Buchbesprechung: "Raubkunst" Wirklich geraubt? von Karl-Ferdinand Schaedler

Was Moritz Holfelder in seinem Buch ‚Unser Raubgut‘ (zum meiner Buchbesprechung) als Untertitel versprach, aber wegen der Bravheit des Buches und der Schere in seinem Kopf nicht einhalten konnte, das ist Karl-Ferdinand Schaedlers neues Buch “‚Raubkunst‘ Wirklich geraubt?“: Eine Streitschrift. Der 89-jährige Doyen der traditionellen afrikanischen Kunst in Deutschland muss sich nicht anbiedern, braucht keine Befindlichkeiten zu beachten (oder um Forschungsgelder zu buhlen), sondern kann ungefiltert seine Sicht auf Themen wie Erwerb von Objekten im kolonialen Kontext in Afrika oder Restitution schreiben. ‚Der Fall Afrika und die Mär vom kolonialen Kontext‘ lautet der Untertitel des Buches.

Dementsprechend geht er viele Aspekte anders an, als sie im Moment in Leitmedien diskutiert werden. So leugnet er natürlich nicht die negativen Folgen der Kolonialisierung Afrikas durch europäische Staaten, betont jedoch, dass Kolonialisierung keine europäische Erfindung sei, sondern dass afrikanische Herrscher und Volksgruppen oder arabische schon seit langem afrikanische Regionen unterjocht hatten und durch den Sklavenhandel (zumeist für westliche Händler) Reichtum und Macht vermehrten. In dieser Lesart sind beispielsweise die Kriege zwischen Dahomey oder Benin mit Europäern Machtkämpfe von Kolonialmächten. In dem Zusammenhang sieht er die damaligen neuen europäischen Kolonien nur als eine Art „Farbwechsel der Herren“, was vor allem für Völker gelte, die „jahrhundertelang vom Sklavenhandel unterdrückt waren“.

Ein heißes Eisen greift Schaedler in seinem Kapitel über den Herero-Krieg auf. Für ihn sind die Auseinandersetzungen kein Völkermord, sondern Krieg. Als Beleg führt er u.a. auf, dass der damalige deutsche Kommandant Lothar von Trotha zwar gesagt habe: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero (…) erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schiessen“. Auf diesen Satz würden sich viele Anhänger der Völkermord-These stützen. Allerdings wäre dies im Tagesbefehl präzisiert worden, dass „das Schießen auf Weiber und Kinder so zu verstehen ist, dass über sie hinweg geschossen wird, um sie zum Laufen zu bringen“. Was gegen einen geplanten Völkermord sprechen würde. (Andererseits ist es den Tausenden Herero, die damals starben, wohl egal, unter welcher Kategorisierung dies geschah)

Naturgemäß hat Karl-Ferdinand Schaedler, der sich seit der 1960er Jahre mit Afrika und afrikanischer Kunst und dem Handel damit befasst und häufig den afrikanischen Kontinent besucht hat, auch zum Thema Raubkunst eine andere Meinung als beispielsweise Holfelder. Für ihn wurden bereits im kolonialen Kontext die meisten Werke eben nicht ‚geraubt‘, sondern zumeist gekauft. Als Beleg hierfür sind in dem Buch Fotos zu sehen, die zeigen, wie Afrikaner Objekte anbieten. Natürlich seien auch manche Werke gewalttätig im Zuge von kriegerischen Auseinandersetzungen in den Westen gelangt, dies sei aber Beutekunst und keine Raubkunst.

Zusätzlich weist er darauf hin, dass es bisher nur Einzelbeispiele für einen Raub im kolonialen Kontext gäbe, auf die sich Autoren wie Sarr/Savoy beziehen würden. Und er ist der Ansicht, dass viele Objekte, die in den Westen gelangt sind, Kopien seien oder Stücke, die ihre religiöse Bedeutung bereits eingebüßt hätten - sonst hätte man sie nicht verkauft.

Schließlich vermutet er hinter der Restitution von Objekten einen eurozentrischen Blick, da in Afrika „das kultische Geschehen der Gegenwart“ zähle und die alten in Europa und USA vorhandenen Stücke keine religiöse Bedeutung mehr hätten.

“‚Raubkunst‘ Wirklich geraubt?“ drängt einen dazu, sich noch intensiver mit der Thematik zu befassen und genauer zu hinterfragen, welche Standpunkte es gibt und wie man sich selber dazu positioniert. Viel mehr kann man von  einem Buch kaum erwarten!

Ich persönlich fand es z.B. zwar gut, dass deutlich gemacht wird, dass manche afrikanische Herrscher und Volksgruppen keine passiven Opfer waren, sondern ebenfalls Kolonialherren und Sklavenhändler. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig beispielsweise thematisiert wird, dass das Königsreich Benin seinen Reichtum auf Unterdrückung, Gewalt, Handel mit Sklaven (und später Palmöl) begründet hat. Damit ist für mich die Verehrung der zugegeben kunstvollen Bronze-Köpfe in deutschen Medien als wichtiger Teil der nigerianischen Identität genauso, als würde man in Deutschland dafür eintreten, dass die Denkmäler von Bürgerkriegshelden der Südstaaten der USA wieder im Süden aufgestellt und gefeiert werden.

Andererseits darf dies aber nicht dazu führen, europäische (oder heutzutage US-amerikanische oder chinesische oder saudi-arabische oder die durch die auch vorhandene hässliche Fratze des Kapitalismus bzgl. der Ausbeutung der Rohstoffe) Schuld zu verdrängen - was Schaedler auch nicht macht. Der Westen hatte und hat in Afrika viel Dreck am Stecken - auch wenn Afrikaner dabei mithelfen.

Ich leite aus dem Buch für mich ab, dass wir eine tiefgehende ergebnisoffene Provenienzforschung benötigen. Es gibt zwar bisher kaum Belege dafür, dass afrikanische (und ozeanische) Kunst im kolonialen Kontext tatsächlich in größerem Ausmaß geraubt oder erbeutet wurde. Andererseits bietet Schaedlers Buch bis auf die Fotografien und theoretischer Begründungen auch recht wenig konkrete Beweise dafür, dass damals solche Objekte tatsächlich überwiegend ‚fair‘ erworben wurden. Hier bleibt abzuwarten, was die von deutschen Stellen versprochene Provenienzforschung in Zukunft zu Tage bringen wird. Dabei genügt es aber nicht zu schauen, wie die Objekte in die Museen kamen, sondern ob es Hinweise gibt, wie der Erwerb vor Ort geschah. Wie beispielsweise die Lage zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort war, als Objekte gesammelt wurde.Gab es z.B. schwere Repressalien durch die Kolonialmacht oder hatte sich die Bevölkerung mit ihr arrangiert. 

Übrigens fand ich von den Vorträgen auf der Tagung der Freunde der afrikanischen Kultur im Oktober in Hildesheim den von Glenn Arthur Ricci von der Universität Oldenburg am interessantesten. Ricci berichtet von seinen Datenbank-Recherchen. So habe es den Anschein, dass dann, wenn es während der Kolonialzeit eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen westlichen Mächten und Afrikanern gegeben habe, verstärkt Waffen und weniger andere Güter gesammelt und nach Europa verschickt wurden. Gab es aber keine Kämpfe, war es umgekehrt. Dies könnte zu einem wichtigen Schlüssel werden: Falls an einem Ort und zu einem Zeitpunkt verhältnismäßig viele Waffen gesammelt wurden, könnte man davon ausgehen, dass ein großer Teil der übrigen Sammlung ebenfalls geraubt oder erbeutet oder unter großem Druck abgegeben wurde. Waren aber verhältnismäßig wenig Waffen dabei, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Masken, Figuren und Alltagsgegenstände ohne Zwang erworben wurde. Ich freue mich auf seine weitere Forschung.

Karl Schadler in Landshut

Karl-Ferdinand Schaedler. Foto: Barlovic

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Dall’Armisterst. 3, 80638 München

Preis: 24,80 Euro

Autor

  • Ingo Barlovic

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