Die Reihe C.H.BECK Wissen bietet auf jeweils ca. 128 Seiten komprimierte Überblicke über bestimmte Themen. Innerhalb der Kategorie Kunst ist nun das Taschenbuch 'Die Kunst Afrikas' von Kerstin Pinther erschienen. Die Autorin lehrt an der Afrika-Abteilung des kunsthistorischen Instituts der FU Berlin und ist angestellte Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext am Museum für Asiatische Kunst.
Inhalt
Kerstin Pinther betont in ihrer ausführlichen Einführung, dass afrikanische Kunst nicht als statisch und allein als „rural verankert zu betrachten ist“. Dementsprechend zieht sie den Begriff ‚historische Kunst Afrikas‘ dem der ‚Kunst Afrikas‘ vor, da dieser die Vielfalt und Komplexität der Künste reduzieren könnte.
Folgerichtig geht sie recht ausführlich darauf ein, dass es schon ab dem 8. Jahrhundert kulturelle Austauschbeziehungen gab, in deren Folge beispielsweise chinesisches Porzellan ins subsaharische Afrika gelangte. Solch eine „Allgegenwart kultureller Austauschbeziehungen“, zu der auch der Islam und bereits im 15. Jahrhundert katholische Missionsbewegungen gehörten, hätten „künstlerische Synthesen und gestalterische Verschränkungen“ angeregt. Was sie hier nicht explizit schreibt, aber deutlich wird: Auf welch tönernen Füßen die von westlichen Aktivisten vertretene Kritik der kulturellen Aneignung steht.
In einem Überblick zur Forschungsgeschichte kritisiert sie, dass die afrikanische Kunst lange als geschichtslos und primitiv angesehen wurde, weist aber auch auf Ausnahmen wie Franz Boa und Hans Himmelheber hin, der als einer der ersten Feldstudien zur „Frage der Kunstschaffenden“ durchgeführt hat.
Die Autorin stört sich an der „westzentrischen“ Kanonisierung der Kunst nach „Stämmen“, weil dadurch u.a. historische Dynamiken und Ephemere, d.h. vergängliche, temporäre Kunst vernachlässigt werden würden. Einen zumindest für mich neuen Aspekt greift Plinther auf, in dem sie bei „transatlantischen Netzwerken“ betont, dass bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch afrikanischer Bildwerke auch „emanzipatorische Anliegen schwarzer Intellektueller und Vorkämpfer um Gleichberechtigung rezipiert wurden.“
Die Einführung endet mit eine wichtigen Aspekt: Zwar müsse die „koloniale Gebundenheit“ vieler Annahmen der Kunstgeschichte und der Ethnologie hinterfragt werden. Dies dürfe aber nicht dazu führen, „Artefakte allein unter diesem Blickwinkel der Evidenz für koloniales Unrecht wahrzunehmen. Denn sie haben eine komplexere Geschichte…“. Dieser Gedanke ist der Autorin so bedeutsam, dass sie ihn im Epilog wieder aufgreift.
Im Abschnitt „Künstlerische Gestaltungen und ästhetische Konventionen“ macht sie sich auf die Suche nach Werkstätten und individuellen Autorenschaften und geht von dem ‚Meister von Buli (wohl Ngongo ya Chintu) über einen Künstler der Pende bis hin zu dem Yoruba-Meister Olowe von Ise. Dies mündet in einem Beitrag über die Kunst der Yoruba, die schon seit einiger Zeit von afrikanischen und westlichen Wissenschaftlern sehr gut erforscht wird.
Bzgl. der Formensprache sieht sie die Kunst Afrikas zwischen Naturalismus und Abstraktion, Symmetrie und Asymmetrie. Spannend ist, dass geometrische und abstrakte Formen als Wissensarchive dienen, siehe die bekannten Perlenarbeiten der Zulu.
Pinther geht auch auf das eingesetzte Material ein, wie Holz, Terrakotta und Eisen. Schließlich beschreibt sie „Akkumulation als ästhetisches und inhaltliches Prinzip“, wenn also beispielsweise an Skulpturen Objekte wie Federn, Nägel oder Fundstücke angesetzt werden. Ein bekanntestes Beispiel sind minkinsi-Figuren.
Einen breiten Raum nehmen in dem Buch die „höfischen Künste“ ein – deutlich mehr als die rurale Kunst (‚Tribal Art‘), mit Fokus auf Asante, Benin, Dahomey und dem Kuba-Königreich. Ihrer Meinung nach lebten damals im „atlantischen Afrika“ mehr als die Hälfte der Bevölkerung in „solchen formal organisierten Staaten“. Sie verschweigt nicht die Handelsallianzen mit Europa und dass die in Küstennähe existierenden Königreiche vom Sklavenhandel profitierten. In den Unterkapiteln geht es u.a. um die Verbindungen von Artefakten zu sprichwörtlichen Bezügen, um Objekte als Attribute der Macht und von Hierarchien, als rituelles Inventar und bei Schreinen als Manifestationen von „Wechselbeziehungen zwischen der physischen Welt und spirituellen Sphären“.
Was sich hier etwas trocken anhört, ist im Text durch eine Vielzahl an Beispielen durchaus anschaulich beschrieben. Natürlich erwähnt die Autorin auch den Krieg der Briten und deren befreundeter afrikanischer Truppen gegen das Königreich Benin und den Raub der Objekte. Sie geht aber nicht auf das vorangegangene Töten von unbewaffneten Afrikanern und Briten durch die Truppen des Obas von Benin ein. Aber das ist halt der Zeitgeist.
Das letzte Kapitel ‚Künstlerische Praktiken, Kunsthandeln und kulturelles Erbe“ handelt u.a. von ‚Performativität‘, also beispielsweise von Maskentänzen, daneben aber auch von vergänglicher Kunst wie mbari-Schreine der Igbo. Sie wurden nach einem rituellen Höhepunkt dem Verfall überlassen. In diesem eher kurzen Teil des Buches wird sich wohl der an der traditionellen (ruralen) afrikanischen Kunst Interessierte am stärksten wiederfinden. Es wird auch recht kurz darauf eingegangen, wie Maskentänze und andere Riten kulturell genutzt wurden, z.B. zur Initiation.
Schließlich geht es darum wie die koloniale Herrschaft die künstlerische Produktion beeinflusst hat, was von „Neugierde, Satire, offener Kritik bis hin zu Auftragsarbeiten der westliche Akteure reichte.“ Wichtig ist die Anmerkung, dass die Künstler dieser Werke den „komplexen Machtverhältnissen und kolonialen Produktionsstrukturen … nicht als passive Rezipienten gegenüberstanden, sondern (…) sie aktiv mitgestalteten.“
Im Epilog begrüßt die Autorin aktuell verhandelte und erfolgte Rückführungen. Sie seht aber bei der „gegenwärtig verfolgten Stigmatisierung von Artefakten aus Afrika“ und damit eingehend einer „forensichen Kunstgeschichte“ das Risiko, die „Komplexität und Vielschichtigkeit der Objekte zu nivellieren.“ Dies würde gerade nicht zu einer „nachhaltigen Dekolonialisierung von Sammlungen“ beitragen.
Bewertung
Kerstin Pinther gelingt mit ‚Die Kunst Afrikas‘ ein eigenständiger Blick auf die Werke dieses Kontinents. Die subsaharische Kunst erscheint auf Augenhöhe mit der von westlichen, asiatischen oder arabischen Kulturen. Sie reduziert Afrika nicht auf das Klischee des dunklen Kontinents mit primitiven isolierten Stämmen und animistischen Maskentänzen, sondern unterstreicht, dass es auch ein Gebiet mit organisierten Staaten und Königreichen und höfischen Strukturen war. Diese waren schon seit Jahrhunderten Teil eines intensiven interkulturellen Austauschs mit westlichen Mächten und lange Zeit deren gleichberechtigte Handelspartner - auch bei ‚Gütern‘ wie Sklaven.
Dementsprechend hält sie sich von gängigen Opferstereotypen westlicher Aktivisten fern, betont, dass afrikanische Akteure aktiv Handelnde waren. Ihr differenzierter Blick ist wohltuend.
Dazu ist das Buch lesbar geschrieben. Es gibt zwar vor allem im ersten Teil manche Unisprech-Stilblüten, aber sie halten sich zum Glück in Grenzen.
Und gibt es Schwächen?
Es fehlt an ausführlichen Ausführungen zur ruralen Kunst, der sogenannten Tribal Art. Wer wissen möchte, welche Kunststile die verschiedenen Ethnien entwickelten, findet im dem Buch (und auch im dessen Literaturverzeichnis) keine Antwort. Dies könnte daran liegen, dass der Autorin mit 120 Seiten nur ein geringer Raum zur Verfügung stand und sie Schwerpunkte setzen musste. Wesentlicher ist aber wohl, dass gängige Zuschreibungen von Kunststilen zu bestimmten Ethnien Kerstin Pinthers Credo widersprechen: Kunst und Kultur ist nicht statisch, sondern dynamisch und im steten Wandel.
Die Kunst Afrikas von Kerstin Pinther
128 S., 54 Abbildungen, davon 19 in Farbe, 2022, C.H.BECK
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Vielen Dank an den Verlag C.H.BECK für das Rezensionsexemplar