AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE von Howard W. French-Buchbesprechung von Ingo Barlovic

‚AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE‘ heißt der SPIEGEL-Bestseller des amerikanischen Journalisten Howard W. French, der 2021 in den USA und 2023 in Deutschland erschienen ist. French zeigt darin detailliert auf, welche maßgebliche Rolle Afrika und afrikanische Menschen bei der Entstehung der ‚Moderne‘ in den westlichen Staaten vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht gespielt hat.

Inhalt

French beginnt seine ‚Globalgeschichte‘ bereits im ersten Jahrtausend nach Chr. und belegt, dass schon damals Afrika (südlich der Sahara) kein schwarzer Fleck war, sondern es mit Djenne oder später auch Ghana wirtschaftlich mächtige Reiche gab. Dafür spielte das Gold, aber auch die Kontrolle wichtiger Handelswege eine große Rolle. Dies war lange bevor die Europäer und insbesondere die Portugiesen nach Handelsgelegenheiten und politischen Beziehungen zu afrikanischen Regionen suchten.

Ein Game Changer im Verhältnis der Europäer zu Afrika war Mansa Musa, im 14. Jahrhundert Herrscher des Reiches von Mali. Er versuchte, intensive Beziehung zu Ägypten zu knüpfen und zog mit enormem Pomp, basierend auf Gold und Slaven, in Kairo ein. Der Ruhm Malis verbreitete sich dadurch bis nach Europa und führte zu einer Gier, die Goldquellen zu finden. Im Zuge dessen wurden u.a. die Kanarischen Inseln erobert, die erste europäische Kolonie im Atlantik, und die Indigenen entführt und versklavt.

Ein wichtiger Player war damals Heinrich der Seefahrer. Die unter ihm initiierten Entdeckungsfahrten entlang der westafrikanischen Küste begründeten die portugiesische See- und Kolonialmacht. Zwar fanden die Portugiesen nur wenig Gold, was eigentlich der Hauptgrund für die Aktivitäten war. Dafür stiegen sie in den Sklavenhandel ein, und die „Sklaven befeuerten die Expansion“ einer neuen gewinnträchtigen Industrie: Dem Zuckeranbau.

Hier beginnt auch Frenchs Narrativ, warum Afrika die Moderne geprägt oder sogar ermöglich hat: Durch den Menschenhandel wurde es über Jahrhunderte möglich, dass wichtige Industrien wie der Zuckeranbau entstanden, die die ‚westliche Welt‘ maßgeblich veränderte. So modifizierte  Zucker spätestens ab dem 18. Jhd. die Ernährungsgewohnheiten grundlegend, die Ernährung wurde kalorienreicher, wodurch die Arbeitskraft bzw. die die Produktivität gestärkt wurde. Der Sklavenhandel war später auch wichtig für die Textilindustrie, siehe die Baumwollfelder in den USA.

French schreibt dazu: „Die Jahrzehnte afro-europäischer Kontakte seit 1444 waren grundlegend für die Geburt der modernen Welt, die Fortschritte des Westens und Afrikas Stellung bis in unsere Zeit, und doch werden sie in den meisten Darstellungen der westlichen Geschichte sehr selten auch nur erwähnt (S.116). Und: „Ohne die Ankunft Millionen versklavter Afrikaner ist es schwer, sich vorzustellen, wie die uns heute vertrauten historischen Entwicklungen hätten möglich sein sollen.“ (S. 292). Der Autor ist auch der Ansicht, dass „die europäische Konkurrenz um Afrika“ ein wichtiger Treiber für den 30jährigen Krieg war.

Für den Zuckeranbau war die Insel Sao Tomé eine Blaupause: Dort erhielt die moderne Zuckerproduktion durch das Plantagenmodell Anfang des 17. Jhd. seine endgültige Form. Und dort etablierte sich „erstmals eine vollständig ‚rassebasierte‘ Form der Sklaverei, um Agrarexporte zu produzieren.“ (S. 191) Der Sklavenhandel wurde übrigens von der katholischen Kirche mitbegründet.

Dabei begegneten sich die Europäer und die afrikanischen Herrscher oft auf Augenhöhe: Schließlich waren die Europäer darauf angewiesen, dass die Afrikaner ihnen Sklaven brachten.

In diesem Zusammenhang geht French auch auf das Königreich Benin ein, das allerdings – so schreibt er – um 1514 begonnen hätte, den Sklavenhandel einzuschränken. Es verbot, „männliche Kriegsgefangene zu verkaufen“: (S. 180) Ab Ende des 17. Jhd. wurde das Niger-Delta dann aber zu einer „der ergiebigsten Quellen für afrikanisch Gefangene:“ (S. 180). Mindestens genauso wichtig war der Sklaven- und Goldhandel mit den Akan.

Spätestens Ende des 17. Jhd. war England der größte Exporteur von Sklaven, mit dem größten Konkurrenten Frankreich, die Niederlande, Portugal oder Spanien verloren an Bedeutung.

Nach Schätzungen „überlebten etwas zwölfeinhalb Millionen versklavte Afrikaner ihre Verschiffung über den Atlantik. Weitere 6 Millionen sollen über Nordafrika, das rote Meer und den Indischen Ozean verschleppt worden sein.“ (S. 531)

Die wirtschaftlichen Gründe, warum die Europäer nach Sklaven gierten, liegen auf der Hand. Doch warum fanden Sie bei den afrikanischen Herrschern Verbündete? Fench gibt dazu mehre Erklärungen wieder. So sei es Tradition in afrikanischen Gesellschaften gewesen, Menschen zu versklaven. Er schreibt aber auch (S. 432): „Die lokalen Eliten … hatten … einen Bedarf für ausländische Luxusgüter entwickelt, auf denen ihr Wohlstand ebenso beruhte wie auch ein Großteil ihres gesellschaftlichen Ansehens.“ Später kam auch noch der Waffenhandel dazu, der ebenfalls Auswirkungen auf die Industrialisierung hatte. Wie komplex die Beziehungen der Europäer zu den afrikanischen Herrschern war, wird deutlich anhand des Kongo-Reichs.

Interessanterweise ist das, was in Deutschland am meisten beachtet wird, nämlich die Errichtung von Kolonien im 19. Jahrhundert, kaum mehr als eine Fußnote in dem Buch, das ja primär von den Auswirkungen auf die ‚Moderne‘ handelt.

In den letzten Kapiteln geht es um die ‚Moderne Welt‘ des späten 18. bis zum 20. Jhds. Intensiv befasst sich French mit Sklavenaufständen wie der Haitianische Revolution, aber auch mit den amerikanischen Baumwollanbau. („Die Baumwolle war für die Vereinigten Staaten im 19. Jhd. genauso so wichtig, wie das Öl für Saudi-Arabien im 20. Jhd.“) (S.646) und dem kulturellen Einfluss der Versklavten in den USA, beispielsweise bei der Musik (Blues).

Bewertung

AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE ist nicht nur gut recherchiert sondern vor allem auch in hohem Maße lesbar. French ist Journalist, und das man seinem Werk an: Er vermeidet abstrakte Sprache, bringt sich und die Geschichte seiner eignen Familie zwar manchmal ein, ohne aber zu sehr zu moralisieren und versucht sich erfolgreich an einem eher objektiven Blick. Das Buch ist nicht mit Schaum vor dem Mund geschrieben.

Inhaltlich kann ich als Nicht-Historiker nur wenig zu seiner Hauptthese, dass Afrika die Moderne ermöglicht hätte, sagen. Aber es klingt plausibel und ein Historiker wie Michael Zeuske, der sich intensiv mit dem Sklavenhandel auseinandergesetzt hat, ist in seiner Menschheitsgeschichte der Skalverei der gleichen Ansicht.

Dabei ist diese Anfeuerung der Moderne durch Afrika aber beileibe keine afrikanische Ruhmestat: Es geschah durch die Ausbeutung von afrikanischen Menschen, die durch Afrikaner selbst versklavt und an die Europäer verkauft wurden. Und ja, natürlich erinnert mich dies an das Afrika von heute, mit dem Blick auf die Gewinnung wertvolle Rohstoffe für Energie, Handy und Co. Um der Opferrolle des Afrikaners entgegen zu wirken, geht French im 2. Teil des Buchs intensiv auf Aufstände ein: Er möchte weg von zu einfachen Opferstereotypen, will Sklaven auch als aktiv Handelnde zeigen.

Hat das Buch Schwächen? French geht zum Teil nicht chronologisch vor, sondern thematisch. Damit gibt es auch manche Doppelungen. Aber damit konnte ich gut leben.

Damit ist AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE ein großartiges und vor allem lesbares Buch, das nicht nur aufzeigt, wie wichtig der Kontinent und seine Menschen für die Entstehung der Moderne in den westlichen Staaten war. Sondern es befreit Afrika auch von dem Mythos des Schwarzen Kontinents: Der Kontinent bestand zu weiten Teilen halt nicht aus indigenen Gruppen an abgelegenen Orten, die von Europäern ‚entdeckt‘ wurden. Afrika hat eine Geschichte und es gab auch und zumal Herrschaftsreiche, die sich miteinander und mit den Europäern austauschten.

Das Buch ist auch eine gute Ergänzung zu ‚Die Kunst Afrikas‘ von Kerstin Pinther. Sie betont darin ebenfalls, dass Afrika ein Gebiet mit organisierten Staaten und Königreichen und höfischen Strukturen war, die schon seit Jahrhunderten Teil eines intensiven interkulturellen Austauschs mit westlichen Mächten waren.

AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE von Howard W. French

512 S., 2023, Klett Cotta

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Vielen Dank an den Clett Cotta Verlag  für das Rezensionsexemplar

                                                                       

Autor

  • Ingo Barlovic

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  • Quellen-Nennung: AFRIKA und die Entstehung der Welt- EINE GLOBALGESCHICHTE von Howard W. French-Buchbesprechung von Ingo Barlovic; Ingo Barlovic; 2023; https://www.about-africa.de/buch-publikation-internet/1601-afrika-und-die-entstehung-der-welt-eine-globalgeschichte-von-howard-w-french-buchbesprechung-von-ingo-barlovic
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