Kleiner Bruder - Die Geschichte meiner Suche von Ibrahima Balde und Amets Arzallus handelt von der Suche des 1994 in Guinea geborenen Ibrahima Balde nach seinem jüngeren Bruder, entlang der Flüchtlingswege von Westafrika nach Europa. Der Spanier Arzallus hat aufgeschrieben was Balde erlebt hat, da dieser ‚keine Zeit hatte, schreiben zu lernen‘.
Inhalt
Ibrahima Balde stammt aus armen, ländlichen Verhältnissen, kann aber immerhin 6 Jahre lang die Schule besuchen, weil er bei seinem Vater in Conakry lebt, der Hauptstadt Guineas. Nachdem dieser stirbt, fehlt das Geld für die Schule. Ibrahima kehrt zurück zu seiner Mutter und versucht gegenüber ihr und den jüngeren Geschwistern Verantwortung zu übernehmen und den Vater zu ersetzen.
Nach einigen Jahren bei der Familie auf dem Land geht er nach Liberia um zu arbeiten und findet eine Lehrstelle als LKW-Fahrer. Als sein kleiner Bruder verschwindet und sich aus einem Flüchtlingslager in Libyen meldet, macht sich Ibrahima auf die Suche nach ihm: Schuldkomplexe begleiten ihn, da er die Vaterrolle nicht ausfüllen und auf den Jüngeren nicht aufpassen konnte.
Auf seiner Odyssee lernt er nicht nur Hunger und Durst kennen, sondern auch, welchen Dingen ein Schwarzer auf den Flüchtlingsrouten, vor allem aber in Libyen ausgeliefert ist: Gewalt‚ Geldgier, Ausbeutung, Rassismus und Menschenverachtung. Das Leben eines Afrikaners zählt dort nichts, er ist bestenfalls billige Arbeitskraft und Geldquelle, aber auf keinen Fall ein Mensch.
Bewertung
‚Kleiner Bruder‘ ist ein schmales Büchlein, das einen schon auf den ersten Seiten packt und man ohne Pause zu Ende liest - so sehr möchte man wissen, wie es Ibrahima auf seiner Suche nach dem Bruder ergeht. Dabei lernt der Leser en passant viel von dem Leben in Teilen Afrikas: Wie junge Menschen eigentlich keine Chancen haben, und trotzdem den Stier an den Hörnern packen und versuchen, sich eine Existenz aufzubauen. Wie sie trotz Entbehrungen und geplatzter Träume weiter machen und versuchen, auch die schwierigsten Situationen zu meistern.
Augenöffnend sind Ibrahimas Erfahrungen in Libyen: Für ihn sind alle Libyer Rassisten, denen das Leben eines schwarzen Menschen nichts wert ist: „Die Araber dort sind schön, sie haben helle Haut, aber ihr Inneres ist ein dunkles Loch. Und die Kalaschnikow ist Teil ihres Körpers geworden. Egal ob Junge oder Mädchen, Greis oder Kind, alle denken nur an peng-peng-peng.“ Sind solche Stereotypen, die die ganze Bevölkerung eines Landes abqualifizieren, fragwürdig? Aus privilegierter westlicher Sicht bestimmt. Aber auch nachvollziehbar, wenn man liest, was der Autor im Land und den Lagern erfahren und erleiden musste.
Dabei ist Ibrahima kein ‚Geflüchteter‘, sondern ein Suchender oder besser: ein Getriebener und gleichzeitig ein Verlorener. Er hätte sich in Liberia eine Existenz aufbauen können, aber seine Verantwortung für die Familie und seine Ersatzrolle des Vaters war stärker.
'Kleiner Bruder', von Ibrahima Balde und Amets Arzallus in eindrücklicher, einfacher Sprache geschrieben, vermittelt eine Ahnung von Flüchtlingserfahrungen jenseits der Bilder in den Medien - ungeschminkt, ganz ohne Sozialromantik und erhobenem Zeigefinger. Sehr lesenswert!
Kleiner Bruder - Die Geschichte meiner Suche von Ibrahima Balde und Amets Arzallus
139 Seiten, 2021, Suhrkamp
Wer das Buch kaufen und mir einen Gefallen tun möchte, kann es vesandkostenfrei über Thalia bestellen. Ich nehme an deren Partnerprogramm teil und erhalte pro über den Link verkauftem Buch eine kleine Provision. Für den Käufer bleibt der Preis gleich. Natürlich kann man sich über diese Links auch informieren, ohne zu bestellen. (Beim Draufklicken auf den Link wird ein Cookie gesetzt).
Zum Thalia-Link zur gebundenen Ausgabe zum Preis von 14 Euro
Zum Thalia-Link zum eBook zum Preis von 11,99 Euro
Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar