Für Einsteiger in die Ägyptischer Kunst ist das Buch von Dorothea Arnold sicherlich hilfreich: Es fehlen aber – wohl aus Platzmangel – ausführliche bildbasierte Analysen/Beschreibungen, mit deren Hilfe man lernen kann, wie sich der Stil dieser Kunst im Zeitverlauf verändert hat.
Bietet ‚Das Münchner Buch der Ägyptischen Kunst‘, der Katalog zum Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst solch eine Hilfe zum Sehen lernen? Ich nehme mein Urteil vorweg: Ja, denn dieses reich bebilderte Buch ist ein großer Wurf! Sylvia Schoske und Dietrich Wildung, die beide Direktoren des Münchner Museums waren, nehmen den Leser darin mit auf eine über 4500 Jahre dauernden Reise durch die Ägyptische Kunst.
Inhalt
In einem kurzen, nichtsdestotrotz lesenswerten Einführungskapitel gehen die Autoren auf die Grundlagen der Ägyptischen Kunst ein, beschreiben die wesentlichen Skulpturentypen wie die Stand-Schreit-Figur (immer mit dem linken Bein nach vorne) oder die Würfelstatue. Hier sind sie ganz nah an der Dauerausstellung des Museums zu Beginn des Rundgangs.
Während aber das Museum, das sich ausdrücklich als Kunstmuseum begreift, seine Ausstellung in Themen unterteilt, beschreibt das Ehepaar Schoske/Wildung die stilistische Entwicklung im Laufe der Jahrtausende.
Es beginnt mit der Vorgeschichte (4000 bis 3050 v. Chr.), mit dekorierter Keramik, Tierdarstellungen als „Manifestationen des Göttlichen“ und Ritualschiffen, die das Diesseits mit dem Jenseits verbinden.
Die Frühzeit (3050-2659 v. Chr.) ist eine Zeit des Experimentierens. Die handwerklichen Fähigkeiten steigern sich enorm, dies sieht man v.a. an Beinschnitzereien. Dazu wurde eine staatliche Struktur geschaffen, die ein riesiges Gebiet einem zentralen Königtum unterstellten, der „Beginn einer welthistorisch einzigartigen Kontinuität von drei Jahrtausenden“. Kunst wurde monumental, so werden in Nekropolen lebensgroße Holzfiguren errichtet. Und es gibt die ersten Ansätze der Hieroglyphenschrift.
Im Alten Reich (2650-2150 v. Chr.) „entwickelte sich das Pharaonenreich zu der neben Mesopotamien führenden politischen und wirtschaftlichen Größe des Nahen Ostens.“ Zeugnis der Macht des Königs sind die ersten Pyramiden aus Stein.
In der Kunst haben die Figuren zu Beginn durchaus individuelle Züge. Dies ändert sich aber, es zeigen sich immer mehr alterslose Idealbilder, die den König noch gottähnlicher erscheinen lassen. Sehr spannend sind Paar-Darstellungen, die das hohe Ansehen der Frau in der ägyptischen Gesellschaft belegen.
In der ersten Zwischenzeit (2150-2050 v. Chr.) ist die „Herrschaft der Pharaonen zerbrochen“, statt der Kalksteinreliefs in den Gräbern werden vielfältige Holzfiguren hergestellt. Dazu ist bei kleinen Figuren der „Verlust der kubischen Struktur der Körperhaltung“ erkennbar.
Das Mittlere Reich (2050-1650 v. Chr.) gilt als „das goldene Zeitalter Ägyptens“, nachdem es Mentuhotep II gelungen ist, das Niltal „ zu befrieden“. In der Kunst, bei der das erste Mal die Würfelfigur auftritt, zeigt sich beispielsweise bei den Gesichtszügen eine Abkehr vom idealisierten Menschenbild der Statuen des alten Reiches hin zu Individualität – wobei aber grundlegende Stilelemente beibehalten werden. Diese Zeit ist geprägt von Tradition und Innovation.
Der Pharao nähert sich noch mehr den Göttern an, wird teilweise auf eine Stufe mit ihnen gehoben. So existieren Sphingen, deren Gesicht den „göttlichen König“ erkennen lassen.
In dieser Zeit fällt such die Entwicklung des Metallgusses. Der im Buch abgebildete 32cm große Wesir gehört zu meinen Lieblingsstücken des Münchner Museums.
Wenn es heute in Ägypten auch wenige Spuren des Mittleren Reiches gibt, ist es dennoch „omnipräsent“. Sei es, weil Pharaonen die Kolossalstatuen des Mittleren Reiches ein Jahrtausend später „wiederverwendet“ haben. Oder weil die Kunst der Spätzeit die Statuen und Reliefs kopiert hat.
In der zweiten Zwischenzeit (1650-1550 v. Chr.) wird eine „politische und kulturelle Erschlaffung“ konstatiert, in der nicht weniger als 170 Pharaonen regieren. Diese „Apathie“ äußerst sich künstlerisch in „einem nahezu völligen Erlahmen der Produktion.“
Sie wird abgelöst vom Neuen Reich (1550-1080 v. Chr.). Es orientiert sich zu Beginn am Mittleren Reich, allerdings tendiert die Kunst zu einem „idealisierenden ‚schönen‘ Stil“. Dieser wird von Echnaton (Amenophis IV) in Frage gestellt, der eine neue Staatsreligion verordnet: Gott manifestiert sich einzig im Licht der Sonne. Und die Statuen lösen sich von der Anatomie, besitzen z.B. geradezu groteske Züge. Später wird der Stil gemäßigter, gebiert u.a. den Kopf der Nofretete.
Nach Echnaton verschwindet seine religiöse und künstlerische Revolution, nicht aber die „gestalterische Freiheit“ der Künstler. Es entstehen Porträtskulpturen von hoher Qualität.
Spätestens unter Ramses II werden die Werke wieder idealisierender, dienen der politischen Repräsentation.
Auf die Dritte Zwischenzeit (1080-714 v. Chr.) folgt die Spätzeit (714-332 v. Chr.), in der die territoriale Einheit Ägyptens von den Kuschiten aus dem Nordsudan wiederhergestellt werden. Auf einem Königskopf erkennt man anhand stilisierter Merkmale des Gesichts die afrikanische Heimat. So ist eine ‚Kuschitenfalte‘ zu sehen, die von der Nase zu dem Mund führt. Es ist die Zeit der schwarzen Pharaonen.
Nach den Kusschiten haben die Saiten und die Perser Einfluss, danach gibt es eine kurze politische Eigenständigkeit.
In der Ptolemäerzeit (332-30 v. Chr.), also Alexander der Große und seine Nachfolger, die Ptolemäer, werden bei königlicher Kunst die klassischen Formen gepflegt, neu hinzu kommen allerdings Münzbilder mit Beschriftungen. Die nicht-königliche Skulptur ist dagegen häufig eine Verbindung des Hellenistischen mit dem Ägyptischen. Die letzte Herrscherin dieser Zeit ist Cleopatra.
Von 30 v.-395 n. Chr. regieren schließlich die Römer. Sie sind fasziniert von der ägyptischen Kultur und Religion, es entstand eine „künstlerische Symbiose“ zwischen Ägypten und Rom.
Das Buch endet mit der Ägyptomanie in Rom, den interkulturellen Ausprägungen im Reich von Meroë im Nordsudan und den Entwicklungen zwischen 300-639 n. Chr., der Spätantike und dem frühen Christentum.
Bewertung
Ein tolles Buch, ideal (nicht nur!) für Einsteiger! Was es so großartig macht: Schoske und Wildung erzählen ihre Stilgeschichte konsequent mit über 160 Abbildungen von Objekten des Museums. Da ist nichts dem Zufall überlassen oder beliebig: Jedes Foto ist Beleg für im Text beschriebene stilistische Eigenheiten der jeweiligen Epoche. Wobei nicht klar wird, ob die Autoren zuerst einen Text entwarfen und dass die Objekte dazu suchten, oder umgekehrt. Es ging wohl Hand in Hand, was nur gelingen kann, wenn man die Geschichte der ägyptischen Kunst und die Objekte perfekt kennt. Und das tun die Autoren.
Damit ist den Autoren mit ‚Das Münchner Buch der Ägyptischen Kunst‘ ein großer Wurf gelungen: Man lernt, die sich im Laufe der Zeit verändernde ägyptische Kunst zu ‚sehen‘ und sie mit dem Hintergrund der sich verändernden politischen Lage zu verstehen. Dies ist ein durchgehender Gedanke im Buch: Wie sehr sich Änderungen des Herrschaftsgefüges in der Kunst wiederspiegeln. Dadurch erfährt der Leser nicht nur viel über die Kunst, sondern en passant auch über die Geschichte Ägyptens.
Wer noch weiter in die Materie eindringen möchte, sollte sich wohl in Monografien einlesen. Ich werde mich jetzt allerdings auf die alten Griechen stürzen…
Das Münchner Buch der Ägyptischen Kunst‘t von Sylvia Schoske und Dietrich Wildung
204 Seiten, 168 Abbildungen, 2013, C.H.Beck Verlag
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Vielen Dank an den Verlag C.H.Beck für das Rezensionsexemplar