Das Ergebnis vorab
Der Göttinger Kopf GÖ-Af932 ist
- identisch mit der ehemaligen Berliner Inventarnummer B-IIIC08184,
- einer von 28 bei Luschan 1919 erwähnten Benin-Gedenkköpfen dieses Typs.
Der Marktwert des Stückes ist mit diesem Nachweis von wenigen hundert beziehungsweise tausend Euro auf einen Wert im sechsstelligen Euro-Bereich gestiegen.
Die Recherche
In der Göttinger Ausstellung im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung der Georg-August-Universität ist in einer Vitrine ein Bronze-Kopf aus Benin zu sehen. Auf dem Textschild in der Vitrine steht: "Frauenkopf aus Bronze, Kauf Speyer".
Bild "FOTO01 GÖ-Af0932-1 Benin Nigeria, Bronze-Kopf, Arthur Speyer"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
Auf der Karteikarte sind weitere Informationen:
"Benin,Frauenkopf aus Bronze,49 cm. Das Stück zeigt eine vom Neger vorgenommene Reperatur. Nach Speyers Angaben soll das Stück aus der Berliner Beninsammlung stammen. Kauf Speyer Berlin"
Das Eingangsjahr in Göttingen ist nicht angegeben, aufgrund der Nummerierung vermutlich spätestens in den 1930er Jahren.
Bild "FOTO02 GÖ-Af0932-0C Benin Nigeria, Bronze-Kopf, Arthur Speyer (MfV Berlin B-IIIV8184 Consul Schmidt, 1898)"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
Diese Angaben wurden von Prof. Dr. Ulrich Braukämper, Direktor des Instituts, anlässlich der Führung durch die Afrika-Ausstellung am Samstag 25. Oktober 2008 während der Herbsttagung 2008 noch einmal mündlich bestätigt.
Das Stück galt bisher als wenig wertvoller Nachguss mit offensichtlichen Fehlstellen. Ein Schutz vor Diebstahl war daher nicht notwendig, da spätere Arbeiten, d. h. nach 1897, im Stil von Benin nur mit wenigen hundert beziehungsweise tausend Euro zu veranschlagen sind.
Um herauszufinden, ob die Angabe Speyers ("aus der Berliner Beninsammlung") stimmen kann, habe ich zunächst im Buch der diesjährigen Benin-Ausstellung "Benin Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria (Herausgeberin Barbara Plankensteiner)" nach den Sammlungsnummern vergleichbarer Berliner Stücke gesucht.
Bilderschau "FOTO03a Benin-Könige und Rituale, Hrsg. Barbara Plankensteiner,2007"
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Bildquelle: Benin - Könige und Rituale: Höfische Kunst aus Nigeria, Verlag: Benteli, ISBN-13: 978-3716515242, 2007/8
foto03b benin-könige und rituale,hrsg. barbara plankensteiner,2007.jpg
Die Übersicht der Gedenkköpfe im Buch bildet auch diesen Typ Kopf ab (S.189). Vergleichbare Berliner Stücke tragen dort die Berliner Sammlungsnummern
- IIIC7660
- IIIC8185 bis IIIC8187
- IIIC8189
- IIIC8191
Bild "FOTO04 Übersicht der Gedenkköpfe in PLAN07"
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Bildquelle: Benin - Könige und Rituale: Höfische Kunst aus Nigeria, S.189, Verlag: Benteli, ISBN-13: 978-3716515242, 2007/8
Im nächsten Schritt suchte ich im Eingangsbuch/Inventarbuch des Berliner Ethnologischen Museum im Nummernbereich IIIC7660 sowie IIIC8185 bis IIIC8191 und fand folgendes:
Bilderschau "FOTO05a B-IIIC08173_bis_08183-0 Berlin Afrika-Katalog Band 03"
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Bildquelle: Eingangsbuch/Inventarbuch des Berliner Ethnologischen Museum
foto05b b-iiic08184_bis_08194-0 berlin afrika-katalog band 03.jpg
Die Sammlungsnummern IIIC8183 bis 8192, insgesamt 10 Köpfe, sind charakterisiert als "Bronzekopf mit Zipfelmütze".
Bei dem Stück IIIC8184 ist handschriftlich vermerkt: "Bronzekopf mit Zipfelmütze, vermutlich lt E1260/32 (Tausch Speyer Dir. Baumann) an Speyer abgegeben".
Arthur Speyer (der 2.) erwarb das Stück IIIC8184 also im Jahr 1932. Der Bronzekopf wurde 1898 durch Kauf von Consul Schmidt erworben und ist damit sicher aus der Zeit vor 1897.
Bild "FOTO05c DETAILL B-IIIC08184 Berlin Afrika-Katalog Band 03"
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Bildquelle: Eingangsbuch/Inventarbuch des Berliner Ethnologischen Museum
Der nächste Schritt war das Buch "Alterthümer von Benin" von Felix von Luschan, erschienen 1919.
Bilderschau "FOTO06a ZZ-LUSC19,S.0 Alterthümer von Benin, Felix von Luschan, 1919"
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Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin, Alterthümer von Benin, Felix von Luschan, Georg Riemer Berlin, 1919
foto06b zz-lusc19,s.0 alterthümer von benin,felix von luschan,1919.jpg
Die Überschrift des 20. Kapitels lautet: "Große weibliche Köpfe mit spitzer Kopfbedeckung". Luschan begründet seine Meinung, dass dies weibliche Köpfe seien auf Seite S.351 wie folgt: "Das Gesicht dieser Köpfe ist durchweg mit recht geringer Kunst behandelt, die großen Augen mit aus Eisen eingelegter Iris sind meist etwas vorgequollen, wie bei Basedow, und die Backen erscheinen bei vielen Köpfen unangenehm aufgedunsen; anscheinend hat die Absicht bestanden, eine etwas überernährte ältere Frau darzustellen. Besonders roh und schematisch sind die Ohren behandelt, ...".
Als weiteren Grund, dass diese Köpfe Königinnen repräsentieren, benennt Felix von Luschan die "Kopftracht, die sich bei Frauen wiederfindet".
(Das steht tatsächlich so bei Luschan, ich habe nur die Reihenfolge vertauscht.)
Auf Seite 352 folgen die wesentlichen Informationen.
"Sechs von den Berliner Köpfen dieser Gruppe sind verhältnismäßig gut gegossen und sorgfältig zieseliert; vier von diesen haben jederseits vier statt der sonst üblichen drei Reliefnarben über jedem Auge; die sechs andern Berliner Köpfe aber, die technisch ganz besonders minderwertig sind, haben immer nur je drei Paare von solchen Narben. Die besser gearbeiteten Köpfe haben meist zwischen den erhabenen Narben, ..., über den inneren Augenwinkeln noch einen breiten und hohen vertikalen Streifen, der mit Eisen ausgelegt war, ... ; bei dem Kopfe der schlechten Art, Berlin IIIC8184, sieht man die bösen Gußfehler vor und hinter dem Ohre sowie über dem linken Auge. Außerdem erkennt man gut, wie auf der Haube ein allzu großer Defekt durch eine nachträglich aufgegossenes rechteckiges Ersatzstück überdeckt ist. Ebenso ist an diesem Kopfe die ganze Nackengegend durch ein 12 cm hohes und etwa 16 cm breites glattes Ersatzstück mit Klammern befestigt, um einen großen Gußfehler zu decken."
Bilderschau "zz-lusc20, s.351 kopf mit zipfelmütze"
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Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin, Alterthümer von Benin, Felix von Luschan, Georg Riemer Berlin, 1919
zz-lusc20, s.352 kopf mit zipfelmütze.jpg
Im Vergleich des Göttinger Stückes GÖ-Af932 mit den, von Luschan geschilderten Merkmalen des Berliner Stückes B-IIIC8184 komme ich zu folgendem Ergebnis:
Merkmal 01: drei Paare von Narben über den Augen
Bilderschau "FOTO07 GÖ-Af0932-1e Merkmal 01 - Drei Narben über dem Auge"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
foto07b gö-af0932-1e merkmal 01 - drei narben über dem auge.jpg
Merkmal 02: Gussfehler vor und hinter dem Ohre
Bild "FOTO08 GÖ-Af0932-2c Merkmal 02 - Gußfehler vor und hinter dem Ohre"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
Merkmal 03: Gussfehler über dem linken Auge
Bilderschau "FOTO09 GÖ-Af0932-1f Merkmal 03 - Gußfehler über dem linken Auge"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
foto09b gö-af0932-1f merkmal 03 - gussfehler über dem linken auge.jpg
Merkmal 04: auf der Haube nachträglich aufgegossenes rechteckiges Ersatzstück
Bilderschau "FOTO10 GÖ-Af0932-5 Merkmal 04 - auf der Haube nachträglich aufgegossenes rechteckiges Ersatzstück"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
foto10b gö-af0932-5 merkmal 04 - auf der haube nachträglich aufgegoss.jpg
Merkmal 05: Nackengegend 12 cm hohes und ca. 16 cm breites glattes Ersatzstück mit Klammern befestigt
Bilderschau "FOTO11 GÖ-Af0932-3a Merkmal 05 -Nackengegend 12 cm hohes und ca. 16 cm breites glattes Ersatzstück mit Klammern befestigt"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
foto11b gö-af0932-3a merkmal 05 -nackengegend 12 cm hohes und ca. 16 c.jpg
foto12 gö-af0932-3b merkmal 05 -nackengegend 12 cm hohes und ca. 16 c.jpg
foto12b gö-af0932-3b merkmal 05 -nackengegend 12 cm hohes und ca. 16 c.jpg
In meiner Nachlässigkeit den Bronzearbeiten Benins gegenüber, hatte ich bei allen Besuchen in Göttingen nur ein Gesamt-Foto der Vitrine gemacht. Daher konnte ich erst am Freitag 23. Oktober 2008 überprüfen, ob das Göttinger Stück alle Merkmale erfüllt.
Ergebnis des Vergleichs
Der Göttinger Kopf GÖ-Af932 ist identisch mit der ehemaligen Berliner B-IIIC08184.
Ein weiterer Beweis lässt sich an dem Kopf selbst erkennen. Auf dem folgenden Foto ist deutlich die Zahl 84 (schwarz auf weissem Etikett) zu erkennen. Oberhalb dieser Nummer ist in roter Schrift "IIIC" lesbar und vier Ziffern undeutlich erkennbar.
Bilderschau "FOTO13 GÖ-Af0932-3c Reste der alten Berliner Nummer"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
foto13b gö-af0932-3c reste der alten berliner nummer.jpg
foto13c gö-af0932-3c reste der alten berliner nummer.jpg
Die Nummernreste auf der Rückenplatte
Es fällt bei diesen Stücken auf, dass alte Sammlungsnummern auf den Stücken ganz entfernt oder teilweise unkenntlich gemacht wurden. Ob dies auf Wunsch des jeweils veräußernden Museums geschah oder durch Arthur Speyer II ist heute nicht mehr feststellbar. Leider bleiben ohne alte Nummer die ursprünglichen Museen und deren Sammlungsangaben im Dunkeln.
Zur Qualität des Kopfes hat sich damals Felix von Luschan bereits eindeutig geäußert. Dieser weist sicherlich handwerkliche Fehler auf, das Gesicht ist jedoch ansprechend wie das folgende Foto zeigt.
Bild "FOTO14 Detaill-Foto GÖ-Af932-1e"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen
Den damaligen Herstellern und Auftraggebern im Köngreich Benin scheint der Gedenkkopf allerdings trotzdem wichtig gewesen zu sein. Warum haben sie diesen trotz der vielen Mängel aufgehoben und sogar noch mit nachträglichen Reparaturen korrigiert?
Bei der weiteren Bearbeitung der Tafeln im Buche Luschans fand ich, dass auf Tafel 62 in Band III der Göttinger Kopf GÖ-Af932 abgebildet ist.
Im Vergleich dazu mein Foto des Kopfes mit ähnlicher Perspektive.
Bilderschau "Vergleich Luschan, Schlothauer"
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Bildquelle: A.Schlothauer im Institut für Ethnologie und Ethnologische Sammlung Göttingen; Staatliche Museen zu Berlin, Alterthümer von Benin, Felix von Luschan, Georg Riemer Berlin, 1919
Wieviele dieser Gedenkköpfe gibt es?
Die Übersicht bei Luschan listet unter der Nummer 20 "Weibliche Köpfe mit Haube" 28 Stücke ("Alterthümer von Benin", S.12).
Diese waren im Jahr 1919 in den Museen: Berlin (12), Köln (2), Dresden (1), Leiden (2), Leipzig (3), Pitt-Rivers (2), Stuttgart (1), Wien (1), Rest (4). In dieser Auflistung ist das Göttinger Stück mitgezählt.
Bilderschau "FOTO15 ZZ-LUSC19, S.12 Übersicht,Felix von Luschan,1919"
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Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin, Alterthümer von Benin, Felix von Luschan, Georg Riemer Berlin, 1919
foto15b zz-lusc19,s.12 übersicht,felix von luschan,1919.jpg
Im Buch "An Illustrated Catalogue of Benin Art" von Philip J.C. Dark aus dem Jahr 1982 sind 56 Köpfe aufgeführt. Der Göttinger Kopf ist in der Liste auf S.2.1.69 ("Kopf-Typ 8") erwähnt und hat im Dark-Inventar die Nummer P7.12.
Bilderschau "FOTO16b An Illustrated Catalogue of Benin Art,Philip J.C. Dark,1982"
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Bildquelle: An Illustrated Catalogue of Benin Art von Philip John Crosskey Dark, G K Hall & Co, US, 1982, ISBN-13: 978-0816103829
foto17 zz-dark82,s.2.1.69 göttinger kopf typ 8 nr.p7.12 erwähnt.jpg