Candy Gourlay ist eine in London lebende philippinische Autorin. Ihr Roman Wild Song, ausgezeichnet mit dem Luchs-Preis für Kinder- und Jugendliteratur, erzählt von den Erlebnissen indigener Philippiner auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis.
Inhalt
Die 16‑jährige Luki ist anders als die meisten Mädchen in ihrem Dorf der Bontoc in den Bergen der Philippinen. Ermutigt von ihrer verstorbenen Mutter, ihren eigenen Weg zu gehen, verbringt sie ihre Zeit lieber damit, Wildschweine zu jagen, als – wie es für Mädchen vorgesehen ist – gemeinsam Reis zu stampfen. Dabei ist die Jagd aus sicht der Ältesten nur den Männern erlaubt.
Als man ihr einen Ehemann zuteilt – einen Jungen, den sie zwar mag, aber nicht heiraten möchte –, beschließt Luki auszubrechen. Sie will ihre Zukunft selbst gestalten und sieht sich noch nicht als glückliche Mutter vieler Kinder. Sie schließt sich Truman Hunt an, der Menschen von den Philippinen für ein „Schaudorf“ auf der Weltausstellung in St. Louis rekrutiert. Auch dieses Vorhaben missbilligen die Ältesten.
In St. Louis werden die sogenannten „Igorot“ (die amerikanische Bezeichnung für indigene Philippiner, die die Betroffenen zunächst ablehnen, später jedoch teils für sich übernehmen) als exotische Attraktion präsentiert – mit Klischees von Kopfjägern und Hundeessern. Doch Luki geht weiterhin ihren eigenen Weg:
Sie verlässt ihre künstliche Enklave – obwohl ihr dies untersagt wurde –, um mehr von der Weltausstellung zu sehen, und schließt sich vor Ort sogar einer bekannten Wild‑West‑Reiterin an. Bald erkennt sie die Schattenseiten – nicht nur der Völkerschau, sondern auch des viel gepriesenen „American Way of Life“ und der Menschen, die sie dort trifft.
Bewertung
Obwohl Wild Song als Jugendroman gilt, ist seine einfache, aber emotionale Sprache auch für erwachsene Leser gut geeignet. Große Teile des Romans machen einfach Freude – vor allem, die Protagonistin Luki kennenzulernen und sie auf ihrem ganz eigenen Weg zu begleiten.
Besonders gut gelingt es der Autorin, dem Leser das traditionelle Denken der Bontoc nahezubringen. Luki geht zwar ihren eigenen Weg, bleibt aber fest in den Traditionen ihrer Kultur verwurzelt. So wirft sie wie die anderen nach einer traumatischen Nacht in einem Zug in den USA gespendete Mäntel weg, weil diese von Toten stammen. Eine große Frage bleibt, wie die Geister der Verstorbenen reagieren, wenn jemand nicht im Heimatdorf, sondern in der Fremde stirbt.
Eindringlich beschreibt die Autorin auch die „Arbeit“ in einem Schaudorf und die Reaktionen der Besucher: von einer Mischung aus Angstlust und Faszination über Langeweile, wenn zu wenige Stereotype bedient werden, bis hin zur Begeisterung, wenn Klischees erfüllt werden oder den USA gehuldigt wird.
Warum habe ich dennoch meine Probleme mit diesem Buch? Dass der Schausteller Hunt kein verständnisvoller Freund ist, sondern vor allem daran interessiert, mit den Philippinern Geld zu verdienen, ist völlig legitim dargestellt – schließlich ging es um ein Geschäft. Auch dass sich bei einzelnen Amerikanern negative Motive für den Kontakt zu den Philippinen finden, ist nachvollziehbar. Doch irgendwann werden nahezu alle amerikanischen Figuren, auf die der Roman näher eingeht, in hohem Maße negativ gezeichnet. Hier wird Gourlay sehr einseitig: Aus einem Roman, der zunächst Neugier weckt, wird ein beinahe didaktisches Lehrstück im Sinne eines klaren Gut‑Böse‑Schemas. Die Amerikaner erscheinen als Karikaturen, während die Philippiner stets menschlich bleiben. Dieses Bild der USA wirkt selbst mir zu undifferenziert.
Wild Song ist somit ein emotionaler, gut lesbarer und durchaus lehrreicher Roman, der jedoch im Verlauf seine differenzierte Haltung aufgibt – zugunsten einer Schwarz‑Weiß‑Ideologie. Schade.
Ingo Barlovic
Wild Song von Candy Gourlay
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320 Seiten, 2025, Rotfuchs Verlag
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Vielen Dank an den Rotfuchs Verlag für die Zusendung eines Rezensionsexemplars