Audiomitschnitt des Vortrags
Werke aus Afrika werden in Museen, Publikationen und Kunsthandel weithin bis heute explizit oder implizit als Arbeiten "namenloser Wesen" vermittelt. Sei es, dass in Museen auf den Beschriftungen nur auf das tatsächliche oder vermeintliche Herkunftsland oder bestenfalls auf den Namen des "Stammes" hingewiesen wird, dem das Werk entstammen soll. Sei es, dass sogar in wichtigen Fachzeitschriften wie "African Arts" Abbildungen von Kunstwerken üblicherweise etwa mit "Fang people" oder "Yoruba people" unterschrieben werden. Die Schöpfer der Werke bleiben dabei gesichts- und namenlos, ihre Werkstätten und Auftraggeber sowie die Herstellungszeit der Werke werden meist nicht genannt.
Tatsächlich steht die Art des Umgangs mit nichtwestlichen Künstlern in erheblichem Gegensatz zur westlichen Kunstgeschichte, wo sich Museumspräsentationen, Forschung und Kunstmarkt in erheblichem Maße auf Werk, Leben und Kreativität namentlich bekannter Individuen sowie auf die historische Abfolge unterschiedlicher künstlerischer Entwicklungen konzentrieren.
Hinter diesem grundlegend anderen Zugang zu den Schöpfern und Kunstwerken aus Afrika steht die Vorstellung, dass "traditionelle" afrikanische Künstler in ihrem Schaffen ihre jeweiligen Gemeinschaften repräsentieren würden und ihr Können dem Diktat und der "tyrannischen Macht" (Sally Price 1992) jahrhundertealter Traditionen unterworfen ist. Die Künstler wurden als anonyme "Sklaven" oder als mehr oder weniger geschickte Imitatoren kollektiver Überlieferungen betrachtet. Diese Traditionen würden durch zwingende Regeln jeden individuellen Ansatz sofort im Keim ersticken. Ein Ausbruch aus dem mehr oder weniger engen stilistischen Kanon gemeinschaftlicher kultureller Traditionen wurde nicht für möglich gehalten. Die Kunstwerke entstünden daher eigentlich aus der jeweiligen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit und weniger durch eine einzelne kreative oder schöpferische Person.
Solche Auffassungen wurden durchaus von einigen Forschern gestützt. So schrieb etwa Paul Bohannan über die zentralnigerianischen Tiv, dass die meisten Schnitzereien dort eine Art von "Gemeinschaftskunst" verkörperten, "eine richtiggehende Volkskunst, bei der der Künstler genauso unwichtig ist wie der Komponist von Volksmusik" (Übersetzung S.E. aus Bohannan 1961). In anderen Schriften wird afrikanischen Künstlern technische und konzeptuelle Kreativität sogar generell abgesprochen. So schreibt etwa Henri Kamer noch 1974, dass es in Afrika "den kreativen Künstler als solchen" nicht gäbe, da er lediglich auf die Bestellungen der Würdenträger reagiere und niemals seiner persönlichen momentanen Inspiration folgen würde. Auch historische Entwicklungen werden Afrika und seiner Kunst in der Regel nicht zugestanden. Beispielhaft stehen hierfür die Worte von Jacques Darriulat ebenfalls aus den 1970er Jahren, der postuliert, dass Afrika und Ozeanien "keine Geschichte" hätten und dass die "Geschichte primitiver Kunst im Präsens geschrieben" wird.
Diese Leugnung der Geschichtlichkeit Afrikas und seiner Kunst sind nicht nur ganz allgemein in der europäischen Geistesgeschichte und hiesigen Zeitgeist-Strömungen begründet, sondern ganz speziell auch in der Geschichte des Faches Ethnologie. Denn zu der Zeit, als der Grundstock der meisten westlichen Afrika-Sammlungen gelegt wurde, lag in der Forschung das Hauptaugenmerk auf der Betonung des Allgemeinen und auf kulturellen Normen anstatt auf Spezifischem und individuellen Unterschieden. Viele ethnographische Berichte jener Zeit waren entweder in zeitlosem "ethnographischem Präsens" oder aber in einer unbestimmten Vergangenheitsform geschrieben, die die vorkoloniale Geschichte Afrikas als einheitlich-statische Zeitmasse vermittelten. Diesem kolonialen Blick auf die Kunst Afrikas war zudem förderlich, dass die meisten Sammlungen einem nur relativ kurzen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten entstammen – von etwa 1880 bis 1950. Diese Werke wurden daher als typisch für ihre jeweiligen "Stämme" klassifiziert, während davon abweichende Stücke oft nicht angemessen zur Kenntnis genommen wurden. Die Schöpfer und Auftraggeber dieser Werke wurden dabei dann etwa zu "den Yoruba" oder "den Luba" schlechthin, wobei sowohl einzelne Menschen als auch ganze Generationen zu einer überzeitlichen, sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart übergreifenden Figur konstruiert wurden.
Und jetzt komme ich endlich zu Hans Himmelheber. Denn es ist eine seiner großen Leistungen, dass er die Menschen – den einzelnen Menschen – den ganz individuell begabten und engagierten Menschen – hinter den Werken suchte. Er interessierte sich für die individuelle Kreativität der Bildhauer. Er versuchte, die Unterschiede nicht nur zwischen regionalen Stilen und Vorlieben, sondern auch zwischen den einzelnen Bildhauern zu erkennen.
Vor Himmelheber beschränkte sich die Betrachtung afrikanischer Werke nahezu ausschließlich auf die Sammlungen, Galerien, Museen und Flohmärkte in der westlichen Welt. Und dabei wurde in der Regel das Gemeinsame gesucht, das, was Werke einer Region gemeinsam hatten.
Sich nun in der Kolonialzeit dermaßen für afrikanische Bildhauer und deren Ansichten und Vorgehensweise zu interessieren, war für damalige Zeiten nicht nur nicht selbstverständlich, sondern geradezu sensationell. Und Himmelheber gelangte damals zu Erkenntnissen, die fundamental von gängigen Sichtweisen von afrikanischen Bildhauern als "Sklaven tyrannischer Traditionen" abwichen.
Schon 1933 beschäftigte er sich intensiv mit dem Verhältnis von "Bindung und Freiheit" bei afrikanischen Schnitzern in der damaligen französischen Kolonie Elfenbeinküste. In seiner Publikation "Negerkünstler" (1934) stellt er die kreativen Fähigkeiten der Bildhauer und ihrer Konformität gegenüber dem lokalen Stil in den Mittelpunkt und setzte sich mit zahlreichen dortigen Bildhauern als Einzelpersönlichkeiten auseinander. Dazu führte Himmelheber intensive Befragungen von 19 Künstlern durch, um nicht nur aufgrund der Werke in den europäischen Sammlungen zu Erkenntnissen über das Kunstschaffen in Afrika zu gelangen, sondern zu erfahren, "wie es der Neger selbst sieht" (1934:1). Dabei gelangte Himmelheber zu der Erkenntnis, dass "der Künstler sich gänzlich befreit von den Bindungen, die ihm durch die Zweckbestimmung seines Werkes, sei es religiös oder profan, auferlegt wird, indem er sich ein neues eigenes Gebiet der freien Kunst schafft, in dem er allein Herr ist" (Himmelheber 1934). Und auch für die "durch das Vorbild und den durch die Tradition" festgelegten Typen stellt Himmelheber unmissverständlich fest, dass "zum mindesten die Künstler, die ausgesprochene Eigenpersönlichkeiten sind, die ihnen gesteckten Grenzen zuweilen sprengen" (Himmelheber 1934).
Im Gegensatz zu gängigen Auffassungen kam Himmelheber bei seinen Befragungen und Beobachtungen zu der Erkenntnis, " dass beinahe jeder [der Bildhauer] bestrebt ist, Neues zu bringen und es besser zu machen als seine Vorgänger oder Fachgenossen" (Himmelheber 1934). So gab etwa der Bildhauer Blabiboti an, dass er gerne "etwas Neues, ganz Unerhörtes machen" wolle, ja sogar "etwas fundamental Neues" (dto.). Auch der Schnitzer Kouakoudili betonte, er "wechsele stets, "entwickle sich", während Bassi Abigan oft darüber nachdachte, "was er ganz Neues bringen könnte, was weder sein Bruder noch die Alten schon gemacht haben" (dto.). Himmelheber registriert also durchaus schon in den 1930er Jahren für Afrika das, was er "Eigen-Stile" (1934: 65) nennt und stellt zumindest bei einigen Bildhauern einen "starken Erfindungswillen, der auf grundsätzlich Neues, aus dem Rahmen des Gewohnten Fallendes gerichtet ist" fest.
Himmelhebers Studien sind somit auch ein wichtiges "Gegengift" zu bis heute weit verbreiteten Ansichten, dass in jedem afrikanischen "Stamm" nur jeweils ein einziger Stil zu finden sei. Doch auch lange nach Himmelheber konzentrierten sich viele Studien über afrikanische Kunst jedoch nahezu ausschließlich auf die grundlegenden Gemeinsamkeiten von Werken aus einer Region. Dabei war und blieb man weitgehend blind für die Unterschiede, für die Dynamik afrikanischer kunsthistorischer Traditionen sowie die Kreativität einzelner Künstler.
Himmelheber war mit seinen Forschungen darin seiner Zeit voraus und vertrat gewissermaßen einen postkolonialen Ansatz, indem er seine westlichen Augen im Blick auf die "fremden Dinge" sensibilisierte, um Unterschiede und Innovationen erkennen zu können - und zu bemerken, dass gerade auch in Afrika viele Künstler - in Anlehnung an Malraux (1956) – "Eroberer" waren und keine Sklaven tyrannischer Konventionen. Und uns ist er ein Ansporn, aufmerksamer und sensibler mit afrikanischen Kunstwerken jenseits überkommener "Stammesstil"- Schubläden umzugehen und dadurch so manche Entdeckung erleben zu können.
Vortrag MU-2008FT-08 zu Frühjahrstagung 2008 der Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur in München (Staatliches Museum für Völkerkunde), 30. Mai bis 1. Juni 2008 - Ulrike und Hans Himmelheber - Leben und Schaffen