'Tribal Art' von Peter Tichonow-Rezension von Ingo Barlovic

„Tribal Art -  Das vollendete Kunstschaffen schwarzafrikanischer Handwerker“ heißt das Buch des in der Nähe von Stuttgart lebenden Peter Tichonow, der laut Klappentext in den 1980er Jahren angefangen hat, traditionelle afrikanische Kunst zu sammeln.

Inhalt

240 Seiten umfasst das Werk, in dem auf über 170 zum Teil großformatigen Fotos (Fotograf: Gert Reinhardt) Teile der Sammlung Tichonow dokumentiert sind. Dabei möchte der Autor die einzelnen Stücke nicht als reine Kunstwerke erscheinen lassen, sondern er versucht sie zu kontextualisieren: Wie sie verwendet wurden, was über diese Ethnien zu sagen ist, teilweise wie solche Objekte gesammelt wurden.

In einer kurzen Einführung beschreibt Tichonow die Handels- und Rezeptionsgeschichte der afrikanischen Kunst aus westlicher Sicht. Dazu liefert er u.a. am Beispiel der Figuren der Moba erste Einblicke in rituelle Verwendungen.

Der ca. 150 Seiten umfassende Katalogteil, in dem fast jedem Objekt eine Fotografie gewidmet ist, beginnt mit Werken aus dem Königreich von Benin. Ihre Beschreibung im hinteren Teil wird ergänzt über einen Text zur Möglichkeit, diese Bronzeobjekte durch eine TL (Thermoluminiszenz)-Datierung des Gusskerns zu datieren. Die Tichonow-Stücke sind TL-getestet, drei von vieren sind demnach aus dem 17. Jhd. oder früher.

Masken, u.a. von der Elfenbeinküste, aus Gabun und dem Kongo, sind eher selten in dem Buch, deutlich häufiger sind Skulpturen vertreten, v.a. aus West- und Zentrakafrika. Darunter ist eine Gruppe von 4 Nkisi/‘Nagelfetischen‘ und mehrere ‚Kotas‘. Mit über 40 Seiten nehmen Schilder und afrikanische Kurzwaffen aus Eisen einen Schwerpunkt ein. Der Katalogteil endet mit Alltagsgegenständen wie Armreife, Goldgewichte, Kopfbedeckungen, Stühle oder auch Puppen der Mossi.

Es folgt auf 60 Seiten ausführliche Beschreibungen/Kontextualisierungen der Objekte. Dabei wird bei der Mehrheit der Stücke auch die Provenienzen angegeben. Diese Personen werden im Anschluss kurz vorgestellt. Darunter sind bekannte Händler/Sammler wie Himmelheber, Kegel-Konietzko, Franke oder Paolo Morigi, aber auch der noch aktive Peter Westerdijk.

Das Buch schließt mit einem Quellennachweis.

Bewertung

Grundsätzlich finde ich: Wer so viel zeitlichen und v.a. auch finanziellen Aufwand auf sich nimmt, ein Buch über die traditionelle afrikanische Kist zu veröffentlichen, dem gehört tiefer Respekt. Dazu ist das Buch wirklich gut gemacht. Es erscheint wie im Hochdruck hergestellt, wodurch die Texte eine haptische Qualität erfahren, wenn man mit dem Finger darüberfährt. Es besitzt einen festen Bucheinband mit Fadenbindung. Und vor allem: die zumeist großformatigen Fotos sind wirklich gut. Sie dokumentieren die Objekte so, dass man sie detailliert betrachten kann. Der Fotograf Gert Reinhardt versteht sein Handwerk! Es sind Fotos eines versierten Fotografen, aber die Stücke werden nicht durch eine außergewöhnliche Lichtsetzung oder Hervorhebung von Details interpretiert, wie es z.B. Toni Ott bei Königs ‚Mein Afrika‘ gemacht hat. (Sind immer noch meine Lieblings-Fotoarbeiten.)

Die Beschreibungen und Kontextualisierungen der Objekte sind ebenfalls gelungen, erinnern mich an die in einem Zemanek-Katalog – sind allerdings zumeist ausführlicher. Allerdings hätte ich mir bei allen, und nicht nur bei manchen, Kurztexten den direkten Hinweis zu weiterführender Literatur gewünscht. Dennoch: Die Zahl von über 160 Objektgeschichten ist schon eine Hausnummer!

Gibt es Dinge die mich irritiert habe? Selbst wenn mich die in den Medien häufig inkompetent geführte Raubkunst-Debatte nervt, sollte man doch teilweise schauen, dass wir 2023 leben. Und da ist ein Titel wie Tribal Art schon etwas althergebracht – schließlich war es oft keine Stammeskunst, sondern die an Königshöfen. Dazu ist der Begriff ‚Stamm‘ nicht mehr up-to-date. Ja, ich weiß: Ich nutze ‚Tribal Art‘ auch noch häufig. Aber immer mit einem fahlen Geschmack im Mund…

Die Einleitung wirkt ebenfalls etwas old-fashioned: Es genügt nicht mehr, Worte wie „Primitive Kunst“ in Anführungszeichen zu schreiben, sondern man muss sie ersetzen oder zumindest hinterfragen: Begriffe wie primitiv (oder auch ‚arts premiers‘, was aber im Buch nicht vorkommt), beinhalten einen kolonialen Blick: Dass es primitive (Afrika) und weiterentwickelte Gesellschaften (der Westen) gibt/gab.

Interessant ist auch, dass Tichonow richtigerweise beschreibt, wie sehr das Königreich Benin am Sklavenhandel profitiert hat. Dass er aber die ‚Strafexpedition‘ der Briten überhaupt nicht erwähnt, hinterlässt Fragezeichen.

Schließlich fehlt ein afrikanischer Blick. Kurz: Das Tichonow-Buch ist recht altmodisch – was manche Sammler aber sogar begrüßen werden?

Bleibt die Frage, die viele Sammler wohl am meisten interessiert: Wie ist die Qualität der Objekte in dem Buch und sind sie echt?

Von Schildern und den geschmiedeten Waffenhabe ich keine Ahnung. Natürlich zucke ich zusammen, wenn ich den Namen Manfred Zirngibl höre, mit dem der im Buch öfters erwähnte Heinrich Westerdijk zusammengearbeitet hat. Zirngibl hat wohl manche traditionelle afrikanische Waffe, die später in seinen Büchern und auf dem Kunstmarkt aufgetaucht ist, dem österreichischen Schmied Hebeisen in Auftrag gegeben – zumindest hat der Österreicher dies behauptet und mit Fotos glaubwürdig dokumentiert (siehe mein Artikel in der Kunst&Auktionen). Aber mein Zusammenzucken alleine lässt natürlich keine Beurteilung der Waffen zu. Dazu habe ich auf den ersten Blick kein Hebeisen-Stück erkennen können, die abgebildeteten Stücke sehen sauber aus. Und schließlich kam man bei der Waffenszene an Zirngibl nicht vorbei: Er galt als wichtigster deutsche Experte und Händler.

Die übrigen Objekte müsste man wohl am besten realiter anschauen. So maße ich mir z.B. kein Urteil an über die auf den Fotos gutaussehenden Figuren der Kota aus der Sammlung Vesely. Aber es ist  sowieso nur schwer möglich, öffentlich über die Authentizität solcher Werke zu urteilen. Schließlich gibt es so gut wie nie unwiderlegbare Belege, ob ein Objekt echt oder falsch ist, sondern höchstens Indizien. Damit sind öffentliche Kritik oder auch Lob schlimmstenfalls juristisch angreifbar. Qualität ist auch nicht 100% objektivierbar, sondern hängt ab u.a. von der eigenen Seherfahrung und dem, was auf dem Kunstmarkt begehrt ist.

Man kann also höchstes mit Hilfe des eigenen Geschmacks und der eigenen Sehgewohnheiten argumentieren. Da würde ich sagen, dass die Masken und Figuren teilweise nicht in mein (individuelles) Beuteschema passt. Der Leser muss sich selbst eine Meinung bilden.

Allerdings weiß ich nicht, wie glücklich es ist, ausgerechnet mit Benin-Bronzen aufzumachen. Gibt es doch seit Jahren teilweise polemische Grabenkämpfe innerhalb der ‚Community‘, wie aussagekräftig in diesem Zusammenhang die TL-Messungen sind.

Ein Schlussfazit: ‚Tribal Art‘ von Peter Tichonow ist gut gemacht, hat lohnende Texte, ist etwas old-fashioned und: birgt Diskussionsstoff für die deutsche ‚Szene‘ der traditionellen afrikanischen Kunst.

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Tribal Art - Das vollendete Kunstschaffen schwarzafrikanischer Handwerker von Peter Tichonow

238 Seiten, 2023, Verlag agenda, 49,90 Euro

Zum Thalia-​Link zum Buch 

Autor

  • Ingo Barlovic

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  • Quellen-Nennung: 'Tribal Art' von Peter Tichonow-Rezension von Ingo Barlovic; Ingo Barlovic; 2023; https://www.about-africa.de/buch-publikation-internet/1562-tribal-art-von-peter-tichonow-rezension-von-ingo-barlovic
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