Halten ibeji-Schnitzer in ihren Figuren Ähnlichkeiten zu den verstorbenen Zwillingen fest?

Neu: Mit zusätzlichem Feedback von Boris Kegel-Konietzko und Volker Galperin

Gert Stoll, der Verfasser des Standardwerkes über die Ibeji-Figuren, wurde mit einer interessanten Fragestellung konfrontiert: In dem Buch "Geburt-Krankheit-Tod in der afrikanischen Kunst" wird auf den Seiten 94 / 95 Abb. 75 behauptet, dass der Ibeji-Schnitzer gewisse Krankheitsmerkmale (Kwashiokor), an der der Zwilling verstarb, in seiner Ibeji-Figur dargestellt („wiedergegeben“) hätte. 

Er verweist diesbezüglich auf das “ödematös verschwollene” Gesicht eines verstorbenen Zwillings, das Ähnlichkeiten mit einer Ibeji-Figur mit hervortretenden Augen aufweist (wie auch Figur Ibeji-Buch Stoll S. 140).

Gert Stolls Antwort darauf, ob ibeji-Schnitzer in ihren Figuren Ähnlichkeiten zu den verstorbenen Zwillingen festhalten:

"Grundsätzlich erhebt sich die hieraus resultierende Frage, ob Ibeji-Schnitzer in ihren Figuren Ähnlichkeiten mit den verstorbenen Zwillingen festgehalten haben, dass sie zum Beispiel in diesem Fall versuchten, das verunstaltete Gesicht nachzuschnitzen. Diese Annahme muss grundsätzlich verneint werden. Die Ibeji wurden unabhängig davon angefertigt, wie der verstorbene Zwilling aussah, ob gross oder klein, dick oder dünn, jung oder alt. Das Aussehen spielte für den Schnitzer bei der Anfertigung seiner Figuren keine Rolle. Das Schnitzwerk wurde wesentlich geprägt durch die übergeordnete Formvorgabe der Region, in der er wirkte (zum Beispiel Abeokuta-Stilmerkmale) sowie durch die schnitzerischen Eigenheiten seines Lehrmeisters (zum Beispiel Akinyode oder Familie).

Nach seiner oft jahrelangen Ausbildung hat der Schnitzer bis zum Ende seiner Schaffensperiode nach einem vorgegebenen Schema gearbeitet. Wenn zum Beispiel mehrere Familien für ihre verstorbenen Zwillinge Ibeji gleichzeitig oder in zeitlichen Abständen in Auftrag gaben, so hat der Schnitzer hierfür nahezu identische Stücke angefertigt, die voneinander kaum zu unterscheiden waren.

Einen Platz für künsterlische Freiheiten gab es da kaum, schon gar nicht dafür, dass er Ähnlichkeiten zu den verstorbenen hergestellt hätte, wie im Buch beschrieben."

Und nun die Frage an die Ibeji-Experten: Können Sie Gert Stoll zustimmen, oder haben Sie schon Ibejis gesehen, die Ähnlichkeiten zu konkreten, verstorbenen Zwillingen haben?

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Das Feedback von Boris Kegel-Konietzko vom 1.3.2017:

Aufgewachsen in einem Milieu von Sammlern und Kennern afrikanischer Kunst. Seit 1955 bin ich als freier Mitarbeiter, seit 1974 als Kommanditist und seit 1964 als Alleininhaber in meiner Firma Boris Kegel-Konietzko, Ethnographica, tätig.
In meinem Archiv ruhen fast 750 Aufnahmen von Ibedjis, die ich selbst oder zusammen mit meiner Mutter Lore Kegel und meinem Adoptivvater Dr.Georg Kegel im Laufe von drei Reisen im Yoruba-Land, West- Nigeria, erwerben konnte.
Ich erinne mich an keine Zwillings-Figur, welche auch nur den kleinsten Hinweis auf ein Gebrechen oder Deformation dargestellt zeigt.
Ich kann Herrn Stoll zu seiner Ausführung nur voll beipflichten.

Die Erfahrungen von Volker Galperin (Mail vom 2.3.2017), der Nigeria 1967 verlassen und es bis 1979 immer wieder bereist und auf about africa schon zu stilistischen Zuordnungen bei Ibejis geschrieben hat (hier):

Auf die Frage, ob Ibeji-Schnitzer in ihren Figuren Ähnlichkeiten zu den verstorbenen Zwillingen festhalten, wage ich vehement NEIN zu sagen, wie Gert Stoll auch, jedenfalls, was “alte“ ibeji betrifft:

Es waren reine Seelengefäße, ohne Portraitcharakter (wie bei allen Ahnenfiguren auch, aus-genommen die ife-Köpfe!). Individuell sind nur die jeweils typischen Stammesmarken (auf Wangen, Stirn, Brust, Rücken) und die typische Haartracht, was aber schon stammespezifisch ist (Stoll sagt: regionale Vorgabe). Pralle Brüste deuten aber keineswegs den Tod eines Zwillings im reifen Alter an, sondern weisen der “schlecht sehenden Seele“ den Weg zu ihrem Seelengefäß: Der Zwillingstod ereignete sich zumeist im Baby- / Kleinkindalter!

Hervorquellende Augen sind bei den Yoruba häufig zu sehende Merkmale, auch “im richtigen Leben“, und daher rührt sicher die geschnitzte Darstellung auch. (Siehe auch: gelede-Masken!)

Ob kontemporäre Schnitzer (wie Fakeye in den 60ern in Ibadan) nun protraitieren, weiß ich nicht; Fakeye tat es nicht. Selbst Christen ließen (lassen?) eine ibeji schnitzen, noch in den 60ern / 70ern (Aberglaube, siehe unser 3 x auf Holz klopfen!), aber eben als Seelengefäß für den quasi Hausaltar, und nur mit den o.g. traditionellen Merkmalen; moslemische Yoruba freilich nie!

Ähnlich verhielt es sich in Ghana, da: bei den Ashanti, mit den akuabà-Puppen (akuàba heißt: willkommen in Twi), also letztlich Fetischen, die für das noch ungeborene Kind geschnitzt und einst auf dem Rücken (im Tragetuch) während der Schwangerschaft mitgeführt wurden: Sie sollten eben das Ungeborene schützen; ihre Form mit dem flachen Kopf bot sich da an. Es wird aber angenommen, dass dies letztlich auf das Henkelkreuz der Ägypter zurückzuführen ist, also da ankh-Zeichen, das Symbol für Leben (siehe Sonderstellung der Bronze gießenden Völker: Yoruba / Fon, Ashanti / Brong, denen man eben eine Immigration aus N-O-Afrika zuschreibt (siehe Geschichte der Yoruba von Rev. Samuel Johnson). akuabà wurden in den 1960ern/70ern durchaus noch von Ashanti in Auftrag gegeben, aber schon mit Sockel für den “Hausaltar“.

Ich unterschreibe auch die weiteren Aussagen Gert Stolls zu der “geistigen“ Umgebung des Schnitzers: Tradition war Trumpf! (Eine z.B. zerstörte Maske, die für einen wohlmeinenden Geist / gegen einen böswilligen Geist eingesetzt wurde, musste in eben diesem Stil nachgeschnitzt werden, weil sonst die unterstellte Wirkung nicht gegeben war. So also auch gültig für ibeji, die letztlich auch unter Ahnenkult (im Sinne: des Verstorbenen) fallen.)

Als neue Frage an das Forum hätte ich: Vielleicht sollen kontemporäre ibeji ja das verstorbene Kind portraitieren? Wäre ja untersuchenswert …

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