Kunst und Kultur der Ejagham – auf den Spuren von Alfred Mansfeld

Kunst und Kultur der Ejagham – auf den Spuren von Alfred Mansfeld

Die expressiven und aggressiv anmutenden Masken der Ejagham lösen noch heute bei vielen Betrachtern und Betrachterinnen ein Schaudern aus; Sammlern und Missionaren vergangener Tage galten sie als Inbegriff des Bösen. Nur wenige wissen um die tiefere Bedeutung dieser gewaltigen Masken, die – in Afrika einmalig – mit menschlicher oder tierischer Haut überzogen sind.

Erste Ansätze einer tieferen Deutung lieferte Dr. Alfred Mansfeld (geboren 1870 in Tetschen, gestorben 1932 in Graz). Im Jahre 1904 trat der Stabsarzt eine Stelle als Bezirksamtmann des Ossidinge-Bezirkes in Kamerun an. In einem Klima gegenseitiger Feindseligkeiten – Aufstände und ihre blutige Niederschlagung waren den Menschen noch gut im Gedächtnis – etablierte Mansfeld ein neues System. Er wurde sogar Mitglied der Ekpe-Gesellschaft ("ewi-ngbe") und versuchte, diese so in den administrativen Ablauf einzugliedern (Michels, 2004: 337). In kürzester Zeit konnte er ein System von Vertrauen und Stabilität in der Region etablieren, welches unter dem Schlagwort "System Mansfeld" in die Geschichtsbücher einging.

Von 1904 bis 1915 leitete er die Station. Bei den Einheimischen war er unter dem Namen "Dr. Mamfe" oder "Dr. Mamfred" bekannt (Michels, 2004: 324). Mansfeld, der bereits Erfahrung mit tropischen Gegenden hatte – mit Dr. Hermann Meyer hatte er 1897 an der Xingu-Expedition teilgenommen – sammelte Objekte der Ejagham-Kultur und ihrer benachbarten Gruppen anfangs recht wahllos und unstrukturiert. 1904 schickte ihm Felix von Luschan seine Anleitung zum ethnologischen Sammeln. Eine seiner umfangreichen und gut dokumentierten Sammlungen gelangte durch Ankauf des Kunstmäzens Ernst F. Gütschow ins Museum für Völkerkunde Dresden. Auch nach Berlin, St. Petersburg (via Berlin) und Stuttgart vermittelte er ethnologische und anthropologische Sammlungen.

In "Urwald-Dokumente – Vier Jahre unter den Crossflussnegern Kameruns" (aus dem Jahr 1908) und "Westafrika. Aus Urwald und Steppe zwischen Crossfluss und Benue" (1928) beschreibt er seine Erfahrungen mit der Kultur der Ejagham. Neben Percy Amaury Talbot lieferte er als einer der Ersten eine ausführliche Studie über die Lebenswelt der dortigen Menschen.

Nach dem Krieg arbeitete Mansfeld im Reichskolonialamt, wo er eine Auskunftsstelle für Auswanderer leitete. 1930 kehrte er als Beauftragter für eine internationale Gesellschaft nach Mamfe (früher Ossidinge) in Kamerun zurück.

Schönheit, so sagt man, liege im Auge des Betrachters. Die ausdrucksvollen, aggressiv anmutenden Tanzaufsätze und Masken der Ejagham erscheinen vielen Betrachtern und Betrachterinnen unheimlich, nur wenige wissen um ihre Bedeutung. Hinzu kommt, dass sich Objekte der Ejagham – herkömmlich bekannt unter dem Begriff "Ekoi" – zunächst nur schwer zuordnen lassen. Handelt es sich bei den Tanzaufsätzen um ein Werk der Boki, der Anyang oder der Keaka? Um hierfür den Blick zu schulen, gilt es, stilistische Merkmale und historische Sammlungsangaben zu vergleichen. Eine Unterteilung in einen naturalistischen und einen abstrakten Stil wie bei vielen Autoren halte ich für problematisch. Masken von unbekannten Künstlern der Boki waren im gesamten Crossriver- Gebiet geschätzt und begehrt. So findet man diese bei den Ejagham, Banyang und bei den weit entfernten Bangwa. Masken wanderten entlang der ehemaligen Handels- und Sklavenrouten. Rechte an Bünden und Gesellschaften wurden von einer Gruppe einer anderen verkauft, was das Recht beinhaltete, auch eigene Masken zu erwerben und herzustellen. Um einen Tanzaufsatz erwerben zu können, muss man Mitglied eines Bundes sein. Im Ngbe-Leopardengeheimbund beispielsweise muss man verschiedene Ränge durchlaufen, um das Privileg zu erlangen, einen Tanzaufsatz zu besitzen. Wittmer (2005: 60) behauptet, dass jeder Rang seine eigenen Masken trägt und diese nicht nur stellvertretend für transzendente Wesen stehen, sondern auch für die Identität und die Autorität des Mitglieds. Das Tragen von Stülpmasken ist den höchsten Bundmitgliedern vorbehalten (Wittmer, 2005: 60).

Um die Herstellung der Tanzaufsätze ranken sich einige Mythen. Mansfeld (1908: 151) schreibt dazu: "Früher hat man angeblich Sklavenhaut oder Haut gefallener Feinde benutzt." Die meisten der Tanzaufsätze im Bestand deutscher Völkerkundemuseen sind m. E. mit Ziegen- oder Zwergantilopenhaut überzogen. Schädler (1982: 9) schreibt, dass auch Affen- oder Schafhaut sowie Schweineblasen verwendet wurden. Menschliche sowie tierische Schädel, Holzköpfe und Holzmasken dienen hierbei als Medium zum Überziehen der Haut (Hahner-Herzog, 1999: 86), welche mit Bambusstiften oder einer Art Gummi (Nicklin, 1974: 14) auf dem Holzkorpus angebracht wurde. Die Hautoberfläche war mit schwarzer Farbe ornamental bemalt, Skarifikationen wurden mittels Pyrogravur eingebrannt. Für die Zähne verwendeten sie Holzstifte (meist Rinde von Palmblattrippen), Horn oder Metallstücke, Elfenbein, Knochen oder menschliche Zähne. Vor jedem Fest wurden die Köpfe wieder mit Palmöl eingerieben und neu bemalt (Röschenthaler, 1993), oft wurden auch Ziernarben an den Holzkörpern angebracht oder angeschnitzt, um einige Elemente unter der Haut hervorzuheben. Zinnblech, zurechtgeschlagene Spiegelscherben oder Kaurischnecken (Cypraea moneta) wurden in die Augen eingesetzt, die Pupillen wurden durch schwarze Bemalung oder eingeschlagene Nägel angedeutet. Die Kopfpartie ist entweder durch eine dunkle Bemalung, die eine kappenartige Form aufweist, gekennzeichnet oder es sind menschliche Haare auf dem Kopf befestigt. An anderen Köpfen sind Stränge aus Pflanzenfasern angebracht, die Haare nachahmen sollen. Bei manchen Objekten kann man auf dem Kopf befestigte Holzzöpfe sehen. Manchmal finden sich auch Tier- und Holzhörner, welche die Verbindung zum Ngbe, zur Kraft der Tierwelt, verstärken sollen.

Wie darf man nun als Betrachter solche Tanzaufsätze interpretieren? Zuerst betrachten wir die Geschichte des Ursprungs des Schädelkultes. In vorkolonialer Zeit tanzten die jungen und alten Krieger mit den abgeschlagenen Köpfen ihrer Opfer (Nicklin, 1979: 56). Durch die Tötung eines Fremden, von jemandem, der nicht der eigenen Gemeinschaft angehörte, wurde man als Mitglied in die Gesellschaft initiiert. Wen oder was stellen die Masken eigentlich dar? Sind es nur idealisierte Typen oder gar individuelle Porträts von Verstorbenen? Lokale Informanten der Ejagham teilten Röschenthaler (1993: 230) mit: "Die Maske ist unser Ahne." Mit dieser Aussage meinen sie, dass die Maske einem bestimmten Ahnen gewidmet ist, aus dessen Besitz sie stammt. Im weiteren Sinne meinen sie den Ahnen, der sie zuerst besaß. Die Maske ist jedoch kein Porträt des Ahnen. Sie stellt nach Röschenthaler (1993: 230) entweder den Kopf eines gefangenen Feindes oder einen nachgebildeten Kopf eines solchen dar und trägt relativ realistische Züge. Röschenthaler beschreibt die Bedeutung der meist gelben oder weiss gefärbten Tanzaufsätze im Kontext ihrer verschiedenen Ursprungsmythen: "Das helle Gesicht der weiblichen Aufsatzköpfe der Männer mit seiner als schön geltenden Gesichtsbemalung und den Nsibidi-Zeichen, das gleichzeitig auch für monenkin und die Grazie der jungen Mädchen steht, kann also auch als Darstellung der Tochter des Dorfoberhauptes gelten, einer fremden Frau, die das Geheimnis des Leoparden in ihrem Gefäß in der Wildnis fand und in der das Opfer der Tochter des Dorfoberhauptes durch den Hautüberzug des Maskenkopfes erinnert wird." (Röschenthaler,1993: 252)

Die dunkel oder braun gefärbten Masken stellen nach Röschenthaler (1998) Männer dar. Die Männer bemalen sich, wenn sie in den Krieg ziehen, ihre Gesichter dunkel. Selten findet man Nsibidi-Zeichen auf männlichen Masken. Viele der männlichen Gesichtsmasken weisen einen Bart auf, obwohl die Ejagham keine Bärte tragen. Die weiblichen Gesichter sind idealisiert, manche männlichen Gesichtsmasken hingegen entstellt. Das heisst, sie stellen eine Gesichtskrankheit oder -deformation dar. Röschenthaler (1998) weist auch darauf hin, dass eine Anzahl von Masken Feinde darstellte, diese Masken tragen auch Skarifikationen anderer ethnischer Gruppen (z. B. der Tiv aus dem Benue-Gebiet).

Die bekanntesten und am häufigsten publizierten Masken des Crossriver-Gebietes sind die janusköpfigen Tanzmasken (Campbell, 1988: 19). Blier (1980: 17) schildert, dass diese im Crossriver- Gebiet wichtige gesellschaftliche Ideale vertreten und eine Balance zwischen der individuellen Kraft und der Harmonie der Gemeinschaft herstellen. Ob nun als Stülp- oder Aufsatzmaske, sie repräsentieren eines der ältesten Prinzipien der Menschheit: männlich und weiblich, Nacht und Tag, Leben und Tod, stark und schwach, hell und dunkel (Schädler, 1982: 10). Die helle Seite steht für die Welt der Frau, die schwarze oder dunkelbraune Seite für das Wesen des Mannes (Wittmer, 2005: 60). Die Aufsatzmasken haben entweder zwei, drei oder vier Gesichter (Blier, 1980: 5). Doppelköpfige Masken kommen in der Kombination weiss-dunkel oder dunkel-dunkel vor. Während des Tanzes mit einer doppel-, drei- oder viergesichtigen Maske sieht immer die männliche nach vorn, die weibliche nach hinten. Dies ist bei Stülpmasken bereits durch die im männlichen Gesicht angebrachten Augenlöcher vorgegeben (Röschenthaler, 1993: 221). Neben den anthropomorphen Masken gibt es auch Tanzaufsätze von wichtigen Tieren der Vergangenheit (Krokodile, Antilopen u. a.), welche vor allem von Jagd-Bünden unterschiedlicher Art verwendet werden (Blier, 1980: 13).

Das Wissen um die Deutung der Tanzaufsätze erlaubt, sich mit diesen Tanzaufsätzen erneut auseinanderzusetzen und die indigenen Schönheitsvorstellungen (Zahndeformationen, Skarifikationen, Bemalung) in unsere Interpretation mit einzuschließen. Somit können wir den wild anmutenden Charakter dieser Masken entschlüsseln.

Im Kunsthandel, bei Auktionen und in vielen Sammlungen werden Objekte der Ejagham-Kultur und ihrer benachbarten Gruppen zumeist mit dem Label "Ekoi" bezeichnet. Der Name Ekoi leitet sich von der englischen Aussprache Efik ab. Die Efik leben an der Küstenregion um Calabar. Die Engländer hatten zuerst Kontakt mit den Bewohnern Calabars und bezeichneten quasi alle Gruppen stellvertretend als "Ekoi".

Literatur, Quellen

  • Blier, Suzanne Preston (1980), Africa's Cross River. Art of the Nigerian-Cameroon Border Redefined. New York: L. Kahan Gallery INC.
  • Campbell, Kenneth F. (1988), Agwe, Unique masks of the Widekum/L'agwe masque specifiquement
    Widekum. In: Arts D'Afrique Noire 67.
  • Förster, Till (1988), Kunst aus Afrika. Köln: DuMont Buchverlag.
  • Hahner-Herzog, Iris (1999), Afrika – Kult und Visionen. Unbekannte Kunst aus deutschen Völkerkundemuseen. Detmold: Verlag Kerber.
  • Mansfeld, Alfred (1908), Urwald-Dokumente – Vier Jahre unter den Crossflussnegern Kameruns. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.
  • Mansfeld, Alfred (1928), Westafrika. Aus Urwald und Steppe zwischen Crossfluss und Benue. München: Georg Müller Verlag.
  • Michels, Stefanie (2004), Imagined Power Contested. Germans and Africans in the Upper Cross River Area of Cameroon 1887–1915. Münster: Lit Verlag.
  • Nicklin, Keith (1974), Nigerian Skin-Covered Masks. In: African Arts, UCLA, Volume VII, Nummer 3, S. 8–15 und 67f.
  • Nicklin, Keith (1979), Skin-Covered Masks of Cameroon. In: African Arts, UCLA, Volume XII, Nummer 2, S. 54–59.
  • Röschenthaler, Ute (1993), Die Kunst der Frauen – Zur Komplementarität von Nacktheit und Maskierung bei den Ejagham im Südwesten Kameruns. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung.
  • Röschenthaler, Ute (1998), Honoring Ejagham Women. In: African Arts, UCLA, Volume 31, Nummer 2, S. 38.
  • Schädler, Karl-Ferdinand (1982), Ekoi. München: Galerie Fred und Jens Jahn.
  • Wittmer, Marcilene K. (2005), Imaging and Identity. African Art from the Lowe Museum and South Florida Collections. Florida: Lowe Art Museum, University of Miami Coral Gabels.

Vortrag ZÜ-2009FT-18 Frühjahrstagung 2009 der Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur in Zürich (Museum Rietberg), 28. bis 31. Mai 2009 - Kamerun und Nigeria - und Besuch der Museen in Genf und Burgdorf

Autor

  • David Zemanek

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