aller Stücke diesen Types besitzen. Die Schönheit steht immer im Vordergrund, die Echtheit ist lediglich wichtigste Voraussetzung, dass dieses Stück berechtigt als schön gelten darf.
** Ich halte es für wichtig beide Diskussionen zu führen. Über die Echt-/Falschheit eines Stückes, sollte ebenso diskutierbar sein, wie über die Ästhetik. Obwohl beide Diskussionen wie oben angedeutet schwierig sind, sind diese notwendig. Weiterhin glaube ich nicht, dass die Frage nach Echt-/Falschheit ohne „Bedeutung für den ästhetischen Wert“ ist. Für den Teil der ästhetischen Betrachtung, der ausschließlich von dem ausgeht, was einzelne Personen oder z. B. europäische Betrachter (einzeln oder als Gruppe) schön empfinden, ist dies möglicherweise egal. Will man jedoch den Herstellern und Nutzern gerecht werden, so halte ich es für angemessen sich ausführlich mit den Stücken zu befassen, um ihre spezielle Ästhetik zu analysieren. Diese Arbeit schließt selbstverständlich ein, dass erst einmal alle Stücke eines erkennbaren Stiles systematisch zu erfassen sind. Erst anschließend ist ein Sortieren in weitgehend gesicherte Stücke (meist aus Museumssammlungen) und unsichere Stücke möglich. Eine allgemeine Theorie kann hier nicht formuliert werden, da es um Einzelbeurteilungen geht.
** Viele Händler und mit ihnen finanziell verbundene Sammler gehen meist implizit von einer universell gültigen Ästhetik aus; also einer, von allen Menschen gleichermaßen erkennbaren Schönheit oder Qualität eines Stückes. Dahinter steckt ein Denkansatz, der von Henri KAMER einmal wunderbar deutlich formuliert wurde. „‘Sentir‘ la qualité d‘un objet est une sorte de sixieme sens échappe malheuresement à trop de personnes et quie domme toute sa valeur au jugement d‘un expert.
Il est possible d‘apprende à reconnaitre les styles caractérisant les differéntes tribus, leurs cultures, en lisant les ouvrages publiés, ou mieux encore, en procédant à des études sur place. Mais le gout et le sens de la qualité ne s‘acquièrent jamais: ils sont innés.“ (S.38)[2,3]
Verkürzt gesagt: Dieses Stück ist das Schönste. Wer das nicht erkennt, ist zu dumm. Das Erkennen von Qualität ist nicht erlernbar, entweder man hat es oder nicht.
Ich halte diesen Denkansatz für falsch und außerdem totalitär. Sie scheidet die Menschheit in Dumme und Wissende, nur letztere sind zum Erkennen absoluter Wahrheiten befähigt. Ein gefährlicher Glaube.
Die Anhänger dieser Universalästhetik sind den Beweis ihrer Theorie bisher schuldig geblieben, daher möchte ich meine Grundhaltung nicht weiter ausführen.
Mit dem optischen Gedächtnis ist es wie mit dem absoluten Gehör eines Musikers. Natürlich kann der so Begabte den genauen Ton benennen, und empfindet möglicherweise Dissonanzen und schlecht gestimmte Instrumente als grauenhaft. Aber das absolute Gehör befähigt nicht zu dem Urteil, ob eine Melodie die Schönste sei.
Quellenverweise, Literatur
- [1] http://about-africa.de/messen_auktionen_galerien/vortraege/AMG-2010IB-2d.php, Was heißt hier echt? Ansichten einer verspäteten Debatte über afrikanische Kunst, Prof. Dr. Till Förster, 2010
- [2] Henri Kamer - De L’Authenticité des Sculptures Africaines, Artes d'Afrique Noire, No. 12 (1974)
- [3] Englische Übersetzung nach Henri Kamer - De L’Authenticité des Sculptures Africaines, Artes d'Afrique Noire, No. 12 (1974), : The Authenticity of African Sculptures, http://www.tribalartforum.org/essay_00003/essay.html
- [4] http://about-africa.de/frankfurt/vortraege/FM-2009HT-9.php, Markt für Afrikanische Kunst - ein betriebswirtschaftlicher Essay, Dr. Andreas Schlothauer, 2009
Vielen Dank an Dr. Andreas Schlothauer!
Weiterführendes von Redaktion gefunden
http://galerie-herrmann.com/arts/art6/Afrika_Szene/Udo_Horstmann.html