Buchbesprechung: Afrikas Kampf um seine Kunst - Geschichte einer postkolonialen Niederlage

Mich ‚Spätgeborenen‘, der sich erst sein Ende der 1990er Jahren für die traditionelle afrikanische Kunst interessiert, traf die Debatte um die Restitution afrikanischer Kulturgüter vor 2 bis 3 Jahren recht unvermittelt. In Afrikas Kampf um seine Kunst - Geschichte einer postkolonialen Niederlage‘ beschreibt Bénédicte Savoy, die Medien-Ikone der Debatte um die Restitution afrikanischer Objekte, akribisch, dass und wie dieses Thema bereits ab den 1960ern bis in die 1980er Jahre diskutiert wurde

Inhalt

Ein früher Meilenstein ist für die Historikerin ein Artikel in der Monatszeitschrift Bingo. Geschrieben von deren Herausgeber Paulin Joachim, gibt der Titel den Inhalt sehr genau wieder: „Gib uns die Negerkunst zurück“. Für Savoy ist es ‚der erste weitverbreitete öffentliche Aufruf zur allgemeinen Restitution von Kulturgütern nach Afrika.‘ Der Beitrag erschien 1965, also kurz nachdem die meisten afrikanischen Staaten ihre Unabhängigkeit erlangten. 1970 gab es das filmische Plädoyer You Hide Me‘, der u.a. den Filmemacher Nii Kwate Owoo und die Politikerin Magaret Prah im Depot des British Museums zeigt.

Diese frühen Aktivitäten, bei denen der Nigerianische Archäologe Ekpo Eyo eine wichtige Rolle spielte, mündeten u.a. in die Resolution des Museumsverbandes ICOM aus dem Jahr 1971, wonach die Museen die Herkunftsländer unterstützen sollten, moderne Museen und zu errichten. Eyo ersuchte dann 1972 europäische Länder um Dauerleihgaben, was Deutschland und Österreich ablehnten: Die Objekte seien legal erworben und die Sammlungen würden zur Völkerverständigung beitragen.

1973 wird laut Savoy als das Jahr Null der Restitutionsdebatte bezeichnet: Der Zairische Diktator Seko bittet in Reden zuerst in Kinshasa, später vor der UN, die „reichen Länder“ darum, „einige“ der Kunstwerke „zurückzugeben“. Am 18.12.1973 verabschiedeten die Vereinten Nationen ihre Resolution 3178 über die ‚Restitution of works of art to countries victims of expropriation‘. Hans-Georg Wormit, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, lies diese Resolution aber eher kühl, schließlich sei „bzgl. der Berliner Sammlungen davon auszugehen, daß sich dort keine Stücke aus Kriegs- oder ähnlichen Beutezügen befinde.“

Gegen eine Restitution wurde von deutscher Seite u.a. von Friedrich Kußmaul, dem damaligen Direktor des Lindenmuseums, angeführt: der schlechte Zustand der Museen in Afrika, die Unfähigkeit der ‚Dritten Welt‘, die eigene Geschichte zu bewahren und die „maximale Weltoffenheit“ deutscher Museen. Dazu seien afrikanische Staaten nicht fähig, moderne Museen zu erhalten, während europäische Künstler und Wissenschaftler die ‚Negerkunst’ als ‚wichtigen Teil der Weltkunst erkennen und propagierten würden‘. Schließlich gäbe es keine moralische Verpflichtung zur Rückgabe und würde es der UN vor allem um den illegalen Handel von Kulturgütern gehen. (Kußmauls Rolle in der Restitutionsdebatte wird in einem guten Vortrag von Anna Valeska Strugalla kritisch hinterfragt: Zum Video auf YouTube) Recht breiten Raum nimmt in Savoys Buch der ehemalige Direktor des Übersee-Museums in Bremen, Herbert Ganslmayr, ein, der sich mit Büchern wie ‚Nofretete will nach Hause‘ gegen die Mehrheit der Museumsdirektoren stellte.

Anfang 1977 fand in Lagos das große panafrikanische Festival Festac’77 statt, dass stark durch das Militärregime vereinnahmt wurde. Sein Logo, die Maske der Queeen Idia aus Benin, welche in London aufbewahrt wurde, „brannte sich (…) ins kollektive Bild- und Geschichtsbewusstsein einer ganzen Generation ein,“ meint dazu Savoy.

Die Autorin ist der Ansicht, die Restitutionsdebatte wäre dann spätestens Ende der 1970er Jahre durch Fernsehsendungen und anderer Medienberichte in der Öffentlichkeit präsent. Auf einer Sitzung im August 1978 in Bonn, zu der der damalige Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission eingeladen hatte, wurde versucht, sich gegenüber der UNESCO bzgl. Restitutionsforderungen zu ‚munitionieren‘. Eine für Savoy wichtige These ist der „Listenkrieg“. Für sie wurden Bestandskataloge, Museumsinventare, Objektlisten etc. absichtlich zurückgehalten bzw. nicht bearbeitet, damit keine ‚Begehrlichkeiten‘ geweckt werden.

In den 1980er Jahren schließlich traten Politiker wie Hamm-Brücher oder Melina Mercouri für die Rückgabe ein, während die Afrikanischen Staaten zunehmend ruhiger wurden - aus Sicht Savoys, weil sie resignierten.

Bewertung

Auch wenn ich kein Bénédicte Savoy-Fanboy bin und ihrer Veröffentlichungen und Aussagen durchaus kritisch gegenüber stehe, muss ich zugeben: „Afrikas Kampf um seine Kunst“ ist ein sehr informatives, lesbar geschriebenes Werk, das wohl bei vielen eine Wissenslücke füllt: Welche Restitutions-Debatten es bereits vor über 40 Jahren gab. Zumindest ich werde mich darum bemühen, noch mehr darüber zu erfahren, beispielsweise Filme wie You Hide Me anzuschauen.

Dazu habe ich die Buch mit einem etwas ungläubigen Kopfschütteln gelesen: Wieso haben anscheinend deutsche Museumsleute Restitutionsforderungen so harsch vom Tisch gewischt? Hätte man nicht von beiden Seiten ausgewählte Artefakte aus Museen zurückgeben können, die für das kulturelle Erbe wirklich wichtig gewesen wären? Zumindest wenn ihr Erwerb fragwürdig war?

Was mir weniger gut gefallen hat: Dass und warum die Restitutionsgegner so reagierten, hinterfragt Savoy eher wenig und begründet (?) es eher damit, dass es alte weiße Männer gewesen seien, die teilweise bereits in der NS-Zeit tätig waren. Und die seien halt so (kolonial)  - im Unterschied zu (jungen) Frauen, die sich häufiger für die Restitution einsetzten würde. Savoy macht also das trendige Genderfass auf, und das ist mir etwas zu oberflächlich. Natürlich erwähnt sie den Kalten Krieg als Kontext für dieses Verhalten und dass die lautesten Forderungen von Diktatoren kamen - dieser Punkt hätte aber gerne noch ausführlicher sein können. Sie ordnet die Debatte zu wenig politisch und historisch ein. Anderseits fällt es einem schon schwer, sich auf eine Seite zu stellen mit jemandem wie Friedrich Kußmaul bzw. sein herablassendes Verhalten objektiv zu hinterfragen.

Dazu spielt bei ihr, anscheinend aber auch in der damaligen Diskussion, der Erwerb selber nur eine untergeordnete Rolle, also ob ein Objekt beispielsweise geraubt oder ‚fair‘ gesammelt wurde. In dieser Lesart ist Erwerb im kolonialen Kontext grundsätzlich fragwürdig.

Schließlich stellt Savoy sich und Ihre Argumentationsmuster einseitig in den Dienst der Restitutionsbefürwortung und nimmt selbst differenzierte Gegenstimmen nicht wirklich ernst.

Dennoch: Lesen? Ja, lesen!

Afrikas Kampf um seine Kunst - Geschichte einer postkolonialen Niederlage von Bénédicte Savoy

256 Seiten, 2021, C.H.Beck (Verlag)

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Vielen Dank an den Verlag C. H. Beck für das Rezensionsexemplar

Cover savoy

Autor

  • Ingo Barlovic

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