‚Grüner Himmel, Blaues Gras. Farben ordnen Welten‘ heißt die Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung des Frankfurter Weltkulturen Museums, die noch bis zum 22.1.2022 gehen wird. Herausgegeben hat sie Matthias Claudius Hofmann, der Kustode für Ozeanien des Museums. Lohnt sich die Lektüre als Solitär, auch ohne dass man die Ausstellung gesehen hat? Als kleiner Spoiler: Ja, auf alle Fälle!
Inhalt
Das Buch beleuchtet ‚das Phänomen Farbe aus verschiedenen und interdisziplinären Perspektiven‘. Nach einer Einführung des Herausgebers unterteilt sich das Werk in 4 Kapitel.
In ‚Licht, Materie und Sprache‘ geht es um Farbwahrnehmung und wie Farbe kulturell geprägt wird. Nachdem Roger Erb die physikalischen Grundlagen des Sehens von Farbe beschreibt, zeigt Olaf Müller, dass unsere Einteilung von Farbe auf dem Newtonschen Spektrum basiert, und dass man dies aber auch ganz anders sehen kann - bereits Goethe hatte dies demonstriert. Was sich eher trocken anhört, ist ein echter Augenöffner auf nur 10 Seiten, der gängige Farbschemata in die Nähe von Whig History bringt: die Geschichte vergangener Errungenschaften aus der Perspektive der Sieger (beispielsweise der wissenschaftlichen Meinung, die sich durchgesetzt hat) zu erzählen.
Eystein Dahl befasst sich dann mit Entstehung von Farbtermini im indogermanischen Kulturkreis.
Das Kapitel ‚Materialität‘ beginnt mit Eva Raabes Einblick in „Werte und Farben“ in der Massim-Region, in der es beispielsweise ein Rangsystem der im Handel eingesetzten Kula-Halsketten gibt: Am wertvollsten sind die, deren Muschelringe eine lachsrosa Farbe haben und die dünn und fein geschliffen sind. Am Ende stehen grobe Ketten in Braunrot. Auf den Trobriand-Inseln wird Farbe auch mit den Lebensabschnitten assoziiert, was sich in der Kleidung niederschlägt: Ein Kind wird mit hell verbunden, mit zunehmenden Lebenserfahrung wird die Farbe röter - unverheiratete junge Mädchen tragen rote Faserröcke. Nach der Heirat und dem Treueschwur besteht die Alltagskleidung aus ungefärbten Röcken.
Gustaaf Verswijver schreibt über die Tapirage, d.h. wie und warum einige indigene Stämme am Amazonas die Farbe der Federn an lebenden Vögeln ändern.
Arno Holl gelingt auf seinen 10 Seiten eine kleine Kulturgeschichte des Bixa Orellana, einem Busch, dessen Samenkapseln sich zur Bemalung eignen. Das Bemalen des Körpers mit der daraus gewonnenen rote Farbe kann vor dem Einfluss anderer (Geister…) Wesen schützen, aber auch dabei helfen, solche Verwandlungen herbeizuführen. Nach Holl leitet sich die Bezeichnung ‚Rothäute‘ aus solche rote Bemalungen ab.
Im dritten Kapitel ‚Weltbilder‘ wird dem Bedeutungsinhalt von Farben in unterschiedlichen Kulturen nachgespürt. Für Mathias Hofmann existiert bei den Maori einen Farbdualismus: Weiß/hell steht für die Welt der Menschen, Schwarz/Nacht für die der Götter. Und es gibt Rot, das Blut der Erdmutter, die Farbe des Übergangs.
Eric Huntington beginnt mit Mandalas: In ihnen wird der Kosmos in 5 Richtungen unterteilt, denen jeweils Farben zugeordnet sind: Blau steht etwa für Osten und „das Gebrechen der Unwissenheit“. Und kaum ist man stolz auf sein neues Wissen, fühlt man sich schnell wieder im ‚Osten‘, denn: Solche „Sinnbezüge“ stimmen vielleicht für Mandalas, aber nicht „für den Buddhismus in seiner Gesamtheit“, worauf der Autor dann näher eingeht.
Vanessa von Gliszczynski geht den Farbzuordnungen im javanischen Schattenspiel auf den Grund. So haben Helden und Götter öfters eine schwarze Gesichtsfarbe, womit Beständigkeit und Ruhe, aber auch Ehrlichkeit, charakterliche Reife und übernatürliche Kräfte verbunden werden. Ich habe mich nie sonderlich für das Schattenspiel interessiert, nach diesem Beitrag wird sich dies ändern.
Brigitte Hauser-Schäublin bringt dem Leser die Farbenpraxis der Abelam näher und macht deutlich, dass man dabei nicht von der Farbenlehre der Europäer ausgehen darf - womit sich ein Kreis schließt zu dem Artikel von Müller. Interessant ist der kulturelle Wandel: Blau und Grün gehörten nicht zu den Grundfarben und fanden den Einzug in den Kanon erst durch den Import von Ölfarben. In den 1970er Jahren gab es eine Rückbesinnung auf die alten Farben, was wohl auch „auf Anraten der vielen europäischen Sammler“ geschah. Der Traum des Sammlers von der Authentizität und der Unveränderlichkeit indigener Gesellschaften, der den kulturellen Wandel vernachlässigt.
Im letzten Kapitel ‚Wandel‘ spricht René Fürst über „die Farben Amazonas“ und merkt u.a. an, dass verwendete Farben mit dem Lebensumfeld in Verbindung stehen. Die Xavantes, die in der Savanne leben, nutzen häufig Asche und Adlerfedern, die Kalapalo im Regenwald vielfarbigen Federschmuck.
Frauke Gathof vertieft für Afrika ein Thema, das Häuser-Schäublin bereits angesprochen hat: Dass mit Ölfarbe hergestellte Objekte vom Kunstmarkt als nicht authentisch wahrgenommen werden. Geleitet werden Händler und Sammler von der Idee des ‚Originalzustandes‘, den „es so nie gab, denn Masken unterlagen stets Veränderungen“.
Tomi Bartole schließlich geht darauf ein, wie sich die im Dorf Avim am Oberlauf des Korewori eingesetzten Farben und Muster v.a. durch die Christianisierung verändert haben. Dennoch gäbe es Kontinuität. Dies zeige sich beispielsweise im kontinuierlichen Gebrauch der Farbe Rot, die auf den Geist Api verweist, der Urahn aller Menschen
Auf den theoretischen Teil folgen fast 50 Objektfotos.
Bewertung
Ist das Buch eine tolle Entdeckungsreise zur Bedeutung von Farben in den verschiedenen Kulturen! So gut wie jeder Beitrag enthält etwas, was zumindest mir neu war und führt dazu, dass man sich näher damit befassen will. Was kann besseres über ein Buch gesagt werden?
Und ich weiß gar nicht, welche Erkenntnisse spannender sind: Wie Müller das eigene Farbschema aus den Angeln hebt? Was man bei Raabe und Gliszczynski oder auch Hofmann über Farbbedeutungen in speziellen Kulturen lernt? Oder auch das intellektuelle ‚Vergnügen‘, wenn man glaubt, man hätte in Huntingtons Beitrag durch das Mandala-Beispiel etwas über die Farben im Buddhismus erfahren - und er dann die Grenzen des neuerworbenen Wissens aufzeigt, weil es differenzierte Farbbedeutungen innerhalb des Buddhismus gibt. Dieser ist ja selbst auch äußerst vielschichtig.
Dazu sind die Beiträge fast immer gut lesbar, da sie den Besucher der Ausstellung (und damit den Amateur) im Fokus haben und eben keine imaginäre Wissenschaftscommunity, wie man es oft bei deutschen Publikationen findet. Darin wird aber vergessen, dass auch ‚der Wissenschaftler‘ zumeist verständliche Texte bevorzugt.
Die Beiträge haben mit ca. 10 Seiten eine sehr schöne Länge, die spannende Einführungen in die Themen erlaubt. Die Literaturangaben ermöglichen dann eine Vertiefung.
Schließlich halte ich den Preis von 29,90 Euro für angebracht. Natürlich macht das Buch Lust auf die Ausstellung, es steht aber auch als Solitär.
Gibt es Schwächen?
Problematisch fand ich persönlich den Einstieg: Hofmann schreibt in seiner Einführung trockener als Saharawind, im Anschluss folgt recht schwere physikalische Kost von Erb. Man benötigt also zu Beginn Durchhaltevermögen (oder sollte mit Müller und seinem lockeren Schreibstil beginnen).
Zusätzlich hat mich das verwendete offene, hochweiße Papier gestört. Andreas Gnass von der Agentur U9 visuelle Gestaltung hat mir geschrieben, es wurde „ob seiner angenehmeren Haptik bei gleichzeitig sehr guten Farbwiedergabe-Eigenschaften ausgewählt“. In meinen Augen schluckt es aber die Farben zu sehr, die Fotos werden dadurch recht kontrastarm. U9 war zuständig für die Gestaltung der Ausstellung und des Buches, die ansonsten sehr gelungen und durchdacht ist.
Schließlich werden sich Experten der jeweiligen Gebiete eventuell daran stören, dass die Zielgruppe ’interessierte Laien‘ sind und es für sie zu wenig Neues gäbe. Aber ist dies nicht eigentlich jeder von uns bei mindestens 99% aller Themen: ein interessierter Laie?
Grüner Himmel, Blaues Gras. Farben ordnen Welten herausgegeben von Matthias Claudius Hofmann
256 Seiten, 127 Abbildungen, 2021, Kerber Verlag
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Vielen Dank an das Weltkulturen Museum für das Rezensionsexemplar