Susan Vogel beschreibt sie in ihrem wirkmächtigen Buch ‚African Explores‘ aus dem Jahr 1994 als ‚New Functional Art‘: die faszinierenden figurativen Särge aus Ghana, die nicht nur auf dem Kunstmarkt für Aufsehen sorgen, sondern auch in Ghana bei Beerdigungen verwendet werden. Und sie sieht sie als Erfindung des Schreiners Kane Kwei (1925-1992) aus den 1970er Jahren.
Mit solchen Fehlzuschreibungen räumt Regula Tschumi in ihrem wunderbar bebilderten Buch ‚Verborgene Kunst - Die figürlichen Sänften und Särge in Ghana', Edition Till Schaap 2014, auf, das auf ihrer Dissertation basiert. Sie hat dafür insgesamt 5 Jahre für Feldforschung bei der Volksgruppe der Ga im Süden Ghanas verbracht.
Dabei nimmt sich die Autorin viel Zeit, um den gesellschaftlichen Kontext, das Glaubenssystem und die Beerdigungsriten der Ga zu beschreiben, weil sie darin den Schlüssel für ihre außergewöhnliche Sargkunst sieht. Hierbei fand ich es besonders spannend, dass die Ga keine Masken und Figuren schnitzen, da die spirituellen Clanoberhäupte Abbildungen, mit denen die Götter manipuliert werden könnten, ablehnen. Erlaubt ist aber eine perfomative Körperkunst, zu der Sänften und Särge in einer engen Verbindung stehen: Sänften sind das erste und Särge das letzte Kleid eines Chiefs.
Dies ist das Bahnbrechende an dem Buch: Tschumis mit Beispielen und theoretischer Untermauerung belegte These, dass die Särge eben nicht, wie lange in westlichen Kunstkreisen angenommen, aus dem Nichts kamen, weil sie der begabte Tischler Kane Kwei aus Teshie angeblich erfunden hatte, sondern dass diese Objekte schon lange vor Kanes Zeit Teil der Kultur der Ga waren.
Demnach haben die Ga schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts figurative Sänften angefertigt, mit denen sie bei Festivals ihre Oberhäupter trugen und damit deren Identität demonstrierten. Diese Sänften blieben dann nach dem Tod ihres Besitzers quasi als Heiligtümer in der Familie, über die man den Kontakt mit den Ahnen erhalten konnte. Die Sänften konnten also, anders als man vor Tschumis Forschung angenommen hatte, auch nicht für die Beerdigungen der Oberhäupter eingesetzt werden (und hätten sich auch aufgrund ihrer Bauart auch nicht dafür geeignet). Für Beerdigungen, also für den Verbrauch, wurden dann aber ‚Sänftenkopien‘ eingesetzt: Eben die figürlichen Särge, die nun heute auch für die „gewöhnlichen“ Ga verwendet werden .
Im Zuge ihrer Recherche konnte Regula Tschumi nicht nur die Nutzung der Särge kontextualisieren, sondern auch die oft kolportierte Storys wiederlegen, Kwane Kwei oder Paa Joe (1947) seien die „Erfinder“ dieser Sargkunst: Vor ihnen hatte nämlich bereits Ataa Oko (1918-2012) in den 1940er Jahren solche Särge hergestellt und sich dabei von den figürlichen Sänften von Accra inspirieren lassen. Und zudem gibt es auch Hinweise, dass bereits vor ihm figurative Särge angefertigt und bei Beerdigungen von Oberhäuptern verwendet wurden.
‚Verborgene Kunst - Die figürlichen Sänften und Särge in Ghana' ist ein sehr lesenswertes Buch, das in der ersten Hälfte wissenschaftlich, dabei aber gut lesbar geschrieben ist. In der zweiten Hälfte schreibt Tschumi ‚lockerer‘ und lässt Reportageelemente einfließen. Der Leser wird hineingezogen in eine spannende Entdeckungsfahrt auf den Spuren der Säften und Särge der Ga.
Und es ist ein äußerst schauenswertes Buch: Regula Tschumi ist eine großartige Fotografin und ihre großformatigen Bilder sind nicht nur informativ, sondern machen Lust darauf, sich näher mit dieser faszinierenden Kunst der Ga zu befassen.
230 Seiten, 78 Euro
Wer das Buch kaufen und about africa einen Gefallen tun möchte, der kann es versandkostenfrei über Lehmanns bestellen. Natürlich kann man sich über diesen Link auch informieren, ohne zu bestellen. (Beim Draufklicken auf das Link wird ein Cookie gesetzt)
PS
In der Hamburger Kunsthalle findet vom 07. Februar 2020 bis zum 14. Juni 2020 die große Ausstellung TRAUERN - Von Verlust und Veränderung statt. Gezeigt werden darin u.a. auch Miniatur-Särge des Ghanaischen Künstlers Kudjoe Affutu und von Ataa Oko 80 Zeichnungen seiner einstigen figürlichen Särge.
PPS
Von Regula Tschumi gibt es auch das bereits 2006 entstandene Buch 'Die verborgenen Schätze der Ga', das sich nur auf die Sargkunst fokussiert und die Sänften größtenteils außen vor lässt.