Unter Generalverdacht - Was die Restitutionsdebatte von afrikanischen Kulturgütern für den Sammler bedeutet

Deutsche Sammler traditioneller afrikanischer Kunst verstehen die Welt nicht mehr: Seit Jahrzehnten haben sie sich intensiv mit dem afrikanischen Kontinent befasst: mit der Kultur seiner indigenen Völker, mit aktuellen politischen Entwicklungen, mit Kolonialgeschichte – und kolonialer Schuld. Und nun fühlen sie sich unter Generalverdachtgestellt, gestohlene Kunst zu besitzen, Mitschuld daran zu tragen, dass Afrika sein kulturelles Erbe verloren hat.

Für die Restitution, also die Rückgabe indigener Kulturgüter aus westlichen Museen, interessierten sich bis vor Kurzem höchstens einige Aktivisten und Museumsmitarbeiter – und selbst in den afrikanischen Staaten waren das nur wenige. Doch seit der französische Präsident Macron 2017 in Burkina Faso – für die meisten Beobachter aus heiterem Himmel – dafür plädierte, afrikanische Kulturgüter zu restituieren, hat das Thema Konjunktur (nicht nur) in deutschen Leitmedien. Nach seiner Rede beauftragte Macron Felwine Sarr, einen senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller, sowie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy mit einer Untersuchung zum Thema, die schließlich im November 2018 veröffentlicht wurde. Die beiden kamen zu dem Schluss, dass alle Stücke, die in der Kolonialzeit durch Militäraktionen, von Militärs / Verwaltungsbeamtenoder auf wissenschaftlichen Expeditionen erworben wurden, zurückgegeben werden sollten – und damit der größte Teil der mehr als 90 000 afrikanischen Objekte in französischen Museen.

Damit ein jüdischer Erbe NS-Raubkunst zurückerhalten kann, muss er belegen, dass sie unter Druck oder Zwang verkauft wurde. Saar / Savoy empfehlen im Fall der französischen Tribal Art ein anderes Vorgehen. Sie wollen die Beweislast umkehren: Nur wenn für ein Objekt konkret nachgewiesen werden kann, dass es seinerzeit korrekt – etwa an europäischen Verkaufspreisen orientiert – gehandelt wurde, soll es im Museum bleiben  dürfen. Das Wie des Erwerbs ist ihnen relativ egal – also ob beispielsweise eine Maskengesellschaft ein Stück gezielt verkauft hat, um von den Einnahmen ein neues, hochwertiger eingeschätztes Objekt anfertigen zu lassen. Damit stehen in der Kolonialzeit erworbene Kulturgüter – auch Gebrauchsgegenstände wie Speere oder Körbe - tatsächlich unter Generalverdacht.

Dass der französische Vorstoß gerade in Deutschland so sehr für Furore sorgt, liegt auch am deutschen Prestigeprojekt Humboldt Forum. Angesiedelt im wiederaufgebauten Berliner Schloss, sollen dort außereuropäische Kulturgüter dauerhaft ausgestellt werden. Allerdings wurde bis dato versäumt, die fraglichen Sammlungen zu digitalisieren und intensive Provenienzforschung zubetreiben. Und so kann das Humboldt Forum bislang auch keine Auskunft darüber geben, wie viele seiner Objekte redlich erworben wurden und an wie vielen Stellen zumindest Fragezeichen zu setzen sind. Damit wird die Institution von Savoy, die 2017 ihre Mitarbeit im Beirat aufgekündigt hat, und von diversen anderen Restitutions-Aktivisten vor sich hergetrieben – und erscheint in der Öffentlichkeit als hinterherschlingerndes Dickschiff aus vergangenen Zeiten. Ist nun mit Auswirkungen der Restitutionsdebatte auf den Tribal-Art-Markt zu rechnen?

In Deutschland und Frankreich, kaum in Belgien, wird eine Verunsicherung bei Sammlern spürbar

Zumindest ist bei deutschen und französischen Sammlern – weniger bei den belgischen – bereits eine deutliche Verunsicherung spürbar. Zwar beziehen Sarr / Savoy ihre Empfehlungen ausdrücklich auf Objekte in französischen Museen. Und kein Privatmann – zumal in Ermangelung einer länderübergreifenden Vereinbarung wie der „Washingtoner Erklärung für NS-Raubkunst“ (s. KUA 20 / 2018, S. 37) – kann zu einer Rückgabe seiner Sammlungsstücke gezwungen werden (ohnehin wurden die meisten Artefakte aus deutschen Kollektionen nicht in der Kolonialzeit, sondern ab den 1960er-Jahren von Feldsammlern vor Ort erworben, als viele afrikanische Staaten bereits unabhängig waren). Dennoch ist insgesamt denkbar, dass Objekte von „nur“ guter Qualität – und Werke im High-End-Bereich sind in deutschen Kollektionen ohnehin kaum zu finden – weiter an Wert verlieren.

In der Dorotheumsauktion vom Dezember beispielsweise wurde das Angebot recht genau beäugt, und viele wirklich schöne Stücke wechselten schon für kleines Geld die Besitzer. Zwar zeichnet sich diese Entwicklung (unabhängig von der Restitutionsdebatte) schon seit längerer Zeit ab, weil Tribal Art – da sich in den letzten Jahren viele ältere Sammler von ihren Kollektionen getrennt haben – zu einem Käufermarkt geworden ist. Doch dürfte der aktuelle Imageverlust des Afrika-Sektors diese Tendenz noch weiterverstärken. So wird es in Zukunft wohl noch schwerer werden, junge Sammler – gemeint sind unter 50-Jährige – von dieser Sparte der Kunst zu begeistern.

Und was passiert beim Big Money? Also bei den Spekulationsobjekten in Versteigerungen der internationalen Auktionshäuser? Hier machen sechs- und siebenstellige Zuschläge deutlich, dass amerikanische Investoren derzeit weit entfernt von europäischen Befindlichkeiten auf dem Markt agieren. Dennoch sind auch die Afrika-Auktionen der Global Player zuletzt weniger gut gelaufen, was nur zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die angebotene Ware größtenteils einfach nicht gut genug für die abgerufenen Preise war. Denn auch der Verkauf im mittleren – also fünfstelligen – Bereich lief deutlich schleppender als zuvor. Goldgräberstimmung sieht anders aus …

Offen ist natürlich, inwieweit sich Sarr / Savoy mit ihrer rigorosen Rückgabeforderung durchsetzen werden. Falls der französische Staat aber tatsächlich die meisten „seiner“ Objekte restituiert, stellt sich die Frage: Wie viele Werke benötigt ein Land oder eine Ethnie denn eigentlich zur Wiederherstellung des kulturellen Erbes? Heißt: Wie viele Artefakte werden nach erfolgter Restitution wieder dem Kunstmarkt zugeführt werden, was ja durchaus legitim ist? Und: Wenn afrikanische Kunst mit der Provenienz „Museum Quai Branly“ in absehbarerZeit ganz legal verkauft wird, führt das dann zu einer Neubewertung der in Privatsammlungenvorhandenen Stücke?

Sammler sollten jetzt vor allem einen kühlen Kopf bewahren und mittel- bis langfristig denken

Und was, wenn sich Sarr / Savoy nicht auf ganzer Ebene durchsetzen? Dann werden die Museen in Zukunft wohl dennoch ihre Provenienzrecherche verstärken und hoch umstrittene Objekte zurückgeben, die dann in (teilweise mit europäischen Geldern finanzierten) neuen afrikanischen Museen zu sehen sein werden. So oder so wird sich die Restitutionsdebatte in der Öffentlichkeit aber nach und nach wieder abschwächen, so dass der Tribal-Art-Markt wieder offensiver auftreten kann.

Was empfiehlt sich also für den Sammler? Vor allem: kühlen Kopf bewahren und mittel- bis langfristig denken; noch stärker auf Qualität setzen, die derzeit günstig zu haben ist; intensiv auf Kunst aus Ozeanien schauen, die zumindest in Europa (noch) von der Restitutions-Diskussion ausgeklammert wird; die zum Kauf angebotenen Objekte und die Stücke aus der eigenen Sammlung kritisch hinterfragen; beim Handel auf deutlich stärkere Transparenz pochen; und vor allem: sich nicht die Begeisterung für diese großartige Kunst nehmen lassen … 

Ingo Barlovic, Kunst und Auktionen, 1/2019 (11.1.2019), S. 36

Vielen Dank an die Redaktion der Kunst und Auktionen, den Artikel hier abdrucken zu dürfen.

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