Romuald Hazoumé – ein Are der Yoruba

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Daniela Roth vor, vor und während Ihres Vortrags auf der VdFAK-Frühlingstagung im Rietberg Museum Zürich am 31.5.2009

Abstract

Romuald Hazoumé, 'zeitgenössischer afrikanischer Künstler' aus Benin, ist einem breiten Publikum bekannt geworden, als er 2007 bei der Documenta 12 in Kassel teilnahm und den Arnold-Bode-Preis gewann. Freunden Afrikanischer Kultur ist er schon länger bekannt: Seit Mitte der 1990er Jahre ist er in Europa in Ausstellungen vertreten. Vor allem seine "Kanister-Masken" (masques bidons) finden sich in privaten Sammlungen – und auch im Museum für Völkerkunde in München. Der Vortrag gibt einen umfassenden Überblick über das Werk Hazoumés, von den ersten Batik- oder Holzlege-Arbeiten über Gemälde und Holzskulpturen und den masques bidons, mit denen dem Künstler der internationale Durchbruch gelang. Vorgestellt werden auch die großen Installationen, die Hazoumé nunmehr fast ausschließlich macht, stets verbunden mit Panorama-Fotografien oder Video-Filmen, wie beispielsweise Bidon armé, Cargo, La Bouche du Roi, Dan oder Dream – das Boot für Kassel. Im Kontext der Tagung, die sich "Kamerun und Nigeria" widmet, wird Hazoumé auf seine eigene Verortung hin beleuchtet: Er sieht sich als Are, wandernder Künstler der Yoruba. Mit dieser Konstruktion einer eigenen Künstler-Identität begegnet Hazoumé den Erwartungen des Westens.

Audio-Mitschnitt des Vortrags

Einführung

Sollten Sie dieser Tage ins Hotel "Four Seasons" in Mailand, in der Via Gesù, kommen, können Sie sich im schmucken Innenhof erholen und an einem Werk Romuald Hazoumés erfreuen.

Bidon Armé von 2004 ist dort gerade aufgestellt – in Verbindung mit einer Ausstellung in der Galerie JZ Art Trading in Mailand (noch bis zum 31. Juli 2009). Kuratiert wurde die Ausstellung – Africa Arte Contemporanea – von André Magnin; der Galerist ist Jonathan Zebina, Profi-Fußballer bei "Juventus Turin".

1: Aufbau der Installation «Bidon Armé» von Romuald Hazoumé (links auf der Leiter) in Mailand.

Bild "1: Aufbau der Installation «Bidon Armé» von Romuald Hazoumé (links auf der Leiter) in Mailand."
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Bildquelle: Daniela Roth

Bidon Armé kennen vielleicht einige von Ihnen aus der Ausstellung Afrika Remix, kuratiert von Simon Njami, 2004 in Düsseldorf, danach in London, Paris und Tokio zu sehen. Das Werk Bidon Armé (380 x 110 x 110 cm; Plastikkanister, Metall; Fotografie) ist übrigens noch zu haben – für 200.000 Euro, wenn der Künstler sich recht erinnerte. Ich werde später auf Bidon Armé zurückkommen.

Ich möchte Ihnen den "zeitgenössischen afrikanischen Künstler" Romuald Hazoumé aus Benin (Republique du Bénin) vorstellen. Und ich möchte zeigen, wie Hazoumé sich im Westen präsentiert. Oft tut er das als "Are", als der Wanderer und Künstler der Yoruba. Damit verortet er sich in einer eigenen Tradition, und er tut das auf eigenwillige Art und Weise.

Zunächst ist da der Name: Um seinen Namen, so erzählt Hazoumé das gerne, rankt sich eine Familiengeschichte, die auf seine Vorfahren verweist, die Yoruba sind. 'Hazoumé' komme von 'Hâtozoumê', was "der Panther im Wald" bedeutet, (so schreibt Bartholomäus Grill in der ZEIT Nr. 46 vom 9. November 2006 "Der wahre Picasso", und so steht es auch bei Wikipedia). Ein großer Babalawo, ein Priester, aus dem Yoruba-Dorf Ibonan wanderte nach Dahomey/Benin aus, wo er zum Berater des Königs Toffa wurde. Dieser nannte ihn 'HA-to-ZOUMÉ', nach einem Waldtier, das zwar klein ist, aber mit seinem Schrei alle anderen Tiere vertreibt. 'Hâtozoumê', später kürzer Hazoumé (andere Schreibweise: Hazoumè), ist zunächst ein Vorname, wird dann aber zum Familiennamen.

1962 in Porto Novo, Benin, geboren, lebt und arbeitet Romuald Hazoumé dort als freischaffender Künstler. Er hat nie etwas anderes gemacht. Die wenigsten Beniner aber haben je ein Werk von Hazoumé gesehen. Er produzierte von Anfang an vorwiegend für Europäer. Hazoumé besuchte das Béhanzin-Gymnasium in Porto Novo, aber die Schule habe ihn "im Stich gelassen", was die wesentlichen Fragen des Lebens angeht – so sagt er das. Seinen Weg als Künstler hat alleine gefunden. In Europa versieht man ihn deshalb mit dem Stempel "Autodidakt".

Dass es in Benin keine Kunstakademie gibt, sieht er aber als ein sicheres Abseits. Das Land bleibt so unberührt von europäischen Vorbildern und entwickelt seine eigene Moderne. Zur Akademie sagt Hazoumé: "Wir brauchen keine. Dort würden wir nur lernen, westliche Kunst nachzuahmen." Und das sei das letzte, was ein selbstbewusster Afrikaner wollen könne. "Im Westen muss man sich als Künstler immer mit der gesamten Kunstgeschichte auseinandersetzen, aber mit dem allem haben wir nichts zu tun." (Gabriele Riedle, "Wen die Voodoo-Götter lieben", GEO Nr. 5, 1997, 38-58)

Eine Holzlegearbeit Hazoumés von 1986, die heute noch in seinem Haus in Porto Novo hängt, ist betitelt "Pour Gabriele Drach et Johanna, RH 86". Schon an dieser frühen Arbeit sieht man, wie phantasievoll Hazoumé arbeitet. Überall sind kleine, raffinierte Details eingearbeitet.

Bild "2: «Pour Gabriele Drach et Johanna, RH 86», Hazoumé, 1986."

Ansonsten macht er zu dieser Zeit vor allem Batikarbeiten. 1989 kommt der Durchbruch mit den Masken. In diesem Jahr machte Hazoumé seine ersten Kanister-Masken, hatte eine Ausstellung im Centre Culturel Français in Cotonou, in den folgenden Jahren in anderen afrikanischen Ländern (z.B. in Mali oder Südafrika) und in Europa. 1996 hatte er seine erste Galerie-Einzelausstellung bei Dany Keller in München.

Die Kanister-Masken

Seit Januar 2002 hängen sieben Hazoumé-Masken im Museum für Völkerkunde in München. (Bild 3: sieben Masken aus dem MfVK.) Bei der Auswahl achtete Dr. Stefan Eisenhofer, Leiter der Afrika-Abteilung am Museum, auf einen "repräsentativen Querschnitt" von Hazoumés Arbeiten:

  • Thereza, 1999, Wasserkocher, Draht,
  • Tara Tamas, 1997, Blechkanister, Aluminium,
  • Dagmar Meyer, 1996, Schallplatte, Brille, Plastikmesser,
  • Le Grecq, 1998, Bügeleisen, Holz,
  • Mr. Vigor, 1995, Plastikkanister, Kunsthaare,
  • Süsse, 1999, Plastikkanister, Kunsthaare,
  • Lokoum, 1995, Plastikkanister, Kunsthaare, Putzbürste.

Bild "3: Sieben Masken im Museum für Völkerkunde München. Hazoumé, 1995-1999."

Stefan Eisenhofer erweitert ständig die Kunst-Abteilung innerhalb der Afrika-Abteilung im Museum für Völkerkunde in München; er möchte eine Sammlung 'zeitgenössischer afrikanischer Kunst' aufbauen. Damit öffnet er sich eigentlich dem Bereich der zeitgenössischen Kunst, der aber, nach deren Eigeneinschätzung, den Museen und Ausstellungshallen für zeitgenössische Kunst vorbehalten bleibt.

Dem Ankauf des Völkerkundemuseums vorausgegangen war 2000 die große Ausstellung Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts im Münchner Haus der Kunst. Auch hier waren – neben wichtigen "kanonischen" Werken der Kunst des 20. Jahrhunderts – Kanister-Masken von Hazoumé ausgestellt.

Nicht nur aus Kanistern, aus allen möglichen Abfällen der westlichen Zivilisationen macht Hazoumé Masken. Oder auch nicht: Einmal sagt er (in einem Interview, Ausst.-Kat. Vor-Sicht, Ingolstadt), er habe nie Masken gemacht. Er habe nur Dinge realisiert, denen manche Menschen aufgrund von formalen Vergleichen nicht anders begegnen, als darin Masken zu sehen. Dahinter steht, dass in Benin Menschen oder auch Dinge Sichtbares und Unsichtbares in sich vereinen. Hazoumé nimmt also die Europäer in ihrer – eingeschränkten – Sichtweise auf den Arm. Und verwehrt sich mit einem Augenzwinkern, in einer Schallplatte, einer Brille und einem Schuhlöffel Dagmar Meyer zu sehen – obwohl er das Werk genau so betitelt hat.

Bild "4: «Dagmar Meyer». Museum für Völkerkunde München. Hazoumé."
Siehe Dagmar Meyer, 1996 (Anm.: Seite öffnet gelegentlich sehr langsam).

Symbole des Fa

5: «Legba, ein Gott des Vodún». Hazoumé, 1994, 204 x 140 cm, Erde, Acryl auf Leinwand

Bild "5: «Legba, ein Gott des Vodún». Hazoumé, 1994, 204 x 140 cm, Erde, Acryl auf Leinwand"
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Bildquelle: Daniela Roth

Legba ist die göttliche Macht, die Wegkreuzungen und den Zufall beherrscht. Legba ist der Vermittler unter den Göttern, und der Vermittler zwischen Göttern und Menschen. Es ist kein Zufall, dass Hazoumé gerade dieses Legba-Gemälde als eines seiner wichtigsten Bilder sieht, dass er möchte, dass es in Benin bleibt, und dass er es genau so gemalt hat, wie er es gemalt hat, nämlich in der graphischen Darstellungsweise.

 

6: Cyprien Tokoudagba mit einer Legba-Zementplastik, 2004.

Bild "6: Cyprien Tokoudagba mit einer Legba-Zementplastik, 2004."
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Bildquelle: Daniela Roth

Dass Hazoumé sich für eine andere Darstellung entscheidet, ist Ausdruck zum einen seines Verständnisses für die westliche Kultur: Er konfrontiert sie mit einem abstrakten Symbol und nicht mit der Legba-Figur mit riesigem Phallus. Zum andern ist diese Vermittler-Rolle, die in der graphischen Darstellung dominiert, das, was Hazoumé als Are, als "afrikanischer Künstler" sein will: Ein Wanderer und Vermittler zwischen den Kulturen.

Und ein Bewahrer seiner eigenen Kultur:

Das Fa

Bild "7: «Grundelement des Fa: Wasser». Hazoumé, 1994, 204 x 140 cm."

Unartifiziell, fast kindlich ist es gemalt – und doch genau nach einer westlichen Vorlage, einer Zeichnung im Standardwerk von Bernard Maupoil.

Das Element Wasser, Eau, besteht aus dem Zeichen Gbe-Meji, das ist der leere Kreis. Das zweite Symbol im Element Wasser ist Yekou-Meji, ein schwarz ausgemalter Kreis. Woli-Meji ist das Tier, das im Bild unten rechts zu sehen ist. Ein Waldtier, eine Hyäne? Di-Meji ist der geteilte Kreis, der Hintern einer Frau. Diese vier Zeichen sind die vier ersten "Häuser" des Fa-Orakels. Sie sind Wasserzeichen und ergeben zusammen das Element Wasser.

Er malte schon seit seiner Schulzeit, aber in den frühen 1990er Jahren machte Hazoumé sich Gedanken über eine neue Thematik. Er erzählt, auf die traditionelle Malerei der Frauen auf Häuserwänden bezogen: "[I]ch hatte die Technik. Danach kam mir eine weitere Idee. Ich sagte mir, ich würde das Fa interpretieren" (Thomas Fillitz, Zeitgenössische Kunst aus Afrika, 2000, S. 145). Das Fa-Orakel, das 'Ifa' in Nigeria oder 'Afan' in Togo, ist ein Weissagungssystem (sein Ursprung findet sich in Ife), und ist seit 2005 offiziell immaterielles Welterbe.

Die vier Fa-Grundelemente, Wasser, Luft, Feuer, Erde, hat Hazoumé in vier Gemälden festgehalten (alle 1994, alle 204 x 140cm). Sie waren zu sehen in einer Ausstellung in der Fondation Zinsou in Cotonou. Es gibt eine Verfügung, dass diese Gemälde im Land bleiben sollen.

Hazoumé hat umfangreiche Recherchen zum Fa-Orakel angestellt. Er war 1994/95 im Auftrag der UNESCO in Nigeria, Benin, Togo, Ghana und Niger, um sich bei Eingeweihten und Priestern über Darstellungen und Symbole des Fa zu informieren.

Hazoumé hatte sich zuerst in Paris in die europäische Literatur über das Fa eingelesen: "Die Leute sind sehr schweigsam in Afrika. Erst wenn sie merken, dass du Ahnung hast, reden sie, halten dich sogar für einen Initiierten. Europäern erzählen sie gerne Unsinn", sagt er. Er will seine eigenen Landsleute erreichen.

Rezeption vor Ort

16 Holzskulpturen auf ovalen Sockeln sind im JPN, dem Jardin des Plantes et de la Nature, in Porto Novo aufgestellt.

8: Skulptur Fa-Symbol Nr. 16. Jardin des Plantes et de la Nature, Porto Novo, Benin. Hazoumé.

Bild "8: Skulptur Fa-Symbol Nr. 16. Jardin des Plantes et de la Nature, Porto Novo, Benin. Hazoumé."
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Bildquelle: Daniela Roth

Fu-Meji sieht aus wie ein Orakelbrett, es ist aber ein Ei, in das vier vertikale Linien eingeschrieben sind und links daneben zwölf Punkte. Das Ei repräsentiert Fu, die zwölf Punkte die letzten zwölf Symbole und die vier Linien Gbe, Yeku, Woli und Di – das Leben, den Tod, das Wissen und das Unbekannte, die vier Wurzeln der Welt (Bernard Maupoil, La Géomancie à l'ancienne Côte des Esclaves, 3. Aufl. Paris 1988, S. 557). Im Jahre 2003 fertigte Hazoumé 16 Skulpturen an, alle aus dem Stamm eines Baumes, eines umgestürzten Copahuba. Mit den Skulpturen will er dem Baum neues Leben geben. Dafür musste er erst spirituelle Kräfte befragen. Man kann nicht einfach so in die Natur eingreifen, mir nichts, dir nichts die Motorsäge zur Hand nehmen. "Das ist keine Koketterie", sagt Hazoumé (in einem Interview mit Florent Couao-Zotti, in: Ausst.-Kat. Romuald Hazoumé, Fondation Zinsou 2005, S. 24). Es gilt, den allen Dingen innewohnenden Geist, ihr Wesen, zu berücksichtigen. Ist es die (religiöse) Glaubensüberzeugung des Künstlers? Eine Anspielung auf die immer massivere Zerstörung der Umwelt? Oder ein Häppchen für den Hunger nach 'Spiritualität' im Westen?

Aus dem Copahuba-Stamm entstanden 16 große Skulpturen, die längsten von über drei Metern Länge, eineinhalb Metern Höhe und etwa einem halben Meter Tiefe. Die Skulpturen sind mit der Motorsäge gefertigt, rau im Schnitt, nicht geglättet. Sie zeigen die 16 Symbole des Fa-Orakels.

Politik

Hazoumés Bidon Armé, aus dem Jahr 2004, habe ich eingangs schon vorgestellt. Hier (Bild 9) der fertige Zustand. Ein Kanister-Turm, dazu ein Foto (Bild 10). Es zeigt den Transport von Kanistern auf einem Moped. Aufgeblasene Kanister!

Kanisterturm zur Installation Bidon Armé von Romuald Hazoumé, 2004.

Bilderschau "Bild 9: Hazoumés «Bidon Armé», 2004. Bild 10: Dazugehöriges Foto. Transport von Kanistern auf einem Moped."
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Bildquelle: Daniela Roth

300 Liter Benzin oder 30 Kanister werden in Benin auf einem Moped transportiert. Eine rollende Zeitbombe. 1500 CFA verdient ein Moped-Fahrer am Tag, das sind etwas mehr als zwei Euro. "Losfahren heißt einverstanden sein zu sterben", sagt Hazoumé. Das Benzin wird von Nigeria nach Benin geschmuggelt. 90 Prozent der Beniner Bevölkerung konsumieren dieses Benzin, das allerdings kein reines Benzin ist, sondern mit billigerem Öl oder ähnlichem vermischt. Hazoumé sagt: "Wir müssen das erklären in unserer Arbeit. Weil unsere Arbeit eine Vision unserer Politik in Afrika ist, unserer schlechten Politik."

La Bouche du Roi

La Bouche du Roi ist eine Installation, die zusammen mit einem Film gezeigt wird. In der Form greift es auf ein Sklaven-Schiff aus dem 18. Jahrhundert zurück, einem Stich der "Brookes" mit einem Liegeplan zur besten Ausnutzung des Schiffsraumes, der sich in vielen einschlägigen Geschichtsbüchern findet. So verweist es auf den historischen transatlantischen Sklavenhandel. Der begleitende Film zeigt die Benzin-'Mafia', die neue Form der Sklaverei in Benin.

Bild 11-a-1:
Siehe www.art-magazin.de/kunst/332/romuald_hazoumé_documenta_12?bid=279&cp=2 , Das Sklavenschiff im British Museum: Romuald Hazoumés "La Bouche du Roi" (2007).

Bild 11-a-2:
Siehe www.artfund.org/artwork/9798/la-bouche-du-roi , Das Sklavenschiff im British Museum: Romuald Hazoumés "La Bouche du Roi" (2007). Hier finden Sie auch Detail-Aufnahmen der Installation.

Bild 11-b-1:
Stich der "Brookes" (Ausschnitt) mit einem Menschen-Liegeplan zur ökonomisch besten Ausnutzung des "Sklavendecks", 1789

Siehe auch Bild 11-b-2: Plan of the British Slave Ship "Brookes," 1789

Die Arbeit La Bouche du Roi besteht aus 304 Kanisterteilen, Gewürzen, Flaschen, Spiegeln, Audio-Elementen und einem siebenminütigen Film. Die Kanister sind Metaphern für die 304 Sklaven, die in Ketten am Boden liegend im Schiffsbauch gefesselt sind. Jede 'Maske', jedes Gesicht in Hazoumés Schiff, ist individuell: Gebrauchsspuren zeichnen die Kanister, farbige Kennzeichnungen oder Perlenschnüre, bunte Federn oder eine kleine Holzfigur um die 'Nase'. Hazoumé findet die Benzinkanister genau so vor. Die Beniner selbst haben sie so 'gestaltet', der Künstler verändert sie nicht, er verwendet sie bloß.

Zwei Masken sind keine Sklaven, es sind der weiße und der schwarze König im Heck des Schiffes. Krone, Haare und Bart hat Hazoumé dem Kanister angedeihen lassen; das sind keine Anhängsel von beninischen Benzinhändlern. Zwischen dem weißen und dem schwarzen König liegt eine Waage. Sie ist ausgeglichen. Sie will sagen: keiner hat mehr oder weniger Schuld am Sklavenhandel, nicht die Weißen, nicht die Schwarzen. Rechts und links von den hier im Heck hinter den Königen liegenden 'Sklaven' finden sich die Gegengaben, die Bezahlung für Sklaven: grüne Gin-Flaschen, kleine Spiegel, Schälchen mit Tabak, mit bunten Glasperlen und Glasmurmeln und mit Kauri-Schnecken.

Betrachtet man Hazoumés Bouche du Roi vom Bug aus, vernimmt man rechts eine gut riechende und links eine schlecht riechende Seite auf dem Sklavenschiff. Urin, Jod oder verrotteter Fisch, Ei vermischt und in Schälchen unter die 'Sklaven' der rechten Schiffs-Seite gestellt, gibt einen Gestank, der an den elenden Zustand der Sklaven gemahnen soll. Auf der linken Seite duftet es: Kaffee und Pfeffer, Kümmel und Gewürznelken. Das ist der 'Ursprung', woher die Sklaven kommen, aus dem Norden des Landes. La Ballade du Négrier, ein Poem aus dem 17. Jahrhundert, hat Hazoumé zusätzlich beeinflusst. Es ist die Ballade eines Sklavenhändlers, Joan Wils, aus Amsterdam aus dem Jahre 1686 (Ausst.-Kat. Romuald Hazoumé, La Bouche du Roi, Houston, 2005 S. 11).

Hazoumé lässt die Ballade in Yoruba übersetzen (wieder eine Stärkung der eigenen, der Yoruba-Identität! – denn eigentlich wird doch in europäische Sprachen übersetzt) und in den Katalogen auf Englisch und Yoruba, beziehungsweise Französisch und Yoruba, abdrucken. Eine Reihe von Namen begleitet die Installation, Vornamen von Yoruba, Mahi, Fon und Ouémé. Sie personifizieren die 'namenlosen' Sklaven, die die Namen ihrer 'Herren', der Käufer, erhalten. Ein Name ist Identität.

An die Museumswand lässt Hazoumé auf Yoruba das Motto seiner Installation schreiben:

"Wọn ò ma ibi tí wó n ńlo,
s ùgbó n wó n ma ibi tí wó n ti ńbò.
Títí di ọjó oní wọn ó tû parí ìrìnajò wọn.
Wọn sì ti gbagbé ìsè dalè wọn."

"Sie wussten nicht, wohin sie gehen,
aber sie wussten, woher sie kamen.
Heute wissen sie noch immer nicht, wohin sie gehen,
aber sie wissen auch nicht mehr, woher sie kommen."

Cargo

Bild 12:
Siehe www.caacart.com/pigozzi-artist.php?i=Hazoume-Romuald&m=35&s=246 , Romuald Hazoumé, Cargo (2006), Plastic, metal, 51.18 x 190.55 x 73.23 inches, 130 x 484 x 186 cm.

Cargo wurde von Jean Pigozzi bestellt (nicht 'in Auftrag gegeben': es wurde ein Werk bestellt, und Hazoumé fertigte nach eigenem Gutdünken an, was er wollte) und zum ersten Mal von Oktober 2006 bis Februar 2007 in der Ausstellung 100% Africa, eine Ausstellung der Sammlung Pigozzi, im Guggenheim Museum in Bilbao gezeigt. Die Ausstellung, von Ettore Sottsass, beziehungsweise seinem Mitarbeiter Marco Palmieri gestaltet, zeigte vielleicht zum ersten Mal zeitgenössische afrikanische Kunst 'westlich' präsentiert. Nichts mutete 'exotisch' an in der Aufstellung. Die 'afrikanische Kunst' wurde sachlich, auf Sockeln und hinter Glas, in perfekt ausgeleuchteten Galerieräumen des Guggenheim Bilbao und mit sparsamer Beschriftung gezeigt. Informationen über die Herkunftsländer der Künstler, biographische Daten plus Foto und Künstlerzitate waren in den Fluren zwischen den drei Galeriekomplexen des dritten Obergeschosses zu finden.

Cargo von Hazoumé ist ein Tricycle, ein dreirädriges 'Moto' mit Laderäumen. Die Fahrer solcher Tricycles in Benin, die mit diesen Gefährten Benzin von Nigeria nach Benin schmuggeln, nennen es selbst "Cargo": (Luft)Fracht. Hazoumé drahtelt leere Kanister rechts und links an das rostige Gefährt und verleiht ihm somit Flügel. Das Tricycle wird wirklich zum "Cargo"-Frachtfluggerät. Eine verrostete alte Fahrradkette, die inklusive Schnappschloss um die Sitzlehne des Gefährts gebunden ist, erinnert allerdings an die irdische Sicherung der 'Seifenkiste', wie man das Gefährt in Europa vielleicht bezeichnen würde. In der Ausstellung säuselte ätherische Musik aus dem Bauch des Tricycles: chinesische, amerikanische und europäische Popmusik; Hazoumé hat die drei CDs in Bilbao, vor Ort also, gekauft.

"Ein Scherz", wie er selbst sagt. "Die Amerikaner sind in unserem Land, die Chinesen sind in unserem Land. Sie holen die Bodenschätze. Wir können ihnen doch gleich das Benzin per Flugzeug transportieren." Ob jemand – aus Benin – diesen Scherz versteht? Er glaubt es nicht.

Dan

«Dan», Victoria & Albert Museum, Hazomé, 2006.

Bild "«Dan», Victoria & Albert Museum, Hazomé, 2006."
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Bildquelle: Daniela Roth

Romuald Hazoumé wurde 2006 eingeladen, für das Victoria & Albert Museum in London – wiederum kein Kunstmuseum – ein Kunstwerk zu erstellen. Auf die Frage, was er denn mache, antwortete er: "Eine Schlange. Eine Schlange, die lacht."

Dan in Benin ist eine Schlange, eine heilige Python. Die Schlange ist von großer Bedeutung in allen religiösen Diskursen in Dahomey. Das Symbol der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, der Uoroboros, ist in Benin lange bekannt. (Beispiele finden sich bei Melville Herskovits, Pierre Verger oder Leo Frobenius.)

Dan ist dynamisch, er/sie steht für Bewegung, Flexibilität, Geschmeidigkeit, Glück oder Schicksal.

Dan in London ist eine Skulptur aus Kanistern von vier Metern Durchmesser. Hat Hazoumé vorher Masken aus Kanistern gemacht, Kanister in seinen fotografischen und filmischen Arbeiten verwendet, im Bouche du Roi als Masken oder Sklaven ausgelegt, so entsteht nun erstmals eine Skulptur aus Kanisterteilen. Hazoumé verwendet wieder 20-Liter-Plastikkanister, die typischen Öl-Kanister, die es zu 5l, 10l und eben 20l standardmäßig gibt.

Die Kanister, aufgeschnitten und so zu einzelnen Platten geworden, sind einander ein wenig überlagernd rund um den Corpus angebracht, so dass sie wie Schuppen eines Schlangenkörpers aussehen. Und die Kanister, von ihrer Grundfarbe her schwarz, sind zum Teil bemalt – wie das schon in anderen Werken Hazoumés zu sehen ist, in den Kanistern von La Bouche du Roi beispielsweise, die farbig gekennzeichneten Kanister der Benzinschmuggler von Benin, Farben statt Buchstaben oder Zahlen. Durch die Farben wird die Schlange bunt. Und so ist sie auch bezeichnet: Regenbogenschlange, Arc-en-Ciel. Dan ist ein Gott des Vodún in Benin. Der zweite Untertitel verweist auf die Aussage: "Symbole de Perpétuité": Lebenslang. Es ist nicht primär Symbol der Ewigkeit, das hier gezeigt wird, aber das eines (ewig) andauernden Verhängnisses, eines unheimlichen Teufelskreises. Es will aufmerksam machen auf die Gefahr, sich wiederholende Muster in der Geschichte zu ignorieren. Sklaverei ist heute nicht von der Erde verschwunden, sie existiert in einer versteckteren und wirtschaftlichen Form weiter. "The body of my serpent has been made with dozens of masks representing all the slaves of the world in their diverse forms," sagt der Künstler über das Werk. Und er ist sehr zufrieden, dass das Victoria & Albert Museum seine Worte genau so gedruckt hat (V&A Magazine, Spring 2007, S. 65).

Dream

"I have a dream. I want to stay at home."

14: Text zu «I have a dream (Dream)» am Boden der Documenta 12, Hazoumé, 2007.

Bild "14: Text zu «I have a dream (Dream)» am Boden der Documenta 12, Hazoumé, 2007."
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Bildquelle: Daniela Roth

Auf dem Boden steht in vier Sprachen, Yoruba (! – wieder auch in Yoruba), Französisch, Englisch, Deutsch:

"Tà bà ló aó kú
Tàó bà ló aó kú
Kàkà ká kú ká kú ló ká kú"

"Die Hoffnung, es gäbe die Möglichkeit zu bleiben. Die Hoffnung stirbt zuletzt."

Hazoumés Arbeit I have a dream (Dream) war auf der letzten Documenta, 2007, in Kassel zu sehen. An wen wendet er sich mit dieser Aussage? Ausdrücklich will er mit dieser Arbeit ein Werk für die Trauer der afrikanischen Eltern schaffen, die nicht wissen, wo ihre Kinder sind.

"90 Flüchtlinge vor Teneriffa ertrunken. Das Ausmaß der jüngsten Flüchtlingstragödie vor den Kanarischen Inseln ist vermutlich weitaus größer als zunächst befürchtet. Die 48 Überlebenden, die sich am Sonntag auf Teneriffa ausruhten, berichteten, an Bord des in der Nacht zum Donnerstag bei schwerer See gekenterten Bootes seien etwa 135 Menschen gewesen, unter ihnen Frauen und Kinder. Die spanischen Behörden befürchten daher, dass fast 90 afrikanische Flüchtlinge im Atlantik ertranken. Es wäre damit das schwerste Unglück dieser Art vor den Kanaren. Nach Aussagen der Geretteten stammten die Flüchtlinge überwiegend aus Liberia, Ghana und Gambia. Sie seien in Guinea Bissau ausgelaufen und etwa zehn Tage unterwegs gewesen. Ziel waren die Kanarischen Inseln. Das Boot war rund 170 Kilometer vor der Küste Teneriffas gekentert, als ein Rettungskreuzer die in Seenot geratenen Afrikaner an Bord nehmen wollte." Eine Meldung der Süddeutschen Zeitung, am 23. Juli 2007, zur selben Zeit, in der Hazoumés Boot auf der Documenta 12 in Kassel zu sehen ist.

Kunst muss anschlussfähig sein, sich auf laufende gesellschaftliche Diskurse beziehen. Das Werk Hazoumés für die Documenta 12 ist "anschlussfähig" sowohl an den gesellschaftlichen Diskurs in Benin oder Westafrika als auch an den in Deutschland oder Europa.

15: Das Kanister-Boot zu «I have a dream (Dream)» auf der Documenta 12, 2007. Im Hintergrund zugehöriges Bild.

Bild "15: Das Kanister-Boot zu «I have a dream (Dream)» auf der Documenta 12, 2007. Im Hintergrund zugehöriges Bild."
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Bildquelle: Daniela Roth

Das Werk ist auf der Documenta 12 im Aue-Pavillon ausgestellt. Die Besucher empfängt ein 13 Meter langes Boot, das dem Original, den Fischer-Booten, den Pirogen, nachempfunden ist. Jeder erkennt Hazoumés Boot als ein Flüchtlingsboot wieder.

Die hinter dem Boot an einer Stellwand angebrachte Panorama-Fotografie zeigt eine nahezu idyllische Szene an einem Strand, einem 'afrikanischen' Strand, das sieht man an den schwarzen Kindern. Das Idyll ist ein reales Dorf, Hévé oder Hévé-Hoézecomey, am östlichen Ufer des Mono-Flusses, gegenüber Grand-Popo.

Bintou Wéré, die erste afrikanische Oper der Musikgeschichte, erzählt ebenfalls eine Flüchtlingsgeschichte. Hier ist es die schwangere ehemalige Kindersoldatin Bintou Wéré, die sich einem Schlepper anvertraut, um nach Europa zu kommen und dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Hochdramatisch stirbt Bintou, gerade als sie den Stacheldraht übersteigen will, gebiert aber noch ihr Kind – und wirft es auf die afrikanische Seite der Grenze. Die afrikanische Ko-Produktion aus der Sahel-Zone kommt zum gleichen Schluss wie Hazoumé: Der Traum ist es, daheim bleiben zu können. Die Oper Bintou Wéré wurde im Frühjahr 2007 in Bamako, Mali, uraufgeführt, und war im Juni in Amsterdam und im Oktober 2007 in Paris zu sehen.

An Hazoumés Boot hängen Flaschen mit Briefen, Flaschenpost. In kleinen Rähmchen sind Fotografien, Porträts. Sie haben die Funktion von Erkennungsmarken, falls jemand zu Tode kommt: Flüchtlinge sind anonym. Sie haben keinen Pass. Sie haben einen falschen Namen, eine falsche Identität. Sie haben ihre Identität aufgegeben, ihre Geschichte aufgegeben, und sie haben sich eine Geschichte zurechtgelegt, um nach europäischen Richtlinien Asyl beantragen zu können. Flüchtlinge erzählen, dass sich die erfundenen und die realen "Geschichten" mischen. Das ist es, was Hazoumés Dream-Boot auf der Documenta 12 ausmacht: es erzählt eine Geschichte.

Are

16: Hazoumé vor seiner Installation «Dream» auf der Kasseler Documenta 12, 2007.

Bild "16: Hazoumé vor seiner Installation «Dream» auf der Kasseler Documenta 12, 2007."
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Bildquelle: Daniela Roth

Für sein Werk Dream erhält Hazoumé am 8. September 2007 den Arnold-Bode-Preis. Das Boot ist zum populärsten Werk der Documenta geworden. Kinder haben es "begriffen", Besucher haben sich beim Boot verabredet. "Du, wir sind bei dem Boot", habe ich ein Handy-Gespräch mitgehört. "Wir sitzen alle in einem Boot", sagte der Bundespräsident Horst Köhler bei seinem Documenta-Besuch zur Arbeit Hazoumés.

Hazoumés Werk Dream wurde für die Sammlung der Kasseler Neuen Galerie angekauft.

Hazoumé inszeniert sich, auf dem Bild mit seiner Kleidung, wie ein "afrikanischer Prinz". Er versteht sich als Are. Der Are ist für ihn der Avantgarde-Künstler des 21. Jahrhunderts. Are sind bei den Yoruba traditionell Wandernde, die von Königreich zu Königreich ziehen. Über die Kultur der Yoruba sagt Hazoumé: "Wer diese nur ein bisschen kennt, taucht in die Tiefe einer unglaublichen Kunstgeschichte ein. Leider wird sie heute immer nur auf Masken und Figuren reduziert. Dabei galt der Künstler bei uns als der Wanderer, der die Kultur von Königreich zu Königreich weiter trug, bekannt für die Qualität seiner Arbeit", (Hazoumé in einem Interview mit Heinz-Norbert Jocks, Kunstforum international Bd. 174, 2005, S. 123).

Im Yoruba-Reich gab es keine Schrift, aber es gab den Are, den wandernden Poeten – vergleichbar dem Griot in Mali. Der Are – das Wort are oder auch akewi meint Itinerant – ist nicht nur Poet, er ist auch Musiker, Performer, bildender Künstler, erläutert Babatunde Lawal, Professor of African and African Diaspora Art. Für andere Yoruba ist der Are ein politischer Anführer wie Ona Kankanfo oder Akintola Abiola. Ein Are ist jedenfalls ständig unterwegs, da seine Arbeit hoch gefragt ist. So sieht sich (stilisiert sich?) Hazoumé, als der permanent zwischen allen Kontinenten wandernde, unentbehrliche Künstler, Aufklärer, (Wissensver)Mittler – ein panafrikanischer Künstler-Afrika-Aktivist: eine postmoderne hintergründige Inszenierung.

Wollen wir hoffen, dass wirkt, was Hazoumé sagt: "Ich weiß, woher ich komme."

Links, Internetfundsachen

Vortrag ZÜ-2009FT-21 Frühjahrstagung 2009 der Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur in Zürich (Museum Rietberg), 28. bis 31. Mai 2009 - Kamerun und Nigeria - und Besuch der Museen in Genf und Burgdorf

Autor

  • Daniela Roth

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  • Quellen-Nennung: Romuald Hazoumé – ein Are der Yoruba; Daniela Roth; 2009; https://www.about-africa.de/kamerun-nigeria/114-romuald-hazoume-are-yoruba
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