John Parker, ehemaliger Professor für afrikanische Geschichte an der SOAS University of London, ist Herausgeber des Buches „Große Königreiche Afrikas – Von den Nubiern bis zu den Zulu“, das 2024 bei wbg Theis erschienen ist. Verschiedene Wissenschaftler beschreiben darin auf jeweils rund 30 Seiten die Entwicklung von neun afrikanischen Königreichen.
Inhalt
In seinem kurzen Vorwort gibt Sir David Adjaye das Hauptanliegen des Buches vor: Es will die afrikanischen Königreiche nicht mit Hilfe gängiger historischer Epochen verstehen, sondern „nach ihren eigenen einzigartigen evolutionären Bedingungen". Die Autoren erklären die Entstehung der Königreiche nicht nur chronologisch, sondern beziehen auch Faktoren wie Klima und Geografie ein. Adjaye ist der Architekt des geplanten 'Edo State Museums of West African Art in Benin'. Dieses Museum wird ja künftig vor allem für Ausbildung und Forschung dienen und nicht, wie ursprünglich geplant, die restituierten Objekte beherbergen. Dafür hat es im Titel auch ‚Edo State‘ verloren.
Nach einer Einführung des Herausgebers widmet sich Davin Wengrow dem alten Ägypten und Nubien. Er zeigt deutlich den Einfluss der Infrastruktur, der Geologie, z.B. der Nilüberschwemmungen, und der Wirtschaft auf die Königreiche. Er beschreibt die Entwicklung von frühen Hirtengemeinschaften bis zur Entstehung des Alten Ägypten und behandelt dabei auch das Königreich Kerma.
Rahmane Idrissa beschäftigt sich mit den sudanesischen Reichen von Ghana, Mali und Songhai im Westsudan, die etwa 1000 Jahre westafrikanischer Geschichte umspannen und denen eine „imperiale Tendenz“ eigen ist. Es endet Ende des 16. Jahrhunderts, als „die Region zerfiel und von räuberischen Regimen überrannt wurde“, darunter islamische Kalifate. Bezeichnend für dieses Kapitel ist auch der Untertitel: „Das Gold, die Kunst, der Fluss“, der die wichtigen Kontexte für die Entstehung der Reiche hervorhebt.
Habtamu Tegegne und Wendy Belcher zeigen sich in ihrem Text über das salomonisch-christliche Reich Äthiopiens beeindruckt von diesem Reich und verfassen manchmal geradezu PR-Texte: „Die salomonische Dynastie hatte über einen Zeitraum von sieben Jahrhunderten ein ausgedehntes multiethnisches Reich aufgebaut, das sie mit Klugheit und Einfallsreichtum regierte.“ Dennoch liefern sie auch inhaltlich ab. Spannend fand ich zum Beispiel, dass für die äthiopische Kunstgeschichte der europäische Einfluss oft überbewertet wird, während der Einfluss Indiens und Ägyptens vernachlässigt wird. So wird Maria auf alten Darstellungen in einem langen Kaftan nach indischer Art gekleidet. Dennoch war Europa wichtig, so schickten äthiopische Herrscher bereits Delegationen zum Technologietransfer nach Venedig, Rom oder Lissabon.
Olatunji Ojo beschäftigt sich mit den im Westen vielleicht bekanntesten Königreichen: Die der Yoruba und der Edo, also vor allem Ife, Oyo und Benin. Das Kapitel endet mit dem „turbulenten 19. Jahrhundert“ und der britischen Kolonialzeit.
Ein Höhepunkt ist der Beitrag von Cécile Fromm über das Königreich Kongo. Wie die Könige schon früh mit dem Christentum in Berührung kamen, wie sie sich oft auf Augenhöhe mit den Europäern befanden, bis es zu Kämpfen kam und portugiesisch-brasilianische Streitkräfte dem Kongo 1665 eine verheerende Niederlage zufügten. Die Autorin schildert die Entwicklung des Königreichs objektiv, weist auf dessen enorme Bedeutung für den Sklavenhandel hin oder auf die wichtigen Machtobjekte, die Nkisi.
Buganda auf dem Gebiet des heutigen Uganda ist ein Beitrag von John Parker. Er beschäftigt sich mit der Geschichte des Königreichs, aber auch mit der Art und Weise, wie diese Geschichte „wahrgenommen, interpretiert und in Frage gestellt wurde“, also mit einer Art Metaebene. Obwohl Buganda schon lange als kleines Reich existierte, gewann es erst im 19. Jahrhundert an Bedeutung, als die Außenkontakte zunahmen - bis hin zur Machtübernahme durch die Briten.
Muhammadu Gwadabe schreibt über das Hausaland, von den Hausa-Königreichen bis zum Kalifat von Sokoto. Jahrhundertelang waren die Hausa-Reiche von Wohlstand und Wachstum geprägt, bis sie Ende des 18. Jahrhunderts durch eine militante islamische Reformbewegung „in Bedrängnis“ gerieten. Daraus entstand das Kalifat von Sokoto. Am spannendsten finde ich auch in diesem Kapitel das Zusammenspiel von Geologie und Herrschaft: Weil der Zentralsudan eine Savannenlandschaft ist, konnte eine herrschende Klasse Kontrolle über eine relativ dichte Bevölkerung und deren landwirtschaftliche Produktion erlangen. Und die reichen Eisenvorkommen und die dadurch ermöglichte Metallurgie dürften zusammen mit der Kontrolle der Herrscher schon im 10. Jahrhundert ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sich politische Strukturen etablieren konnten.
Auch wenn das Kalifat von Sokoto nicht mehr existiert, hat sich die Autorität und Autonomie der islamischen Herrschaft bis heute erhalten: Die Briten unterstützen die Hausa-Fulani-Ordnung, weil sie mit den „autoritären Aristokraten“ gute Geschäfte machen konnten.
In den weiteren Kapiteln beschäftigen sich Parker mit dem ‚akanischen Waldreich der Aschanti und Wayne Dooling mit dem Königreich Zululand. Und natürlich wird König Shaka hier viel Platz eingeräumt. Doolings Analyse klimatischer Einflüsse auf das Zulu-Reich vor Shaka unterstreicht die Methodik des Buches, Umweltfaktoren als historische Triebkräfte ernst zu nehmen So gab es im im 18. und frühen 19. Jahrhundert große klimatische Veränderungen, die jeweils das Bevölkerungswachstum beeinflussten.
Bewertung
Vorab: Das Buch ist im wbg Theiss Verlag erschienen, dem Nachfolger der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Es handelt sich also nicht um ein bebildertes Coffeetable-Book oder ein Abenteuer- bzw. Fantasy-Buch. „Große Königreiche Afrikas“ ist ein wissenschaftliches Werk, das mit über 50 Abbildungen optisch ansprechend ist und sich trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs gut lesen lässt.
Die meisten Autorinnen und Autoren legen Wert darauf, die Geschichte der afrikanischen Königreiche verständlich zu erzählen, ohne die Leserinnen und Leser mit zu vielen wissenschaftsinternen Debatten zu verwirren. Nur bei John Parker hatte ich stellenweise das Gefühl, dass er auf einer Metaebene argumentiert: Er stellt verschiedene wissenschaftliche Positionen gegenüber, was dazu führen kann, dass man als Laie etwas ratlos zurückbleibt. Ich persönlich hätte mir an diesen Stellen mehr Eindeutigkeit und weniger Diskussion über unterschiedliche Meinungen gewünscht.
Was hat mir das Buch inhaltlich gebracht?
- „Große Königreiche Afrikas“ räumt mit dem alten Bild vom „Herzen der Finsternis“ auf und stellt Afrika auf eine Stufe mit anderen Hochkulturen – sei es im Westen oder Osten.
- Besonders spannend fand ich die Analyse der Faktoren, die zur Entstehung der Königreiche beigetragen haben, vor allem klimatische und geographische Aspekte.
- Hervorzuheben ist, dass das Buch nicht von einer westlichen oder arabischen Sichtweise dominiert wird: Die meisten Königreiche hatten zwar Kontakte zu Europäern und Arabern, die durchaus prägend waren und zu wesentlichen Veränderungen führten. Sie waren zumeist aber eigenständige Akteure. Das Buch vermeidet Eurozentrismus und zeigt, dass Afrika – trotz aller Gräueltaten – weit mehr war und ist als nur ein Opfer des Kolonialismus. Der Enfluss der Europäer oder der Araber wird also weder über- noch unterschätzt.
Der Begriff „Postkolonialismus“ wird oft verwendet, um die Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus zu beschreiben. In diesem Sinne ist das Buch nicht explizit postkolonial, denn diese Folgen sind nur ein Aspekt unter anderen. Definiert man „postkolonial“ jedoch als die Abkehr von einer eurozentrischen Sichtweise, dann ist „Die großen Königreiche Afrikas“ ein wahrhaft postkoloniales Buch – es ermöglicht einen Blick auf Afrika jenseits linker und rechter kolonialer Klischees und Ideologien.
Ingo Barlovic
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Große Königreiche Afrikas – Von den Nubiern bis zu den Zulu, herausgegeben von John Parker
400 Seiten, 2024, wbg Theiss, 35 Euro
Vielen Dank an den Verlag Herder für die Zusendung eines Rezensionsexemplars