2019 hat der deutsche Historiker Michael Zeuske die zweite Auflage des ‚Handbuch Geschichte der Sklaverei‘ veröffentlicht. Es sind über 1400 Seiten, an denen sich Andreas Schlothauer im Tagesspiegel abgearbeitet hat. Wer es - wie ich - kürzer möchte, der kann zu Zeuskes Buch ‚Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute’ aus dem Jahr 2018 mit 303 Seiten greifen. Lohnt sich die Lektüre?
Inhalt
Im ersten Kapitel von „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute“ versucht Zeuske seine Thesen zusammenzufassen und Sklaverei zu definieren. Er macht Sklaverei fest an den Dimensionen Arbeitszwang, Herabsetzung/Statusdegradierung und körperliche Gewalt und geht von einem weit gefassten Sklaverei-Begriff aus. Dementsprechend gehört für ihn auch Zwangsarbeit im 20. Jhd. dazu. Und er schreibt bevorzugt von „Sklavereien“, also dem Plural, da es vielfältige Formen der Sklaverei gäbe.
Im zweiten Kapitel unterscheidet der Historiker, dessen Schwerpunkt die Geschichte Latein-Amerikas ist, zwischen den verschiedenen Sklaverei-Formen. Er nennt sie: „Sklavereiplateaus". Diese lösen sich zeitlich nicht ab, sondern bestehen oft parallel.
Das erste Sklavereiplateau hat wohl schon 20.000 v. Chr. begonnen. Es handelt sich um Sklaverei ohne Institutionalisierung. Menschen (v.a. Frauen, Mädchen, Kinderund Fremde) werden versklavt, ohne dass es erkennbare Regeln oder Institutionen gibt. Um in eine Gruppe aufgenommen zu werden oder Schutz zu erhalten, mussten die ‚Sklaven‘ unangenehme Arbeiten ausführen bzw. den Gruppenchefs zu Diensten sein. Diese „Sklaverei ohne (offizielle) Sklaven“ wirkte bis in die Neuzeit, als man sich beispielsweise im Europa der Aufklärungszeit „Hofmohren“ hielt.
Das zweite Sklavereiplateau beginnt ca.im 3. Jahrtausend: Die Haus- oder Kin-Sklaverei (Kin=Verwandtschaft). Entscheidend ist dafür die Geltung eines „Hausrechts“, das es einer Verwandtschaftsgruppe oder auch religiösen Elite erlaubt, Statusniedrige als Sklaven zu halten. Sklaven sind häufig Frauen oder Kinder, die „niedrige Aufgaben“ zu erfüllen haben, aber auch massiv verschuldete Männer. Sonderformen sind die kollektive Sklaverei von Besiegten oder die Opfersklaverei. Der Ort dieser kollektiven Sklaverein ist zumeist das Privathaus.
Das dritte Sklavereiplateau, das der Wirtschafts- und Plantagensklaverei, entstand eher zufällig und punktuell im Zuge der „europäischen maritimen Expansion Portugals und Spaniens“ ab dem 14. Jhd. Zeuske ist der Ansicht, „die dynamische atlantische Eigentumssklaverei“ (zwischen 1500 und 1888) sei „die Basis für den Aufstieg des ‚Westens‘“. Demnach gehe der Reichtum Europas (und der USA) zu einem großen Teil auf Sklaverei zurück. Dieses Art der Sklaverei endet ‚offiziell‘ mit dem Abolitionismus, der v.a. von England propagierten Abschaffung der Sklaverei.
Da der Autor den Begriff der Sklaverei recht breit definiert, endet das Buch nicht mit diesem dritten Niveau. Der Historiker beschreibt zu sätzlich ein viertes und ein fünftes Sklavereiplateau, obwohl diese „in traditionellen Darstellungen von Sklavengeschichte (fehlen)“. die oft mit dem amerikanischen Bürgerkrieg enden.
Im vierten Sklavereiplateau wird der Sklave abgelöst vom Kontrakt- oder Zwangsarbeiter oder Schuldknecht, beispielsweise in Afrika. Dieser führt Sklavenarbeit durch, ist offiziell jedoch ‚frei‘. Es handelt sich um eine „flexible, entformalisierte Sklaverei“. Aber natürlich gab es auch nach 1888 noch Sklaven des dritten Plateaus. Zeuske führt dafür u.a. die von den arabischen Sklavenjägern in Afrika Geraubten auf.
Das fünfte Sklavereiplateau handelt von „kollektive Staatssklavereien“, beispielsweise Konzentrationslager und Gulags. Ging es dort zuerst um die Internierung politischer Gegner, wurde später auch deren Arbeitskraft ausgebeutet.
Für Zeuske existiert auch heute noch Sklaverei. Er führt dafür die Razziensklaverei des IS, Zwangsprostitution oder auch illegale Sweat Shops der Modeindustrie und Kinderarbeit auf.
In den weiteren Kapiteln geht der Autor drauf ein, „was menschliche Körper kosten“, beschreibt das „Fallbeispiel China“ und versucht die „Zahl der Versklavten“ zu beziffern. Es gibt Schätzungen , dass zwischen 1501 und 1866 12,5 Millionen Afrikaner von europäischen Staaten nach Amerika (Nord- und Laiteinamerika) verschleppt wurden. Eine Hauptstadt des Sklavenhandels war Luanda im heutigen Angola. Dabei geht Zeuske darauf ein, welche Gebiete in Afrika vom Sklavenhandel betroffen waren, welche Rolle muslimische Sklavenhändler spielten oder dass im Oyo-Reich oder in Dahomey ausgeprägte Sklavereigesellschaften existierten.
Im letzten Abschnitt „Diskurse und Realitäten der globalen Sklaverei seit 1800“ kommt der Autor zu dem Schluss: „Es gibt kein Ende nach dem Ende.“ Nach wie vor gäbe es Sklaverei, nur würde weniger darüber gesprochen bzw. es verschleiert werden.
Bewertung
Grundsätzlich erfüllt das Buch die Aufgabe einer wissenschaftlichen Einführung: Es gibt einen ausführlichen Überblick über das Thema und bietet über 500 Anmerkungen, mit denen man einzelne Aspekte vertiefen kann. Dabei wird auch aktuelle Literatur erwähnt. „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte bis heute“ ist ein guter Startpunkt, sich intensiver mit der Thematik zu befassen.
Natürlich steht das Buch aber auch für sich alleine: Man lernt viel über die unterschiedlichen Arten der Sklaverei und rückt ab aus der zu euro-zentrierten Sicht: „Sklavereien“ hat es in der Menschheitsgeschichte zeitlich und regional immer gegeben, sie lassen sich nicht auf den von Europäern organisierten Sklavenhandel nach Amerika reduzieren. Zeuske belegt, dass Sklavereien in einer Vielzahl an Regionen und Zeiten vorkamem und vorkommen.
An diesem Punkt setzt aber auch meine erste Kritik ein: Der Autor erschlägt einen förmlichen mit seinen Beispielen. So listet er auf S. 93 in 7 Zeilen nicht weniger als 17 Regionen auf, in denen „Sklavereimoderne“ und „Second Slaveries“ existierten. Ähnlichen Overflow führt er zur Beschreibung des zweiten Sklavenniveaus auf, wo er auf wenigen Seiten vom 6. bis zum 20. Jhd. hin und her switcht und mal eben auf Deutschland, China, das Osmanische Reich, Russland und die Maya eingeht - unter anderen! Es wäre für den Lesefluss gut, wenn Zeuske etwas weniger detailverliebt gewesen wäre und zumindest im Text (nicht aber in den Anmerkungen) mehr weggelassen hätte. Aber vielleicht wollte er sich nicht gegenüber Kollegen angreifbar machen, nach dem Motto: ‚Warum hat er … nicht erwähnt?‘
Zusätzlich fehlt es mir etwas an einer stimmigen Gliederung. Ich fand das Kapitel über die unterschiedlichen Sklaverei-Niveaus spannend. Vielleicht hätte dem Buch aber eine Gliederung, die sich auf wenige Regionen fokussiert oder die noch stärker chronologisch vorgegangen wäre, gut getan. Zumindest ich habe öfters den roten Faden verloren. Zusätzlich habe ich nicht verstanden, warum China ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Zudem hätten Teile des Schlusskapitels noch besser in die Beschreibung des vierten und fünften Sklavereiplateaus integriert werden können.
Des Weiteren weist sein Schreibstil Michael Zeuske als deutschen Historiker aus: Zeuske geht die lockere Feder ab, die viele seiner anglo-amerikanische Kollegen beherrschen. Dazu ist das Buch fast zu ‚klug‘, zu analyse- und faktenorientiert. Ich hätte mir die eine oder andere ‚menschelnde‘ Geschichte gewünscht. Leider fehlen auch Perspektivenwechsel, die Sklaverei aus Sicht der Versklavten schildern.
Zusätzlich mangelt es Michael Zeuske vereinzelt an Klarheit: Er umschreibt beispielsweise im schwierig zu lesenden ersten Kapitel eher seine Definition von Sklaverei als dass er sie auf den Punkt bringt.
Mit inhaltlicher Kritik werde ich mich zurückhalten, da ich dafür zu wenig in dem Thema drin bin. Mir scheint aber seine Definition des Begriffs Sklaverei schon sehr weitgehend. Und ob Sklaverei wirklich so relevant war für den Reichtum des „Westens“?
Fazit
„Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute“ von Michael Zeuske ist ein lesenswertes Buch für den, der sich mit dem Thema Sklaverei intensiver auseinandersetzen möchte. Schade, dass der Autor sein Detailwissen nicht etwas zügeln konnte und die Lesbarkeit unter seinem Schreibstil leidet.
303 Seiten, 2018 als Hardcover gebunden mit Schutzumschlag für 25 € und als eBook für 23,99 € bei Reclam erschienen
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Vielen Dank an den Reclam Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars