Nur durch den Titel konnte ich mir auf dieses Buch keinen Reim machen: „Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie“. Eine Ahnung bekam ich durch den Namen der Autorin: Sophie Schönberger ist Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht in Düsseldorf. Und so dachte ich, es würde primär um die rechtlichen Bedingungen von Restitution gehen. Da lag ich falsch.
Natürlich findet man in diesem Buch juristische Hintergründe, aber die werden bzgl. der Restitution afrikanischer Kulturgüter recht schnell abgehandelt: Laut der Autorin ist beispielsweise der Raub der Benin Bronzen durch britische Truppen aus Sicht der Kolonialisatoren formaljuristisch kein Unrecht, da das Völkerrecht damals einzig „ein Recht des globalen Nordens“ gewesen sei und es sich bei den kolonialisierten Gebieten „nicht um völkerrechtliche Staaten im völkerrechtlichen Sinne“ gehandelt hätten. Die Wegnahme von Kulturgütern war demnach „nach den Maßstäben der damaligen Zeit“ nicht illegal.“ Und da sich das Recht „unbeeindruckt“ fortschreibt und bis heute nicht verändert wurde, gilt: „Auf koloniale Raubzüge ist daher im Grundsatz das Recht der Kolonialzeit anzuwenden“. Auch wenn dies der „moralischen Bewertung in der Öffentlichkeit“ wiederspricht.
Zusätzlich gibt es Paragraphen im Bürgerlichen Gesetzbuch, die sich mit der Herausgabe von Objekten befassen. Demnach regelt § 937 die ‚Ersitzung‘. Besitzt jemand ein Objekt, das eigentlich einem anderen gehört, geht es nach 10 Jahren auf ihn über, wenn er von den wahren Eigentumsverhältnissen keine Kenntnis hatte. „Das Recht vergisst also nach 10 Jahren, dass es einen anderen Eigentümer gab.“ Dazu kommt noch die Verjährung nach 30 Jahren: Innerhalb dieses Zeitraums muss jemand auf ein Objekt Anspruch erheben, sonst wird dieser hinfällig.
Worauf Schönberger leider so gut wie nicht eingeht: Das Kulturgutschutzgesetz, wohl weil es ihr thematisch nicht reinpasst.
Schwerpunkt des Buches ist tatsächlich die Einordnung von Restitutionsdebatten in eine übergreifende gesellschaftliche Strömung, die der Nostalgie. Dies erläutert sie anhand dreier Beispiele: NS-Raubkunst, Kulturgüter aus kolonialem Kontext, worauf ich mich hier beschränken möchte, und Kulturgüter der Hohenzollern, die zurückverlangt werden.
Die Autorin unterscheidet drei Arten der Nostalgie:
- Die reflektive Nostalgie, die Trauer um eine vergangene Zeit.
- Die restaurative Nostalgie, der Wunsch nach einer Vergangenheit, die es so nicht gab, bei der man die Vergangenheit für die Gegenwart wiederherstellen möchte. Hier geht es um etwas wie ‚Make Americ great again“ oder das Comback von Nationalstaaten. Putins Krieg gegen die Ukraine kann auch so gelesen werden.
- Die reparative Nostalgie, die sich bemüht, „das vergangene Unrecht wiedergutzumachen,“ z.B. durch Entschädigungszahlungen. Und dies betrifft zunehmend Objekte „mit Unrechtsgeschichte“, die zurück gegeben werden sollen. Dabei ist sie grundsätzlich die „Konstruktion einer hypothetischen Gegenwart, die entstanden wäre, hätte es das vergangene Unrecht nicht gegeben“
Damit ist für die Restitutionsdebatte um Objekte aus kolonialer Zeit vor allem die reparative Nostalgie relevant: Man sehnt sich nicht nach der guten alte Zeit zurück, sondern möchte die Verfehlungen des Kolonialismus nichtig machen. Diese Idee ist grundsätzlich der des Schadensersatzrechts entliehen. „Denn wer zu Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“ (§249 BGB). Für Schönberger ist darin „ein kleines Moment magischen Denkens inhärent.“ Es gäbe schließlich keinen „Feenstaub“.
In der Restitutionsdebatte kolonialer Objekte geht es nun u.a. darum, „die durch die Kolonialisierung ‚gestohlene Identität zu reparieren.“ Nun kommen auch Museen als Identitätsstifter ins Spiel. Und jemand, der zurückgibt, der muss sich nicht mehr als „Nachfolger der Täter des historischen Unrechts begreifen“, sondern als jemand, der das Objekt an die Eigentümer zurückführt. Das Zurückgeben kann „zum Loswerden“ werden, „es schneidet Auseinandersetzungen ab.“ In die reparativen Nostalgie „mischen sich Splitter“ der restaurativen Nostalgie.
Im weiteren Teil des Buches befasst sich die Autorin mit der Rolle der Museen und damit, ob durch Restitution überhaupt so etwas wie ‚Gerechtigkeit‘ möglich ist, denn: „Restitution kann die Zeit nicht zurückdrehen.“ Sondern: „Es muss vergeben werden.“
Bewertung
Ein Fazit fällt mir dieses Mal sehr schwer. Auf der einen Seite ist es spannend, Sophie Schönberger dabei zu folgen, wie sie der Restitutionsdebatte mit Hilfe ihres Nostalgie-Ordnungsschemas neue Facetten abgewinnt. Andererseits habe ich mich beim Lesen immer gefragt, was ich von der Lektüre habe, was ich davon nach Hause tragen kann.
Sehr schade fand ich, dass die Autorin die ganze Debatte um die Rückgabe von Kolonialgütern aus der westlichen Perspektive betrachtet. Es geht vor allem um die Restituierenden, und weniger darum, was die Restitution für die ehemals Kolonialisierten bedeutet. Wird deren Blick auch durch Nostalgie gesteuert?
Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie von Sophie Schönberger
158 Seiten, 2021, C.H.Beck Verlag
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Vielen Dank an den Verlag C.H.Beck für das Rezensionsexemplar