Der Politikwissenschaftler Götz Aly wurde bekannt durch seine NS-Forschung. In seinem Buch ‚Das Prachtboot - Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten‘ befasst er sich mit der deutschen kolonialen Vergangenheit in Ozeanien und wie Artefakte der indigenen Bevölkerung in deutsche Museen kamen. Eine Hauptrolle spielt ein zukünftiges Ausstellungs-Highlight des Humboldt-Forums.
Inhalt
Götz Aly nimmt als Aufhänger für sein Buch das ‚Prachtboot‘, ein großes, fein geschnitztes Boot von der Insel Luf im Bismarck-Archipel, das im Berliner Humboldt-Forum ausgestellt werden wird. Es wurde von dem Kaufmann Eduard Hernsheim 1903 ‚erworben‘, dem Mitgründer einer in der Südsee tätigen deutschen Handelsgesellschaft. Die Insel Luf war 1882/1883 Opfer einer Strafexpedition der Deutschen. Von den „300 bis 400“ Dorfbewohnern überlebten laut Aly 50 bis 60 Einwohner, die sich vom dem Verlust an Menschen nicht mehr erholten.
Der Autor beschränkt sich in seinem Buch nicht auf diese Strafexpedition und den Erwerb des Bootes, sondern er nimmt diese Ereignisse zum Anlass, seine Geschichte von der deutschen Kolonialzeit in Ozeanien zu erzählen. Er berichtet von Strafexpeditionen, von Ausbeutung und Rassismus.
Zusätzlich geht er ein auf den von deutschen Museen entfachten „Sammelwahn“, bei dem Objekte ‚ergaunert, erjagt und geraubt ‘ wurden. ‚Betrügen, stehlen und plündern‘ lautet dementsprechend sein Kapitel. Er stellt den Erwerb solcher Werke unter Generalverdacht: Wenn sie nicht in einem Gewalt- und Bedrohungskontext in die Hände der Deutschen kamen, dann wurden sie gegen minderwertige Ware getauscht: Gin, schlechter Tabak oder billige Perlen.
Bewertung
Mich lässt ‚Das Prachtboot - Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten‘ mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. Einerseits ist es wichtig, dass ein bekannter Autor auf die Gräueltaten der Deutschen während ihrer Kolonialzeit in der Ozeanien hinweist - sie war für die Indigenen (aber auch für die deutschen Eindringlinge) eben nicht das Südseeparadies, wie es heute noch in manchen Köpfen herumspukt. Dazu ist das Buch ein gut lesbares Plädoyer, den Erwerbskontext von Objekten für deutsche Museen genau zu hinterfragen.
Andererseits hatte ich während des Lesens den Eindruck, Götz Aly hätte es sich etwas leicht gemacht. Hat er nicht so intensiv recherchiert, wie es vielleicht zumindest aus meiner Sicht notwendig gewesen wäre? Dieser Eindruck verstärkte sich während einer durch Zoom übertragenen Veranstaltung des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums am 11. Juni 2021, bei der Aly mit dem Journalisten Stefan Koldehoff über sein Buch sprach. Dort bezeichnete er die Beschäftigung mit der Thematik als „Urlaub“, verglichen mit seiner Arbeit über die NS-Zeit, beispielsweise der deutschen Verbrechen in Polen.
‚Urlaub‘ lässt m. E. zwei Interpretationsmöglichkeiten zu. Zum einen, dass ihn die Taten der Deutschen in der Südsee weniger mitnehmen als die NS-Zeit. Dies ist aus seiner Warte ein nachvollziehbares Gefühl, schließlich sind die Verbrechen der Deutschen unter Hitler immer noch singulär. Ein schaler Nachgeschmack bleibt aber: Wird das Leben der indigenen Bevölkerung in Ozeanien geringer geachtet als das von Europäern? Ist es Urlaub, sich damit zu beschäftigen?
Eine zweite Interpretationsmöglichkeit: Ist er den Text und die Recherche etwas locker angegangen, halt als ‚Urlaub‘?
Dieser zweite Punkt würde einiges in dem Buch erklären:
- Aly war nach eigenen in Köln gemachten Aussagen verwundert, wie leicht Provenienzforschung sei. Er habe sich einige Inventarbücher angeschaut und das hätte genügt. Dementsprechend gab er auf meine Frage im Chat am Ende der Veranstaltung an, er hätte im Vorfeld nicht mit Provenienzforschern von deutschen ethnologischen Museen gesprochen. Er sah sichtlich keinen Grund dafür. Seiner Ansicht nach würde es mehr oder weniger genügen, die originalen Inventarbücher der Museen zu veröffentlichen und zu studieren. Damit sei es seiner Meinung nach in recht kurzer Zeit möglich, genügend darüber zu erfahren, wie die Objekte in die Hand der Deutschen kamen. Ich kann mir gut vorstellen, dass manche Provenienzforscher ihm nicht vollständig zustimmen werden...
- Götz Aly stellt in seinem Buch der Erwerb von kulturellen Artefakten unter Generalverdacht: Sie wurden grundsätzlich „ergaunert, erjagt und geraubt“. Dass z.B. mit Malangan-Objekten ein von den Indigenen gewollter und oft imitierter Handel stattfand, hat demensprechend in seinem Buch keinen Platz. Ob sich der Politikwissenschaftler nicht damit befasst oder solche Beispiele unterschlagen hat, weil sie nicht in seine Story passen, sei dahin gestellt.
- Als ärgerlich empfand ich die eurozentrierte Sichtweise des Autors: Für ihn waren die indigenen Menschen, die sich von Stücken trennten, grundsätzlich passive Opfer von Zwang oder eben von Gaunereien, bei denen sie ihre Kulturgüter für billige Waren abgaben. Man ließ sich halt über das Ohr hauen. Dass solche Tauschwaren aber unter Umständen einen hohen Wert innerhalb der Herkunftsgesellschaft hatten, beispielsweise Perlen oder westliche Artefakte, thematisiert er nicht und dies interessiert ihn auch nicht, wie er bei der Kölner Veranstaltung zugab. Er wisse durchaus, dass z.B. Perlen für die Gesellschaften wertvoll gewesen wären, aber das sei nicht sein Thema.
Äußerst unbefriedigend empfand ich, dass Götz Aly nicht aufzeigen kann, wie ‚das Prachtboot‘ in die Hände des deutschen Kaufmanns Eduard Hernsheim kam. Für den unredlichen Erwerb spricht für Götz Aly, dass der Kaufmann später davon schrieb, das Boot wäre „in seine Hände übergegangen.“ Aus seiner Sicht wäre Hernsheim nicht so vage geblieben, wenn er das Boot gekauft hätte. Dies ist eine Vermutung, die sicherlich etwas für sich hat, aber eben kein Beweis. Der Erwerbskontext bleibt somit unklar
Nur ein Detail, das aber Bände spricht: Der Autor schreibt, das Nationalmuseum in Port Moresby müsse sich mit Repliken zufrieden geben. Aus Sicht des Galeristen Ulrich Kortmann, der das Museum mehr als 30 mal besucht hat, handelt es sich dabei um "eine glatte Lüge". Das Museum habe "eine fantastische Sammlung, das mit vielen Museen der internationalen "Konkurrenz" mithalten" könne. Erneut stellt sich die Frage: Hat Götz Aly nur unzureichend recherchiert oder hat er bewusst Fake News verbreitet, weil sie gut zu seiner Story passen.
Schließlich hätte ich mir einen weniger sprunghaften Aufbau gewünscht. Beispielsweise befassen sich die Kapitel 2 bis 5 mit den Vorkommnissen auf Luf, was aber erst wieder in Kapitel 9 weitergeführt wird. Dies erklärt sich eventuell durch die Entstehungsgeschichte des Werkes: Götz Aly wollte zuerst einen Artikel schreiben, schwenkte dann aber um und erweiterte ihn zu einem Buch. Dadurch ging die Stringenz wohl ein wenig verloren.
Götz Aly: Das Prachtboot - Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten
240 Seiten, 2021, Verlage S. Fischer
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Vielen Dank an S. Fischer Verlage für das Rezensionsexemplar