Nordwest Region, Kamerun
Die aussergewöhnlichste Salbenschale, die noch existiert, ist höchstwahrscheinlich die antike sakrale Schale aus dem Königspalast von Bafut. Ich begegnete dieser einzigartigen Skulptur in einem Lagerraum des Lindenmuseums in Stuttgart 1970, als es mir erlaubt wurde, für eine Woche die dortige Kunstsammlung aus Kamerun kennenzulernen. Diese Schale fesselte unmittelbar meine Aufmerksamkeit. Die kärgliche Information auf der Karteikarte war der Vermerk von Dr. Koloss, dass in dieser Schale Kolanüsse aufbewahrt wurden. Angesichts dieses wertvollen Meisterstücks erschien mir diese Erklärung merkwürdig. Deshalb nahm ich mir vor, an Ort und Stelle, das heisst in Bafut selber, den ursprünglichen Gebrauch der Schale ausfindig zu machen. Im Weiteren wollte ich aufspüren, welche Bedeutung den acht geschnitzten Männerfiguren wie auch den 24 Menschenköpfen auf dem Schalenrand zukommt. Mein Privileg, in Bafut bekannt zu sein, im Besonderen im Königsplast, erleichterte mir die Suche nach kompetenten und willigen Informanten. Die Informanten bestätigten einhellig, dass die auf dem Foto abgebildete Schale tatsächlich aus dem Königspalast von Bafut stammte. Sie benannten sie ‚ANTIKE HEILIGE SALBENSCHALE', die seinerzeit eines der Königsinsignien war, das streng gehütet seinen Platz im Innersten des Königspalastes hatte. Niemand ausser den Königsmachern hatte Zutritt. Ungleich aller anderen Insignien wurde die heilige Salbenschale nie den öffentlichen Blicken ausgesetzt. Das bedeutet, dass ausser den Königsmachern keine Person aus Bafut diese Salbenschale je gesehen hat. Sogar auf dem Foto strahlt die Salbenschale Würde, Respekt, Ehrfurt und Heiligkeit aus. So die Informanten.
Der Gebrauch der Schale
In dieser Schale bereiteten die Königsmacher aus Rotholzpulver und Wasser, auch mit Palmöl oder Rizinusöl, die Salbpaste (pe) zu, mit der sie jeweils den neuen König bei der Krönung salbten und in sein Amt einsetzten. Den Rest der Salbpaste wurde bis zur Inthronisation des nächsten Königs in dieser Schale aufbewahrt. Für die Salbung des neuen Königs kneteten sie die inzwischen hart gewordene pe in die neue pe und sicherten so die rechtliche Thronfolge (Sukzession) zu, das heisst die ungebrochene Folge der betreffenden königlichen Familie.
Der Gedanke, dass die Schale jemals zur Aufbewahrung von Kolanüssen gedient haben soll, war für meine Informanten eine absurde Vorstellung. Sie sagten, dass mit absoluter Sicherheit keine Kolanüsse im Innersten des Königspalastes aufbewahrt wurden. Werden Kolanüsse zwischen zwei Ernten aufbewahrt, müssen sie an einem kühlen Ort, in Bananenblättern eingewickelt, zum Beispiel in einem Erdloch vergraben werden. Sie betonten, dass mit Sicherheit nie Kolanüsse in dieser Schale aufbewahrt wurden, auch nicht vorübergehend.
Die Skulpturen an der Schale
Die Schale wird getragen von zwei Reihen mit je vier männlichen Figuren. Die äusseren Figuren mit der traditionellen Pfeife in der linken Hand jubilieren und kündigen an: "Wir haben einen neuen König." Diese Darstellung zeigt genau, wie die Königsmacher jeweils bei der Inthronisation eines neuen Königs im Inneren des Palastes vorgehen. Mit der rechten Hand auf der Schulter des Nebenmannes symbolisieren sie Einigkeit. Die vier inneren Figuren in ihrer andächtigen, gebetsähnlichen Haltung bezeugen Ehrerbietung und Huldigung. Die Hände halten sie unter dem Kinn. Dies bedeutet, dass sie ehrfurchtsvoll den Worten des Königs lauschen. Die Hände nahe beim Mund, zeigt die Bereitschaft an, auf Fragen des Königs zu antworten, und zwar durch die hohle Hand, denn man spricht nicht mit dem nackten Mund zum König. Soweit waren sich die Informanten einig.
Alle acht männlichen Figuren, die vier in der äusseren wie auch die vier in der inneren Reihe, stellten für die Informanten ein ernstes Problem dar, denn in der traditionellen Gesellschaft gibt es nur sieben Königsmacher und nicht acht. Alle Informanten ausser einem waren der Meinung, dass der Künstler aus technischen Gründen zweimal vier und nicht vier und drei Figuren geschnitzt hat. Der eine Informant jedoch war überzeugt, dass sie alle zusammen, der König und sein ganzes Volk, eingebettet sind in der Fülle und Ganzheit der Zeit. Er gab zu bedenken, dass in der Tradition des Graslandes die Zeit durch eine Acht-Tage-Woche gemessen wird. Deshalb und um die Gesamtheit und Vollständigkeit der Zeit und Welt, in der das Königreich existiert, zu zeigen, ist die Zahl acht von Bedeutung. Die acht männlichen Figuren wurden in ihrer vollen Nacktheit geschnitzt, weil vor 200 bis 300 Jahren, als die Schale angefertigt wurde, die Leute keine Kleider trugen.
Die 24 Menschenköpfe rund um den Schalenrand bedeuten: Der König ist umgeben von seinen Notabeln und mit ihnen vom ganzen Volk; er wird von ihnen unterstützt und beschützt. Und auch der König selber kommt ja aus dem Volk.
Die Geschichte der Schale
Gemäss der Karteikarte im Lindenmuseum wurde diese Schale im August 1903 dem deutschen Militärarzt Dr. Zubitza in Bafut überreicht. Die abgegriffene Oberfläche verrät, dass sie schon während vieler Generationen in Gebrauch gewesen sein musste, bevor sie nach Europa kam. Sie steht heute hinter Glas im Lindenmuseum.
Interessant wäre, mehr darüber zu erfahren, zum Beispiel, warum diese Schale dem Militärarzt Dr. Zubitza gegeben wurde. Man fragt sich, warum sollten die Bafutleute eines ihrer Hauptstücke königlicher Juwelen weitergeben? Es gilt zu bedenken, dass sich dies in der Zeit der kolonialen Besetzung Kameruns abgespielt hat. Bafut war einer der bedrohlichsten und hartnäckigsten Gegner der deutschen Besatzungsmacht im westlichen Grasland. Wurde die Schale von den deutschen Machthabern gefordert oder gar entwendet, nachdem sie ihre Herrschaft in Bafut erfolgreich begründet hatten? Oder wurde die Schale von den Bafut freiwillig ausgehändigt, um auf diese Weise dem Deutschen Kaiser ihre Ehrerbietung zu erweisen? Oder sollte dieses ehrwürdige Meisterstück dem Bafutvolk helfen, sich bei den Deutschen Achtung zu verschaffen? Wir wissen es nicht.
Es war der damalige junge Holzbildhauer Babila Edwin Fotachwi aus Bali-Nyonga, der bei Prescraft (Presbyterian Handicraft Centre) in der Abteilung ‚Traditionelle Holzbildhauerei' auf Grund eines Fotos und meiner Beschreibung 1975 dieses alte Kunstwerk erfolgreich kopierte.
Verfasser: Hans Knöpfli
Buch von Hans Knöpli - GRASLAND – EINE AFRIKANISCHE KULTUR
59,00 Euro
Peter Hammer Verlag
ISBN: 978-3-7795-0197-8
Dieses grossformatige Buch über die Kultur des Kameruner Graslandes, klar geschrieben und mit 700 wunderbaren Fotos ausgestattet, zeigt die handwerklich arbeitenden Menschen als die unschätzbaren Bewahrer ihrer kulturellen Identität.
‚Das Buch hat mich von Anfang an so gefesselt, dass ich es mit grossem Gewinn in einem Zuge durchgelesen habe. Von Kapitel zu Kapitel habe ich mehr bedauert, dass Hans Knöpfl is Arbeit in der Zeit meines aktiven Museumsdienstes nicht existiert hat. Vieles hätte ich besser interpretieren – und verstehen – können. Meinen Kollegen kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen. In keinem Museum, das Graslandbestände hat, sollte es fehlen. Es konnte wohl auch nur von jemandem ge-schrieben werden, der, wie Hans Knöpfl i, Jahrzehnte mit den Menschen dieser Kultur zusammen-gelebt hat.' (Dr. Jürgen Zwernemann, Professor für Ethnologie, Seevetal/D)
‚Es ist ein Glücksfall, dass dieser einmalige Schatz an Bildern und Berichten nun auch in einer deutschsprachigen Fassung erschienen ist.' (Friedegarde Hürter, Afrikapost)