Über Ästhetik, Mysthik von Federschmuck und den Einfluss auf die Europäische Kunst und Kultur.
Die Begegnung mit den Erzeugnissen außereuropäischer Kulturen hat die Kunst Europas in den letzten Jahrhunderten immer wieder beeinflusst und stark verändert.
Im 16. Jahrhundert und wieder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Federschmuck aus Südamerika modischer Sammlungsgegenstand der höfischen Gesellschaft. Europäische Künstler der Moderne wurden jedoch längst nicht so in den Bann gezogen, wie beispielsweise von der abstrakten Formgestaltung Afrikanischen Skulpturen, der verspielten Schnörkeligkeit der Maori Neuseeland’s oder der meditativen Flächigkeit Japanischer Gestaltung.
Ästhetik der Farbe der Feder
Im Federschmuck Südamerikas dominieren kräftige Farben, intensive abrupte Farbkontraste und klar voneinander abgesetzte Farbfelder. Es ist reine Abstraktion, nicht zwei-dimensional, sondern räumlich, denn fast immer ist es Schmuck eines Körperteiles – Körperschmuck, der sich vollständig erst am bemalten und sich bewegenden Körper, in der Gesamtheit aller zugehörigen Teile des ‚Tanzkostümes’, entfaltet. Nicht ein geschmückter Tänzer, sondern viele, in einer gemeinsamen Inszenierung ihrer mythologischen Tradition mit Gesang, Musik und Rezitation – ein farbenfrohes Fest, wie wir es uns nicht mehr vorstellen können, wenn wir vor den isolierten Bestandteilen in einer Ausstellung, vor gläsernen Vitrinen stehen.
Dies gilt zwar z. B. auch für Afrikanische Masken, auch diese sind nur ein Bestandteil des Tanzkostümes, und dieses wiederum Bestandteil einer gemeinsamen Tanzinszenierung im Dorf. Hier fällt es uns leichter unsere Wahrnehmung auf den einzelnen Gegenstand – die Maske – zu beschränken. Das Konzept dieser Stücke ist uns bereits in unserem Alltag begegnet. Künstler haben es in ihren Werken umgesetzt, in Comics kommen Masken vor, in Filmen hängen Masken an der Wand, vielleicht haben wir diese auch in der Schule in Ausstellungen abgezeichnet.
Beim Federschmuck fehlt uns diese Vorbegegnung und es scheint, dass die meisten Menschen die ästhetische Kraft des Federschmuckes in der vorherrschenden Art der Ausstellung nicht wahrnehmen können.
Die ganz besondere Faszination der speziellen ‚Farbe’ der Feder kann dort nicht die volle Wirkung entfalten. Mit dem Lichteinfall verändert sich die Farbe jeder einzelnen Feder, und, auch jede Feder ist farblich stark strukturiert. Hierdurch sind Farbnuancen und unsystematische Muster in einem verwirrenden Maße vorherrschend, nichts ist gleich, alles bei genauer Betrachtung neu und anders.
Ohne Bewegung kommt dieser Effekt kaum zur Geltung. Und: der Schutz der Feder vor Ausbleichen der Farbe lässt in Ausstellungen nur geringe Lichtintensitäten zu, auch hierdurch ist unser Farberleben eingeschränkt.
Federschmuck – die Mythen sehen
Regionale Unterschiede in der Verwendung von Farben und Farbfolgen, Be- und Verarbeitung der Federn, sowie der verwendeten Vögel sind sehr deutlich. Fast jede Stammesgemeinschaft hatte (und hat) ihre eigenen Vorlieben und mythischen Vorgaben. Farbe und Vogel können sichtbare Symbole dieser Mythen sein. Federschmuck ist daher nicht einfach Kunst, er ist für die Hersteller weit mehr – die Summe von Mythen und alltäglichem Leben.
Schon beim Erwerb der Federn nutzt der Jäger all seine Kenntnisse über den Vogel und seinen Lebensraum. Nur der erfolgreiche Jäger ist in der Lage die erforderliche Anzahl von Federn für den Federschmuck anzusammeln. Häufig liefert der einzelne Vogel nur wenige Federn (vier bis zehn) der gewünschten Farbe. So zeichnet der Federschmuck den Träger (oder sein Kind, seine Frau) als besonders geschickten Jäger aus. Allerdings wurden und werden in den Dörfern auch viele zahme Vögel gehalten, deren Federn für den Federschmuck gerupft werden. Der Federschmuck ist für den Eigentümer verbunden mit Geschichten der Jagd, der Herstellung, den Festen, an welchen der Federschmuck getragen wurde, sowie mit Mythen und Geschichten des Stammes.
Die Wertschätzung bestimmter Farben (häufig rot und gelb) und Farbfolgen kann Ausdruck einer Symbolik sein. Diese ist, ebenso wie der jeweils gewählte Vogel, erst durch die geistige Welt der Mythen verstehbar.
Der Gegenstand ist daher der Ausgangspunkt einer Vielzahl von Geschichten. Doch fast kein Sammler – ob Wissenschaftler oder Reisender – hat die jeweiligen Verwender der Federn und Hersteller des Federschmuckes nach der Symbolik der verwendeten Farben und Vögel befragt. Möglicherweise wäre die Antwort auch nur gewesen: "Wir machen es so, weil unsere Ahnen es schon so gemacht haben."
‚Außereuropäische Kunst’?
All diese Geschichten kennen wir nicht, daher stehen wir vor Federschmuck als wäre es abstrakte Kunst. Wir sehen die farbigen Felder, nehmen die Farbpalette der einzelnen Federn wahr und staunen über die Intensität der Veränderung der Stücke, wenn das Licht sich ändert. Hüten sollten wir uns den Europäischen Kunst-Begriff nur zu gebrauchen, um Dinge zu vereinheitlichen, die verschieden sind. Mit der Verwendung des Begriffes ‚Kunst’ scheint dann ein tieferes Verständnis nicht mehr nötig, denn wir wissen ja alle, was Kunst ist.
Da ein Verstehen bei vergangenen Kulturen nicht mehr, und bei heutigen Stammesgemeinschaften nur noch selten möglich ist, müssen wir uns – wenn wir den Gegenständen und ihren Herstellern gerecht werden wollen – auf einen mühsam langen Weg der Suche nach möglichen Inhalten und Bedeutungen machen. Zusätzlich zum Studium der Literatur bedeutet dies das Sichten alter und neuer Feldfotos, sowie den Vergleich der gesammelten Stücke inclusive der Sammlungsakten in den Museen. Die genaue Untersuchung von Material und Technik ist die Grundlage, denn es ist immer der Gegenstand selbst, der als Erster ‘spricht’.
Finden können wir eine jeweils ganz spezielle Gruppe von Menschen mit ihren Traditionen. Keinesfalls können wir davon ausgehen, dass diese Gruppen untereinander gleich sind, nur weil uns Begriffe wie ‘Stammes-Kunst’, ‘Tribale Kunst’, ‘Primitive Kunst’ oder ‘Außereuropäische Kunst’ dies vorspiegeln.
Begegnung mit den Herstellern des Federschmuckes?
Federschmuck ist sehr empfindlich und vergänglich. Ebenso vergänglich wie die vielen hundert Stämme des amazonischen Tieflandes. Wenige blieben übrig, die wir heute noch fragen könnten.
Ist die Begegnung mit den heute lebenden Kulturträgern eine der wichtigsten Aufgaben der Völkerkundemuseen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten? Noch können wir die heute lebenden Nachkommen der Hersteller einladen, um gemeinsam in den Museen die Sammlungen zu betrachten und Fragen zu stellen, die bisher nicht gestellt wurden. Warum ist es nicht selbstverständlich, dass an den Ausstellungen in Völkerkundemuseen die Vertreter der ausgestellten Kulturen mitarbeiten und diese zur Eröffnung eingeladen sind?
Europäisch anmaßend erscheint mir, wenn der inspirierte Künstler z. B. Picasso, Nolde, Kirchner höher geschätzt (und teuerer bezahlt) wird, als die jeweils inspirierende außereuropäische Kultur. Warum verschweigen wir, dass ohne die ständige Begegnung mit Außereuropäischen Kulturen unser Kunst-ErLeben ein gänzlich anderes wäre? Wo stünde die Europäische Kunst und Gesellschaft heute ohne die vielen Einflüsse? Würden wir immer noch ausschließlich religiöse Themen bevorzugen und von Kaisern regiert?
Nachsatz
Auch ohne tieferes Verständnis der früheren Bedeutung sei uns allen das spontane Verstehen und die ästhetische Freude gegönnt und die Achtung für die geduldigen, kenntnisreichen, fleißigen Handwerker – Feder-Kunst ist auch handwerkliches Können.
Wer aus einer Ausstellung kommend durch eine Stadt wie z.B. München geht, die Farben des Federschmuckes noch vor seinem inneren Auge, wird feststellen, dass derart intensive Farben in unseren Städten bestenfalls auf Plakaten und Verkehrsschildern verwendet werden.
Mut zur Farbe ist vielleicht ein Erfahrung, die jeder von uns mitnehmen kann.
Literatur
Münzel, Mark (Hg.) 1988: Die Mythen sehen. Bilder und Zeichen vom Amazonas, Frankfurt am Main Museum für Völkerkunde