Ich gebe es zu: Akua’ba-‚Puppen‘ (Plural: Akua’ma) haben mich nie wirklich interessiert. Dies liegt vielleicht daran, dass ich diese Figuren mit den scheibenförmigen Köpfen einfach zu oft gesehen habe. Sie sind eine Ikone des traditionellen Afrikas und gehören wohl zu den Figuren, die auch Leute kennen, die sich nicht mit afrikanischer Kunst auskennen. Meine Einstellung hat sich aber durch das Buch ‚Akua’ba Asante - Wednesday Child‘ vollkommen geändert. Konzipiert und zum größten Teil geschrieben hat es der Sammler Ron van Doorn. Co-Autor ist Herbert M. Cole, einer der größten Experten für die traditionelle Kultur aus Ghana, der zwei Beiträge beisteuert und Diskussionspartner war.
Der Name Akua’ba stammt aus einer Legende: Akua, eine Asante, deren Name sich aus ihrem Geburtstag ableitet: Mittwoch, konnte keine Kinder bekommen. Sie besuchte daher einen Wahrsager, der ihr riet, ein Kind aus Holz schnitzen zu lassen und sich darum zu kümmern, als sei es ihr richtiges Kind. Sie wurde dafür von den Dorfbewohnern verspottet, die die Figur Akua’ba nannten, also Akuas Kind bzw. Wednesday Child - dies erklärt den Untertitel des Buches. Als Akua dann aber ein wunderschönes Mädchen gebar, adaptieren die Frauen diese Tradition.
Van Doorn und Cole erzählen diese Geschichte im ersten Teil des Buches, bei dem es um Grundlegendes zu den Objekten geht, z.B. dem sozio-kulturellen Hintergrund, aber auch, aus welchem Holz sie geschnitzt sind.
In diesem Teil gibt es eine erste Diskussion zum Thema Authentizität. Es erscheint schwierig, die Authentizität einer Akua’ba zu bestimmen, da es spätestens seit den 1970er Jahren Workshops gibt, die solche Figuren anfertigen und ziemlich perfekt auf alt trimmen und Gebrauchsspuren vortäuschen. Dazu kommt der Punkt, dass Akua’ma in der Regel häufig nur kurz von einer Frau wirklich auf den Rücken getragen und gepflegt wurden: In der Zeit von Kinderwunsch bis zu dem Zeitpunkt, da sich dieser Wunsch erfüllt. Dementsprechend sind diese Objekte auch keine Puppen, sie werden nur in den seltensten Fällen von Kinder danach zum Spielen verwendet. Daher könnte es sein, dass nur wenige Gebrauchsspuren zu sehen sind.
Dazu kann man nicht immer von der Form der Akua’ba auf ihre Authentizität schließen: Es gibt früh gesammelte Figuren in Museen, die äußerst modern und nach Fälschung oder ‚made for Outsiders‘ aussehen. Man muss oft auf sein ‚Bauchgefühl‘ hören.
Ein wichtiger Schlüssel für die Authentizität ist das belegte Alter einer Figur: Es gab anscheinend vor den 1920er Jahren fast nur ‚authentische‘ Objekte und ab ca. 1970 kaum noch welche, die für den Kult angefertigt wurden, der heute wohl nicht mehr existiert. (Am Ende des Buchs ist Cole übrigens der Ansicht, dass in Zukunft die ‚Authentizität‘ eines Werkes u.a. in Museen keine Rolle mehr spielen wird. Schöne Objekte würden als afrikanische Kunst ausgestellt, gleichgültig ob im Ritus verwendet oder nicht.)
Im Hauptteil des Buches beschreibt van Doorn ausführlich stilistische Ausprägungen von Details an Akua’ma und stellt jeweils gleiche aber auch unterschiedliche Typen gegenüber. Van Doorn geht da u.a. ein auf die verschiedenen Formen des Kopfes - weniger als die Hälfe dieser Figuren haben wohl komplett runde Köpfe-, die unterschiedliche Gestaltungen des Halses oder des Mundes oder darauf, wie Augen und Augenbrauen geschnitzt sind. Dazu gibt es Figuren, deren Körper sehr stilisiert sind - dies ist bei der Mehrheit der Fall - und welche mit ‚realistischeren‘ Gliedmaßen und Körperhaltung. Wobei der Grad der Stilisierung nicht zwangsweise etwas mit dem Alter der Figur zu tun hat: ‚Realistische‘ Körper kamen schon im 19. Jhd. in Museen - wenn auch selten.
Was sich hier etwas wie Briefmarkensammeln anhören mag, wird im Buch durch die großartigen Vergleichsfotos zu einer äußerst spannenden Entdeckungsreise in die Welt der Akua’ba - und in die Welt der Schnitzkunst Afrikas. Van Doorn gelingt mit den Reihungen und Gegenüberstellungen eine Art Schule, um das Sehen zu lernen: Wer wie ich Objekte oft nur holistisch wahrnimmt, d.h. vom Gesamteindruck aus, der wird geradezu aufgefordert, auf Details der Stücke zu achten. Die Akua’ma sind Musterbeispiele für das Prinzip des ‚same, same but different‘ in seiner für den Betrachter lohnendsten Form. Das Buch lädt dazu, nicht nur diese ‚Fruchtbarkeitspupen‘ aus Ghana, sondern auch Stücke aus der eigenen Sammlung mit neuen Augen zu betrachten!
Damit sich eine durch Text und Fotos rein deskriptive Beschreibung wirklich lohnt, wird eine große Anzahl an guten Studienobjekten benötigt. Dies ist hier der Fall: Van Doorn konnte zum einen auf seine eigene Sammlung zurückgreifen, die aus über 170 Akua’ma besteht. Zusätzlich zog er fast 90 Objekte aus Museen zu einer Analyse heran. All diese Objekte werden zusammen mit deren Provenienz im letzten Bildteil des Buches aufgeführt, mit wenigen Museums-Ausnahmen aus 4 verschiedenen Perspektiven. Dadurch kann man auch die Rückseiten der Köpfe sehen, auf denen sich zumeist Muster befinden.
Inwieweit diese Muster eine Bedeutung haben, da sind sich die Autoren anscheinend etwas uneinig gewesen: Ron van Doorn meint, unterschiedliche Skarifizierungen hätten verschiedene symbolische Bedeutungen, auf die er auch eingeht. Dagegen ist 'Chip' Cole der Ansicht, sie wären in erster Linie geschnitzt, weil sie schön sind. Auf alle Fälle sind diese unterschiedlichen Muster eines der vielen Highlights des Buches.
In einem tollen Kapitel, das aber eine leichte Enttäuschung hinterlässt, geht es schließlich um Gruppen. Die Autoren fassen Objekte, die sich bzgl. bestimmter Merkmale sehr ähnlich sind und eventuell jeweils aus einem Workshop stammen könnten, in Gruppen zusammen. Dies ist eine Herangehensweise, wie man sie u.a. von den Lobi-Büchern von Herkenhoff und Katsouros kennt. Allerdings werden deren (Marketing-) Bezeichnungen vermieden und es heißt z.B. einfach ‚Eyes of a special relief‘ und nicht vom ‚Master of the eyes of a special relief‘. Und warum Enttäuschung? Es werden ‚nur‘ 5 sehr ähnliche klassische Stile und damit wohl auch Workshops/Schnitzer identifiziert, ich hätte mir mehr gewünscht. Aber ein Anfang ist getan, vielleicht wird dieses Kapitel ja bald fortgeschrieben.
Bei dem Kapitel Gruppen werden auch ‚moderne‘ Objekte und welche ‚made for Outsiders‘ anhand von Beispielen diskutiert - wobei es aber Fragezeichen gibt. So könnte es z.B. sein, dass eine Frau eine Figur, die eigentlich für den Verkauf angefertigt wurde, als Wednesday Child verwendet hat.
Das Buch ist in einer Auflage von 500 erschienen, großformatig, über 300 Seiten dick, besitzt Hunderte erstklassige Objektfotos und hat eine Luxusgestaltung mit Einband und 3 Lesebändern. Dazu gibt es ein Extraheft, in dem alle Figuren, die erwähnt werden, abgebildet sind: Im Buch stehen zwar Objektnummern bei den Fotos, allerdings kann man die Nummern nicht immer den (Detail-) Abbildungen zuordnen. Durch das Beiheft ist es möglich, sehr schnell anhand der Nummern nachzuschauen, wie das Objekt als Ganzes aussieht. Dies ist sehr hilfreich.
Akua’ba asante kostet 70 Euro, was wenig ist, betrachtet man den Aufwand, den Druck und die kleine Auflage. Möglich war dies u.a. deswegen, weil die ausgebildetete Fotografin Christine van Doorn, Rons Ehefrau, viele der Fotos gemacht hat..
Habe ich einen Kritikpunkt? Ron van Doorn hat zwar lange in Afrika gelebt, u.a. als Mitglied von Ärzte ohne Grenzen, es fehlen aber afrikanische Stimmen in dem Buch, seien es Schnitzer oder ältere Menschen, die sich noch an den Ritus erinnern können. Es ist daher ein faszinierendes Buch von ‚weißen‘ Autoren über ein afrikanisches Phänomen geworden, heutzutage müsste man aber auch den Blick und das Wissen der Herkunftsgesellschaften berücksichtigen, um ihnen auf Augenhöhe begegnen.
Es bleibt aber: Akua’ba Asante ist ein großartiges Buch, das Lust macht auf diese Werke der Asante und es ist eine Schule des Sehens.
Akua’ba Asante kann bezogen werden über die Website des Autors. Zur Website.
Lieben Dank an Ron van Doorn für das Rezensionsexemplar