Er gehört zu den meist gesehenen frühen ethnologischen Filmen, da er auch seinen Weg zu YouTube gefunden hat: „Buschmann spricht in einen Phonographen“. Zu sehen und zu hören ist ein Afrikaner, der mit weiten Armbewegungen in den Trichter eines Phonographen spricht. (Zum Video)
Aufgenommen wurde das Dokument 1908 in der Kalahari von Rudolf Pöch. Der Österreichische Arzt und Anthropologe wurde bis in die 1980er Jahre in Österreich für seine Forschungen in Afrika und als Medienpionier gefeiert. Heutzutage wird er sehr kritisch gesehen: Beispielsweise ließ er in Jahren 1908 und 1909 Skelette und Schädel von südafrikanischen San aus frischen Gräbern exhumieren und nach Österreich-Ungarn bringen, um sie dort der „Rassenforschung“ zugänglich zu machen. Und er betrieb während des ersten Weltkriegs umfangreiche sogenannte rassenkundliche Forschungen an Kriegsgefangenen (Zu Rudolf Pösch und seinen Forschungen zu Felsmalereien siehe meine Artikel in der Kunst&Auktionen 06/2013 ab S. 10)
Inhalt
Die Kulturwissenschaftlerin Anette Hoffmann befasst sich in ihrem Buch ‚Kolonialgeschichte hören - Das Echo gewaltsamer Wissensproduktion in historischen Tondokumenten aus dem südlichen Afrika‘ mit Pöch und seinen Tonaufnahmen. Ihr genügt es nicht, diese Aufnahmen als historische Dokumente zu sehen, sondern sie möchte den Aufgenommenen dem Status der „Schattenfigur“ entreißen, möchte sie als Menschen erfahrbar machen und eben nicht nur als Objekte kolonialer (=hierarchischer) Forschung. Dementsprechend lässt sie, soweit es die verkratzten Aufnahmen ermöglichen, die teilweise schon auf fehlerhaften Tonträgern aufgezeichnet wurden, übersetzen und versucht das Close Listiening: „…genaues Zuhören, das auf alles Hörbare achtet: auf die Stimmen,. (…) das Räuspern oder Husten (…).
Anhand von 8 Aufnahmen, die im Apendix verzeichnet und im Internet frei verfügbar sind, will die Autorin mehr über die Menschen, die zu hören sind, erfahren und über die Situation, in der sie sich befanden und darüber, wie Rudolf Pöch gegenüber den Kolonialisierten aufgetreten ist. Das Gesprochene kann also auch Hinweise geben auf Art und Weise, wie der Österreicher geforscht und gesammelt hat.
In seinen Aufzeichnungen berichtet Pöch durchaus davon, was seiner Meinung nach die Afrikaner gesagt haben. Allerdings scheinen seine ‚Übersetzungen‘ sehr rudimentär. Es ist nicht ganz klar, ob es daran lag, dass er bzw. seine Mitarbeiter nicht besser übersetzen konnten. Oder ob er bewusst auf eine genaue Übersetzung verzichtet hat: Zum einen ging es ihm um „ nicht um die Inhalte der Rede, sondern um die akustische Konservierung des Flusses und der Melodie der Sprache“. Zum anderen äußern die Afrikaner teilweise deutlich Kritik am Kolonialgebaren der weißen Männer. Und dies wollte Pöch sicherlich nicht in seine Heimat verbreiten.
So beschwert sich beispielsweise ein älterer Afrikaner, den Hoffman als |Kxara benennt: „(…) Was ist nur los mit dir, dass du isst und ich neben dir herlaufe? Ich bin genauso wie du, warum tust du das? Warum gibst du mir nichts zu essen?“ Und in einer weiteren Aufnahme möchte er (wohl von Pöch) sein Messer wiederhaben, was dieser ihm anscheinend verweigert. Ein Beispiel für Raubkunst oder für unethisches koloniales Sammeln? Die Autorin versucht dieses Messer im Wiener Weltmuseum aufzuspüren, was aber nicht gelingt.
Bewertung
‚Kolonialgeschichte hören‘ ist in seinen besten Moment ein spannendes Buch, das den während der Kolonialzeit Unterdrückten eine Stimme gibt und diese kolonialen ‚Forschungssubjekte‘ als Menschen mit eigenständigen Interessen erfahrbar macht. Ein ähnlicher Ansatz beschreitet beispielsweise der Historiker Moritz von Brescius, der sich mit dem Cultural Broker befasst, den kulturellen Mittlern zwischen unterschiedlichen Kulturen. Es ist eine äußerst wünschenswerte Dekolonialisierung von Forschung.
Dazu erfährt man einiges über koloniale Forschungspraktiken, auch wenn die Autorin eventuell manche ihrer auf Ton gefundenen Erkenntnisse überinterpretiert. So bleibt unklar, was es mit dem Messer auf sich hat, das |Kxara thematisiert. Ob es beispielsweise wirklich von Pöch entwendet wurde.
Und last but not least ist diese Analyse von historischen Tonaufnahmen und das Close Listening grundsätzlich ein faszinierender Forschungsansatz.
Und warum bin ich nicht begeistert? Angelsächsische wissenschaftliche Autoren versuchen zumeist, gut lesbare Bücher zu schreiben. Im Gegensatz dazu ist der Schreibstil von Anette Hofmann an der Grenze zur Ungenießbarkeit. Es ist eine krude Mischung aus Pathetik, aufgeregter Abrechnung mit Pöch und Kolonialismus und vor allem: in manchen Kreisen wohl als ‚wissenschaftlich‘ angesehener Unlesbarkeit.
So schreibt die Autorin auf S. 157: „Die Praxis der Beschaffung, die hartnäckige Macht der kolonialen Episteme und die Praktiken der Archivierung von Tonaufnahmen als sekludierte Objekte bestimmter Wissenschaften haben semantische Inhalte verschlungen und werden sie nicht freiwillig wieder ausspucken.“ Wer solche Sätze mag, dem sei das Buch empfohlen, für die anderen aber…
Dabei darf man sich leider nicht vom Klappentext täuschen lassen. Der ist nämlich sehr verständlich geschrieben.
Und wieder stellt sich bei einem ‚wissenschaftlichen‘ deutschen Autor die Frage: Kann sie nicht oder will sie nicht lesbarer schreiben? Und wenn sie es nicht will, an wen richtet sich dann ihr Buch? ‚Kolonialgeschichte hören - Das Echo gewaltsamer Wissensproduktion in historischen Tondokumenten aus dem südlichen Afrika‘ versäumt die Chance, mit einer spannenden Forschungsarbeit breite Leserkreise anzusprechen. Schade.
Kolonialgeschichte hören - Das Echo gewaltsamer Wissensproduktion in historischen Tondokumenten aus dem südlichen Afrika' von Anette Hoffmann
2020 erschienen im Mandelbaum (Verlag). 176 Seiten
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Zum Lehmanns-Link zu Kolonialgeschichte hören
Vielen Dank an den Verlag Mandelbaum für das Rezensionsexemplar