‚Ahnen, Göttinnen und Helden‘, ‚Gegen den Strom‘ und ‚NAGA LAND‘ - Rezensionen von Ingo Barlovic

Das Humboldt Forum hat fast gleichzeitig 3 neue Kataloge zu temporären Ausstellungen im Deutschen Kunstverlag veröffentlicht.

Gemeinsamkeiten

‚Ahnen, Göttinnen und Helden‘, ‚Gegen den Strom‘ und ‚NAGA LAND‘ besitzen (formale) Gemeinsamkeiten:

  • Ein Umfang um die Hundert Seiten
  • Den Preis von 22 Euro
  • Broschürenumschläge mit Klebebindung
  • Sie sind auf eine Art Naturpapier gedruckt, das leicht gräulich wirkt und normalerweise keine Farbbrillanz zu lässt
  • Sie haben aber bei den Fotos eine Druckqualität, wie ich es bei diesem, oft die Farben aufsaugendem Papier selten gesehen habe. Die Fotos sind farblich nuancenreich, nie zu dunkel, saufen nicht ab und sind dazu detailreicht. Chapeau an den Verlag, die Druckerei, die Bildbearbeitung und die große Mehrheit der Fotografen!
  • Leider hält sich das Humboldt Forum nicht an den Rat für deutsche Rechtschreibung, und so wird wild herumgesterncht/gegendert („Überlegenheit des* der „weißen“ Europäer*in“), was dem Lesekomfort abträglich und halt auch falsch ist – laut dem Rat.

Inhaltlich unterscheiden sich die drei Veröffentlichungen aus dem Jahr 2023 aber deutlich.

Ahnen, Göttinnen und Helden

Die Ausstellung und das Buch ordnen 45 „Skulpturen aus Afrika, Asien und Europa“ (so der Untertitel) in unterschiedliche Themenbereiche – eine sehr klassische Herangehensweise um Unterschiede, aber vor allem auch Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen (und menschlichen Gemeinschaften) zu zeigen.

Bei den Themen geht es um Schutz, darum, wie man „böse Kräfte in Schach hält“, um Reliquien aber auch um unterschiedliche Interpretationen von Gesichtern oder was Helden eigentlich sind. Dabei werden diese Aspekte jeweils recht kurz auf einer Seite abgehandelt, das Hauptaugenmerk liegt auf der Beschreibung der dazugehörenden Objekte und der guten Fotos.

Die Zuordnung der Objekte zu den Themen sind zumeist nachvollziehbar, vereinzelte Kritik (warum eine Ngil-Maske der Fang, die wie auch der Text erklärt, v.a. Gerichtsbarkeit verkörpert, beim Kapitel Abwehr von bösen Kräften angeführt wird) erscheint schon fast geschmäcklerisch. Schräg fand ich nur, dass zwei nicht-figürliche MINKISI aus dem Kongo nur beschrieben und nicht aber abgebildet sind: „Diese Objekte möchten wir aus Respekt vor ihrem sensiblen Charakter und ihre Funktion nicht abbilden.“ Wieso man aber die übrigen Ritual-Figuren abdruckt und gerade diese nicht, das ist wohl das Geheimnis der Herausgeber. Sollte es eine Berliner Entscheidung sein („wir“), wirkt es fast neokolonial. Die „Weißen“ entscheiden, was gezeigt wird und was nicht.

Die Texte sind einfach geschrieben und in hohem Maße Einsteiger-tauglich, Experten werden sicherlich unterfordert sein, können aber anhand der Anmerkungen tiefer gehen.

Alles in allem also ein gut gemachter Katalog, der sich für den lohnt, der mehr zur Ausstellung wissen möchte und/oder Klassiker, die in Berlin zu Hause sind, sehen möchte. Seien es großartige Nagelfiguren aus dem Kongo, erleuchtete Bodhisattva aus China oder eine Pietà aus Spanien. Aber es ist sicherlich kein innovatives Werk.

Übrigens: Auch wenn es einen ‚Exkurs‘ zum Thema Provenienz gibt, zeigt das Buch deutlich, wie schwer Provenienzforschung ist: Bei fast allen afrikanischen Objekten steht die stereotype Bemerkung: „Urheber*innen nicht dokumentiert“.

Und: Der Titel der Ausstellung / des Buches irritiert ebenfalls: Denn es geht nicht nur um „Ahnen“, sondern auch um Ahninnen, nicht nur um „Göttinnen“, sondern auch um Götter. Immerhin werden wirklich nur Helden gezeigt. Es ist schon eine Krux mit dem Gendern…

Gegen den Strom

Das Buch zur Ausstellung ‚Gegen den Strom – Die Omaha, Francis La Flesche und seine Sammlung‘ ist eine spannende Entdeckung. Ca. 60 Objekte der Omaha aus Nordamerika gibt oder gab es in den Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin. Sie wurden in situ von Francis La Flesche gesammelt und nach Berlin gegeben.

Geboren 1857 auf dem Reservat der Omaha, führte La Flesche wissenschaftliche ethnologische Forschungen bei den Omaha durch, setze sich aber auch für Ihre Rechte ein. Dabei stand er oft zwischen den Stühlen: Als jemand, der einerseits mit den Ansichten des ethnologischen Establishments mitheulen musste, ohne aber andererseits seine Identität als Omaha aufzugeben. Und welche Informationen sollte er zusammentragen und unter die Leute bringen? So viel wie möglich, um seine Karriere nach vorne zu bringen? Oder sollte er sich einschränken und darauf achten, nicht zu sensible Daten an die Museen und Universitäten weiterzugeben. Wo ist die Grenze? Dem Peabody Museum hatte er einen heiligen Pfahl übergeben, was manche als Verrat ansahen und ansehen.

Voller Ambiguität war auch sein Verhältnis zu der älteren etablierten Ethnologin Alice Fletscher. Sie forschten gemeinsam, wobei er zu Beginn ‚nur‘ ihr Helfer war. Je erfolgreicher und selbstbewusster er wurde, desto mehr scheint dieses Verhältnis in eine Art Rivalität übergegangen zu sein. Dazu war bereits sein Vater ein – allerdings als Chief einflussreicher – Außenseiter bei den Omaha. Als Sohn eines französischen Pelzhändlers und einer Ponca-Frau, war er Teil einer Minderheit, die zu Christentum konvertierte und im ‚make-believe-white-man-village‘ lebte.

Kurz: Das Leben von La Flesche, das hier auf 10 Seiten nacherzählt wird, ist so spannend, dass es genügend Stoff für eine Netflix-Serie in sich birgt.

Der Hauptteil des Buches besteht aus dem Abdruck des originalen von La Flesche erarbeiteten Katalogs zu den von ihm nach Berlin gegeben Objekten. Darin sind seine dazugehörigen Beschreibungen ihrer Bedeutung und Nutzung enthalten - und von ihm handkolorierte Fotografien, die einen unglaublichen Charme besitzen. Dazu gibt es die deutsche Übersetzung der Beschreibungen des 1933 verstorbenen ‚indigenen Insiders‘.

Auf der Rückseite des Buches zeigt ein Foto die Ausstellung im Humboldt Forum. So klein wirkt sie, manche Gegenstände erlaubten aus konservatorischen Gründen keine Ausstellung, andere sind verschollen, dass ein Besucher wohl schnell daran vorbeigegangen wäre. Welch Glück, dass es diese Veröffentlichung gibt. Denn danach will man viel mehr über Francis La Flesche und die Omaha wissen. Und man hat etwas gelernt über die Arbeit und auch die Probleme eines indigenen Ethnologen zur Jahrhundertwende. Klasse!

NAGA LAND

So sehr mich der Katalog zu La Flesche umgehauen hat, so sehr hat mich NAGA LAND-Stimmen aus Nordost-Indien enttäuscht. Das Publikation ist anlässlich einer Ausstellung mit Objekten der Naga erschienen, überwiegend Textilien. (Zur Kunst der Naga hat Anfang des Jahres die Galerie Dogon in Berlin auch eine Verkaufsausstellung durchgeführt).

Die Naga sind eine aus 30 Ethnien bestehende Minderheit in Süd- und Südost-Asien, die versucht „sich von der indischen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, obwohl sie gleichzeitig einen Teil von ihr bildet.“ (Roland Platz in seiner Einleitung).

Erwartet hätte ich nun, dass der Katalog die Gegenstände zeigt und welche Geschichten sie über die Kultur, die Bedeutung oder die Ästhetik erzählen, dass von den Naga damals und heute berichtet wird, welche Veränderungen es gibt, wie das Leben einer Minderheit in Indien aussieht, die sich schon im 19. Jhd. gegen die britischen Kolonialherren aufgelehnt und gegen sie gekämpft haben...

Was es stattdessen gibt: Einen etwas beliebig wirkenden heterogenen Cocktail von 8 indigenen und westlichen Autoren, der teilweise ratlos lässt. Darunter die Nabelschau einer Fotografin, eine Art Reisebericht von dem Aoleang Kulturfestival, die Aufzählung wichtiger westlicher Sammler oder die Anfänge botanischer Forschung in den Naga Hills etc. etc.

Natürlich gibt es auch Lesenswertes, wie der Beitrag von E. Seyerl-Langkamp zu Naga-Textilien als Beispiele einer gelebten Tradition. Oder die ‚Erschaffung einer Naganess‘ durch Kleidung, ein Beitrag von T. Keditsu. Und es gibt schöne Fotos von Ausstellungsgegenständen teilweise mit großartiger roter Farbe – die bei den Fotos auch wirklich gut rauskommt. Aber dies sind leider Ausnahmen.

Wer eines oder mehrere der Bücher kaufen und mir einen Gefallen tun möchte, kann versandkostenfrei über Thalia bestellen. Ich nehme an deren Partnerprogramm teil und erhalte pro über den Link verkauftem Buch eine kleine Provision. Für den Käufer bleibt der Preis gleich. Natürlich kann man sich über diese Links auch informieren, ohne zu bestellen. (Beim Draufklicken auf einen Link wird ein Cookie gesetzt.)

Ahnen, Göttinnen und Helden - Skulpturen aus Asien, Afrika und Europa, Herausgeber Stiftung Humboldt Forum

96 Seiten, 2023, Deutscher Kunstverlag, 22 Euro

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Gegen den Strom - Die Omaha. Francis La Flesche und seine Sammlung, Herausgeber Stiftung Humboldt Forum

128 Seiten, 2023, Deutscher Kunstverlag, 22 Euro

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Vielen Dank an das Humboldt Forum für die Rezensionsexemplare

Naga Land - Stimmen aus Nordostindien, Herausgeber Stiftung Humboldt Forum

96 Seiten, 2023, Deutscher Kunstverlag, 22 Euro

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Vielen Dank an das Humboldt Forum für die Rezensionsexemplare.

Autor

  • Ingo Barlovic

Verpflichtende Zitierweise und Urheberrechte

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  • Quellen-Nennung: ‚Ahnen, Göttinnen und Helden‘, ‚Gegen den Strom‘ und ‚NAGA LAND‘ - Rezensionen von Ingo Barlovic; Ingo Barlovic; 2023; https://www.about-africa.de/buch-publikation-internet/1560-ahnen-goettinnen-und-helden-gegen-den-strom-und-naga-land-rezensionen-von-ingo-barlovic
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