Geradezu euphorische Kritiken hat ‚Meine Schwester. Die Serienmörderin‘, der 2017 erschienene Roman der Nigerianischen Autorin Oyinkan Braithwaite in der englischsprachigen Welt erhalten: Angesehene Medien wie die Washington Post oder The Guardian überschlugen sich geradezu vor Lob und feiern den ‚Thriller‘ (?) als bösartig-komisch und mit seinem beiläufigen Feminismus als äußerst zeitgemäß. Und auch in Deutschland begeistert das preisgekrönte, in 30 Sprachen übersetzte Werk Kritiker, wie ein Blick auf die Perlentaucher-Website verrät.
Der Inhalt
In ‚Meine Schwester. Die Serienmörderin‘ geht es um zwei Schwestern. Korede ist eine eher handfeste, nach außen immer vernünftig wirkende Krankenschwester in Lagos, die heillos verknallt ist in einen Arzt in ihrem Krankenhaus. Sie fühlt sich unwohl mit ihrem Aussehen, lässt von ihren Gefühlen zu sich selbst und zu anderen aber wenig heraus.
Ihre jügere Schwester Ayoola erscheint als genaues Gegenteil: Sie sieht großartig aus und kann so gut wie jeden Mann um den Finger wickeln, wenn sie es will. Sie verdient Geld als Modebloggerin in sozialen Medien, wo sie sich immer perfekt in Szene setzt und dadurch ihre eigene Kollektion verkauft. Allerdings hat sie ein Geheimnis: Sie bringt ähnlich einer schwarzen Witwe den einen oder anderen Mann um, mit dem sie sich eingelassen hat und ruft dann ihre Schwester zu Hilfe. Korede, die sich gut mit Blut und Hygiene auskennt, hilft ihr als Tatortreiniger und dabei, die Leiche zu entsorgen.
Dabei ist Ayoola nicht durchtrieben oder berechnend, sondern sie wirkt geradezu naiv und überrascht, wenn sie jemand ermordet hat, sieht es als Unfall oder Notwehr an. Warum sie dieses psychotische Verhalten an den Tag legt, wird nicht ganz klar. Es wird aber damit zusammenhängen, dass sie als Jugendliche traumatisiert wurde: Ihr verstorbener Vater, ein einflussreicher, teilweise aber auch gewalttätiger Politiker, wollte sie an einen älteren Mann mit Einfluss verschachern.
Korede hilft ihr, weil sie sich versprochen hat, sich um ihre jüngere Schwester, auf die sie durchaus neidisch ist, zu kümmern. Sie gerät in einen inneren Konflikt, als sich ihr angebeteter Arzt in Ayoola verliebt und die Schwester damit zur Rivalin wird. Soll sie ihn warnen? Von der Schwester abraten? Die eigene Liebe eingestehen? Von ihren Gedanken erfährt der Leser u.a., weil sie diese einem Komapatienten mitteilt, eine Art Beichtvater, bei dem scheinbar keine Gefahr besteht, dass er etwas weitergibt. Scheinbar.
Bewertung
Selten habe ich mir bei der Beurteilung eines Buches so schwer getan wie bei ‚Meine Schwester. Die Serienmörderin‘. Nachdem mich die erste Lektüre enttäuscht hatte, habe ich das knapp 240 Seiten dicke, schnell zu konsumierende Buch noch einmal gelesen, um meinen ersten Eindruck zu überprüfen und es dann lange liegen lassen. Und nein, das Buch hat mir beim erneuten Lesen und im Nachhinein auch nicht mehr Spaß gemacht.
Natürlich macht der Roman deutlich, wie patriarchalisch geprägt die Gesellschaft zumindest in Nigeria ist, was sich perfekt einreiht in die me-too-Debatte. Oder welche Kraft oberflächliche Schönheit im Social Media-Zeitalter hat. Dabei bleibt Braithwaithe immer leichtfüßig, wird nie bleiern. Es ist kein typisch deutscher Roman - zum Glück!
Andererseits fand ich persönlich die Handlung, das Tatortreinigen, die Korruption von Polizisten und vor allem der in Korede herrschende Gefühlswirrwarr nicht wirklich lustig. Letzterer hat mich erinnert an Werke wie Dr. Stefan Frank – Der Arzt, dem die Frauen vertrauen.
Zusätzlich ist der Roman sehr vorausschaubar, es gibt wenig überraschende Wendungen.
Noch mehr hat mich allerdings gestört, dass mir die Motivation für das Verhalten von Ayoola gefehlt hat: Warum ermordet sie einen Mann, der anscheinend fast nur positive Eigenschaften besitzt? Weil er sich in ihre Schönheit verliebt hat? Okay, sie ist traumatisiert, aber genügt das?
Von dem Leben in Lagos erfährt man relativ wenig: Die Originalausgabe ist in einem Verlag in Nigeria erschienen und für einheimische Leser genügt es, auf das Leben in diesem Moloch beiläufig einzugehen. Immerhin werden Themen wie Korruption, Patriachat, Präsenz der sozialen Medien, Verkehrsstaus und das vereinzelte Festhalten an Traditionen deutlich.
Stilistisch schreibt Braithwaite sehr einfach: Die Ich-Erzählung aus Perspektive der Tatortreinigerin besteht aus kurzen, im Präsenz (außer es handelt sich um einen Rückblick) gehaltene Sätze („Die Polizei schickt zwei Beamte vorbei, um Ayoola zu befragen. Femis Familie hat wohl keine Lust mehr sich höflich zurückzuhalten. Die Polizisten kommen in unser Haus, und meine Mutter bittet mich, ihnen eine Erfrischung zu bringen“). Ein Schreibstil, der wohl polarisiert.
Übrigens habe ich beim Nachdenken über das Buch bemerkt, welch Schere ich mittlerweile im Kopf habe. Noch vor einiger Zeit hätte ich es gelesen und dann einfach als nicht gut abgehakt. Jetzt frage ich mich, ob ein alter weißer Mann überhaupt die Zielgruppe ist für diesen Roman und ob er es daher überhaupt fair beurteilen kann. Dementsprechend bin ich auf Leser-Feedback neugierig. Die ganzen begeisterten Rezensenten können doch nicht irren!?
Meine Schwester. Meine Serienmörderin‘ von Oyinkan Braithwaite ist 2020 als Hardcover bei blumenbar erschienen, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH, Berlin.
239 Seiten
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Vielen Dank an den Aufbau-Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.