Bereits aus dem Jahr 2012 stammt das Buch ‚Gefunden und Verloren‘ von Markus Schindlbeck, dem ehemaligen Leiter des Fachreferates „Ozeanien und Australien“ im Ethnologischen Museum von Berlin. Minutiös beschreibt er in einem nüchternen, aber lesbaren Stil, wie das Ethnologische Museum Berlin in den 1920er und 1930er Jahren Objekte vor allem aus der Südsee, teilweise aber auch aus Afrika durch 'Tausch, Abgabe und Verlust‘ verloren hat.
Dabei gibt Schindlbeck den Ursachen genügend Raum: Mehr oder häufig auch weniger ähnliche Stücke wurden als Dubletten bezeichnet und konnten deshalb die Sammlung verlassen - aus finanziellen Gründen, oder aber auch um an Ethnografica zu kommen, die in der Sammlung fehlten. So gab es ab 1936 Verhandlungen für einen Tausch mit dem Eesti-Rhva Museum in Riga: Das Baltikum lag damals auf der Agenda der NS-Politik.
Dazu kommt, dass häufig Nicht-Experten darüber entschieden, was eine Dublette war und häufig Artefakte abgegeben wurden, was in manchen Fällen dmals schon zu Unverständnis geführt hat.
Den meisten Raum nimmt allerdings die genau recherchierte Wiedergabe der Kauf- und Tauschaktionen ein, wobei die Händlerdynastie Speyer im Mittelpunkt steht. Insbesondere Arthur Speyer (II) gelang es, bedeutende Werke dem Museum abzukaufen oder einzutauschen und sie an seine Kunden weiterzugeben, die sich wie ein Who is who der Tribal Art-Szene der Vorkriegsjahre liest: Charles Ratton, Barbier-Mueller oder auch Lemaire. Bei der Recherche zu Speyer half dem Autor u.a. Arthur Speyer (III).
Bewertung
Gefunden und Verloren war 2012 für Wissenschaftler, aber fast noch mehr für den Händler und Sammler in Deutschland eine Pionierarbeit der Provenienzforschung. Es gab vorher nur wenig ausführliche Bestandaufnahmen des frühen Handels in Deutschland mit Ethnografica. Zu nennen ist hier Hilke Thode-Arora Arbeit über die der Händlerdynastie Umlauf aus dem Jahr 1992. Schindlbeck machte deutlich, wie es dazu kam, dass recht viele hochwertige Südsee-Objekte auf dem Kunstmarkt gelangen, wie großartige Maori-Steven oder Uli-Figuren, die heute 7-stellige Beträge kosten würden. Dazu wurde bei einigen Insidern durch die Texte und noch mehr durch die großformatige Fotos mit Objekten, beispielsweise alte Fotos der Speyer-Sammlungen ein Goldgräberboom ausgelöst: Manche machten sich auf die Suche nach Speyer-Objekten und glichen bekannte Werke mit denen aus dem Buch ab.
Ist das 10 Jahre alte Buch aber aus der Zeit gefallen? Gibt es nicht das Internet mit den schier unendlichen Fotodatenbanken? Existieren nicht auf Gefunden und Verloren basierende weitergehende Analysen, z.B. von A. Schlothauer in der Kunst&Kontext? Und liegt der Fokus heute nicht eher darauf, wie Objekte in den Ursprungsländern gesammelt wurden (Stichwort Restitution) und weniger, welche Wege sie in Europa und den USA zurücklegten?
Die Antwort: Nein: Nach wie vor ist es äußerst lohnend zu lesen, wie das Ethnologisch Museum mit Dubletten umgegangen und wohin sie gewandert sind. Dazu weckt das Buch immer noch die Detektiv-Ader im Leser. So habe ich mich an das Museum in Riga gewandt, aber leider noch keine Antwort bekommen. Dazu muss man, auch wenn man sich mit dem Erwerb in den Ursprungsländern befasst, wissen, wohin es die Objekte verschlagen hat, die zum Teil noch in den Inventarbüchern erfasst sind, nach dem sie das Museum abgegeben hat. Und schließlich ist es einfach toll, herausragende Südsee-Kunst auf großformatigen Fotos und die alten Sammlungsfotos von Arthur Speyer zu betrachten und davon zu träumen, was es damals alles auf dem Kunstmarkt gab. Wie da beispielsweise ein halbes Dutzend Mundugumor-Figuren an der Wand hängen, ‚bewacht‘ von 2 prächtigen Uli-Figuren. Und geradezu verlieben kann man sich in die leider viel zu wenigen Modefotos wie das auf dem Cover, auf denen Models Südseeschmuck tragen - was heute wohl als kulturelle Aneignung verpönt wäre. Kurz: Gefunden und Verloren ist ein zeitloses Must-Have für den Afiociando der Kunst aus Ozeanien.
Und: Das Buch, eine Veröffentlichung des Ethnologischen Museums Berlin, wird immer wieder für recht viel Geld antiquarisch und auf Auktionen angeboten. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt kann man aber noch Exemplare beim Webshops der staatlichen Museen zu Berlin zum Preis von 44,90 Euro kaufen. Zum Webshop (Beim Klicken auf den Link wird ein Cookie gesetzt).
Lieben Dank an Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Zusendung eines Rezensionsexemplars