Einleitung
Überblick: Was erwarten die Beteiligten voneinander?
- Sammler vom Museum
- Zugang zu den Magazinen (z. B. Schaumagazin und Internet)
- Ausstellungen und Kataloge
- als besonders Interessierte bzw. teilweise Fachleute wahrgenommen zu werden
- Museum vom Sammler
- Ausstellungs- und Veranstaltungsbesuch
- Kauf der Kataloge und Veröffentlichungen
- Gesprächspartner bei fachlichen Fragen (eher selten)
- Sammler von der Universität
- Aus- und Fortbildungsangebote
- Museum von der Universität
- Ausbildung des Nachwuchses und Fortbildung
- Forschungsprojekte für Ausstellungen
- Universität vom Museum
- Zugang zu Magazin und Sammlungsarchiv für Forschung
- Universität vom Sammler
- Sammler, was ist das?
Der Vortrag in zwölf THESEN
These 01 - Qualität und Menge der Bestände sehr hoch
Die Magazine deutscher Völkerkundemuseen sind übervoll mit sehr guten Sammlungen und Einzelstücken.
These 02 - Einmalig in Europa - die flächige Verteilung
Die Menge völkerkundlicher Sammlungen gibt es in keinem anderen europäischen Land (vergleichbar ist möglicherweise England). An mindestens zwanzig Orten sind flächendeckend in Deutschland weltweit wichtige Ethnologische Sammlungen vorhanden. In mindestens 20 weiteren Museen sind kleinere Sammlungen nachweisbar.
Diese Vielfalt ist Teil unserer föderalen Geschichte und unbedingt erhaltenswert!
These 03 - Bisher keine systematische Erfassung der Bestände
Nur ein Bruchteil der, in den Magazinen vorhandenen Bestände wurde ausgestellt und ist in Katalogen oder Büchern abgebildet. Eine systematische Erfassung und Neuordnung aller Stücke ist noch zu leisten.
These 04 - Digitale Erfassung - Schaumagazine - Internet
Die digitale vollständige Erfassung aller Museumsbestände (Fotos der Stücke und Sammlungsdokumentation) ermöglicht die weltweite Zusammenarbeit der verschiedensten Experten per Internet. Dies wird viele neue Erkenntnisse bringen.
Die Magazine können den Museumsbesuchern durch Schaumagazine und Internet geöffnet werden.
These 05 - Museen können ihren Auftrag nicht mehr erfüllen
Der Auftrag der Museen ist "Sammeln - Erhalten - Auswerten - Vermitteln". Diesem Gesamtauftrag können die Museen nicht mehr gerecht werden, da die Träger der Museen sich ihrer Verantwortung entziehen. Das Ergebnis:
- Sammeln ohne Ankaufsetat sowie ohne Zusammenarbeit mit Sammlern und Händlern;
- Erhalten ohne Restaurieren;
- Auswerten ohne Universität und wissenschaftliche Projekte;
- Vermitteln ohne Geld und Personal.
These 06 - Ethno(theo)logie
Konkurrierende Forschung ist im Bereich der Ethnologie die Ausnahme. Jeder Experte findet und besetzt seine Nische derart, dass keine weitere Forschung mehr in diesem Bereich stattfindet. Dies erzeugt eine Menge kleiner Päpste, die verlernt haben mit- bzw. gegeneinander zu diskutieren. Wissenschaft ohne Diskussion, ist bestenfalls guter Monolog und schlimmstenfalls Stillstand bzw. gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit. Die Ethnologie ist zur Ethno(theo)logie geworden ... und keiner hat's gemerkt.
These 07 - Keine Zukunft für die Völkerkunde ?
In den letzten Jahren sind viele ethnologische Lehrstühle entweder durch Auflösung, durch Marginalisierung oder durch Abwanderung in die Soziologie verschwunden. Museen sind geschlossen oder von Schließung bedroht. Zu bedenken ist:
- Magazinierte Sammlungen ohne Ausstellungen sind ‚totes Kapital'.
These 08 - Welt-Kulturerbe in Deutschland
Wir bewahren in unseren Museumsmagazinen das kulturelle materielle Erbe einer Vielzahl von Stammesgemeinschaften, Völkern und Kulturen. Dieses gemeinsame Weltkultur-Erbe auch in Zukunft zu erhalten ist eine große Verpflichtung und ein - bisher nicht erkanntes - Potenzial der friedlichen Begegnung mit vielen Menschen und Gemeinschaften der Welt.
Wir haben das Geld und die Sammlungen.
Was (noch) fehlt ist der politische Willen.
Erst mit dem politischen Willen werden diese Begegnungen stattfinden.
These 09 - Sammler - Kuratoren - Wissenschaftler sind sich fremd
Die Herangehensweise von Sammlern, Wissenschaftlern und Museumskuratoren ist sehr unterschiedlich. Die Personengruppen sind sich weitgehend fremd, regelmäßige Kontakte sind selten.
Die fehlende Zusammenarbeit ist mitverantwortlich für den Niedergang der Völkerkunde in Deutschland. Denn: Politiker benötigen umsetzbare Konzepte.
These 10 - Bundes-Institut zur Koordination
Die Finanzierung und Koordination der
- Bestandserfassung in den jeweiligen Museen,
- Zusammenarbeit der Museen untereinander,
- sowie die Zusammenarbeit von Museen und Forschung
könnte die Aufgabe einer zentralen Einrichtung in Deutschland sein.
Zu koordinieren sind z. B.:
- Ausstellungsprojekte,
- Sammlungsankäufe,
- Feldforschung und Kooperation mit ausländischen Partnermuseen und Partneruniversitäten,
- Veröffentlichung von Ergebnissen und Werbung,
- regelmäßigen Weiterbildung.
Untersuchungen zu Museumsorganisation, Personalstruktur, Werbung, Museumspädagogik etc. sollte auch Gegenstand der Forschung sein.
These 11 - Langfristig angelegte Zusammenarbeit
Gemeinsame Projekte zur materiellen Kultur mit ausländischen Partner-Universitäten und -Museen müssen langfristig angelegt sein, um eine eigene Dynamik zu entwickeln.
These 12 - Museen zu Orten der Begegnung machen
Museen könnten noch stärker Zentren des kulturellen Austausches sein. Neben Magazin, Ausstellungs- und Büroräumen, werden Arbeitsräume benötigt, um mit den Objekten der Sammlungen bei Tageslicht und guter Belüftung arbeiten zu können. Diese Räume müssen durch die Nutzer gestaltbar sein, denn z. B. nicht jeder Mensch dieser Welt arbeitet auf einem Stuhl sitzend.
"Mittelsmann" Hans Himmelheber
Hans Himmelheber war Wissenschaftler und Sammler, schrieb etliche Beiträge für Museumspublikationen und arbeitete an Ausstellungen mit.
Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang (siehe Literaturliste Hans Himmelheber).
Er verkaufte Stücke an Museen und legte Sammlungen an, nicht nur der materiellen Kultur, sondern auch Sammlungen von Fotos, Filmen und Tonaufnahmen. Eine vollständige Liste der Sammlungen gibt es (bisher) nicht, daher seien an dieser Stelle wenigstens die Museen im deutschsprachigen Raum genannt, die nachweislich Stücke und Sammlungen der Provenienz ‚Himmelheber' besitzen: Basel, Berlin, Dresden, Frankfurt am Main, Genf, Lübeck, Stuttgart, Zürich.
Einen Teil seiner Unabhängigkeit erarbeitete er sich durch den Verkauf Afrikanischer Kunstwerke an Museen, Sammler und Händler (z. B. Charles Ratton, Kegel-Konietzko, Weyhe-Galerie).
Aus den Begegnungen von Hans Himmelheber und Helmut Zake ab 1963 - beide lebten in Heidelberg - entstand am 12. Juni 1983 der so genannte "Zake-Kreis" und dann im April 1995 - nach dem Tod Zakes am 4. Februar 1995 - die "Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur e. V.".
Hans Himmelheber war häufig Vortragender und Gast der gemeinsamen Treffen. Er kannte und verband die verschiedenen Welten Universität - Museum - Sammler - Händler.
Gemeinsame Basis dieser Personen sind die Gegenstände der materiellen Kultur Afrikas - insbesondere Masken und Figuren, aber auch Schmuck und teilweise Alltagsgegenstände.
Die Herangehens- und Arbeitsweise ist jedoch unterschiedlich.
Würden wir je einen Sammler, Wissenschaftler und Museumskurator für 14 Stunden in einem Raum mit mehreren hundert Büchern und hunderten Afrikanischen Masken/Figuren einsperren, mit der Aufgabe ein fachliches Thema zu bearbeiten, so könnte folgendes geschehen:
- Der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin beginnt interessiert und konzentriert damit die Bücher zu vergleichen, sortiert diese in bekannt und unbekannt, sowie interessant und weniger interessant erscheinende, um dann in einer Auswahl zu lesen. Am Ende ist sie oder er von vielen aufgeklappten Büchern umgeben und hat sich viele Notizen gemacht. Gezielt wurden einige Figuren und Masken ausgesucht, die in Büchern erwähnt sind. Das Konzept für eine jahrelange Beschäftigung mit dem Thema ist angelegt und harrt der weiteren gründlichen Bearbeitung.
- Die Sammlerin oder der Sammler rennt stundenlang unermüdlich zwischen den Stücken hin und her. Immer wieder greift er erregt nach einer Maske oder Figur, murmelt etwas vor sich hin, starrt minutenlang, um dann - fast zärtlich - eine Kontur nachzufahren. Erblickt er oder sie ein unbekanntes Stück fährt ein begeisterter bis ungläubiger Ruck über das Gesicht und durch den Körper. Am Ende ist er oder sie von einer Auswahl der ‚Lieblingsstücke' umstellt und hat in einigen aufgeschlagenen Fotobänden vergleichende Fotos rausgesucht und die Bücher neben die Stücke platziert. Geschrieben wurde kaum etwas, gelesen hat er vor allem die Bildtexte mit den Kurzbeschreibungen.
- Der Museums-Kurator oder die -Kuratorin erfasst mit einem Blick die übergroße Menge der Objekte, guckt auf die Uhr - nur noch 13 Stunden und 55 Minuten -, greift zielsicher nach einem Ausstellungskatalog früherer Jahre, um die repräsentativen Stücke für eine Ausstellung auszuwählen und sucht vor allem nach ihm bekannten Stücken und Büchern. Am Ende hat sie oder er die ‚wichtigsten' Figuren und Masken sortiert, drei Bücher ausgewählt und auf mehreren Blättern ein Ausstellungskonzept entworfen.
So verschieden sie an die Sache selbst herangehen, eines haben Sammler und Wissenschaftler bzw. Kuratoren gemeinsam:
sie wundern sich jeweils über die andere Gattung und verstehen deren eigenartige Verhaltensweise nicht.
(Typenbildung und Verallgemeinerungen haben zwar den entscheidenden Nachteil, dass sie uns in Reinform nie begegnen, jedoch den Vorteil, dass durch die Übertreibung etwas eindrücklicher gesagt werden kann.)
A. MUSEUM
Seit 2002 habe ich etwa 200 Arbeitstage in den Magazinen von 40 Europäischen Museen verbracht, Ausstellungsbesuche und Tagungen nicht mitgerechnet. Etwa 170 Tage betrafen Amazonas-Federschmuck und ca. 30 Tage Afrika. Bei diesen Besuchen sprach ich mit etwa 70-80 Personen auch über ihre Arbeit.
Die großen Völkerkundesammlungen in deutschen Museen sind (Maßstab ist die Qualität der Sammlungen): Berlin, Bremen, Dresden, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Göttingen, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, München, Stuttgart. Selbst mittlere Sammlungen wie z. B. in Braunschweig, Kiel, Marburg, Nürnberg, Sankt Augustin, Tübingen verfügen über einzigartige Spezial-Sammlungen und Einzelstücke.
Fazit: Die Magazine deutscher Museen sind übervoll mit sehr guten Sammlungen und Einzelstücken.
Eine derartige Streuung und Menge völkerkundlicher Sammlungen hoher Qualität und Seltenheit gibt es in keinem anderen europäischen Land (vergleichbar ist möglicherweise England, dort war ich noch nicht). An mindestens zwanzig Orten sind flächendeckend überall in Deutschland weltweit wichtige Ethnologische Sammlungen vorhanden. In mindestens 20 weiteren Museen sind kleinere Sammlungen nachweisbar.
Diese Vielfalt ist etwas Besonderes und Erhaltenswertes!
Eine zentrale Erfassung der Sammlungen gibt es derzeit nicht. Ein unglaubliches Versäumnis. ebenso wenig gibt es eine zentrale Betreuung bei Erhalt und Erfassung.
In den Dauerausstellungen und den wenigen Sonderausstellungen wird nur ein Bruchteil der Magazinbestände gezeigt. Ich habe in den Magazinen etliche überraschende Stücke gesehen, die - teilweise - noch nie ausgestellt waren.
Fehlt die Neugier der Zuständigen diese Stücke zu suchen oder der Mut diese zu zeigen? (um dann selbstverständlich die Prügel berufener Sammler und Fachkollegen zu beziehen, weil ein so genanntes ‚zweifelhaftes' Stück darunter ist.)
Wer den Reichtum Deutscher Museen genießen möchte, dem sei alle zwei bis drei Jahre eine Reise in die Schweiz empfohlen, nach Zürich in das Rietberg-Museum. In Sonderausstellungen sind hier Stücke Deutscher Museen zu sehen, die bei uns selten oder nie gezeigt werden.
Übrigens werden sie bei gemeinsamen nationalen und internationalen Ausstellungen stets ein ehemals bedeutendes Museum vermissen: das Hamburger Völkerkundemuseums.
Der Auftrag der Museen ist:
Sammeln - Bewahren - Auswerten - Vermitteln
(Hier möchte ich auf die verschiedenen Schriften der ICOM verweisen, Pflichtlektüre für jeden Museumsfreund.)
Sammeln
Welches Museum sammelt heute noch?
Die Sammlungen Afrikanischer Figuren und Masken in Deutschland wurden was Qualität und Quantität betrifft, im wesentlichen zwischen 1880 bis 1914 angelegt. Zwischen 1918 und 1935 gab es noch Eingänge ganzer Sammlungen. Nach 1945 wurden überwiegend Einzelstücke angekauft oder geschenkt. Dass ein Sammler seine Sammlung einem Museum vermacht - z. B. Klaus Clausmeyer im Jahr 1966 dem Kölner Rautenstrauch-Joest Museum -, war und ist extrem selten. Bedenken sollten wir, dass in dieser Zeit viele Amerikanische und Französische Museen sehr wichtige Bestände erworben haben.
Bewahren
Die großen Museen schaffen es - teilweise mehr schlecht als recht - die magazinierten Stücke in dem vorhandenen Zustand zu erhalten. Kleine und mittlere Museen sind mit dieser Aufgabe bereits überfordert, denn: Geld und Personal hierfür ist nicht vorhanden.
Rechnet man zum Bewahren auch das einmalige, systematische Prüfen und Restaurieren der Bestände, so können wir bei keinem Museum von Bewahren sprechen.
Auswerten und Vermitteln
Für diesen wissenschaftlichen und pädagogischen Teil der Museumsarbeit gibt es den Kurator oder die Kuratorin.
Welche Fähigkeiten sind Voraussetzung für eine Anstellung?
- Studium an einer Universität (am besten Promotion)
- Volontariat an Museen
- Fremdsprachenkenntnis und eventuell Feldforschung
Die intensive Beschäftigung mit Figuren und Masken kommt im Studium nicht vor. Das ‚Sehen' von Unterschieden, das Beachten von Kleinigkeiten wurde nicht geschult; eine feine optische Wahrnehmung ist jedoch die Grundlage für das Empfindenkönnen von Qualitätsunterschieden. Einen Lehrstuhl, dessen Lehrinhalte sich an den Anforderungen der ethnologischen Museen orientieren, gibt es in Deutschland nicht. Materielle Kultur ist weder Inhalt noch Ausgangspunkt universitärer Forschung oder Wissensvermittlung. Auch Wissen über handwerkliche Techniken wird nicht mehr gelehrt.
Erfüllt er oder sie das Profil und wird angestellt, so ergeben sich folgende Probleme:
Wer jahrelang bestenfalls z. B. über die "Beschneidungsrituale der Mende", oder die "Maskentänze der Urhobo" gearbeitet hat, steht im Magazin vor den materiellen Erzeugnissen eines ganzen Kontinentes und ist durch ‚Amt und Würden' ab sofort ‚Afrika-Spezialist'. In den mittelgroßen Museen sogar Spezialist für ‚alles Ethnologische'. Ein sinnloser Anspruch, den es z. B. hinsichtlich der Kunst Europas in keinem Museum gibt, hier ist man bestenfalls Spezialist für einen Zeitabschnitt oder eine Region.
Magazine sind keine Wohnzimmer, meist sind diese in Kellern oder Dachböden untergebracht, ohne Tageslicht und mit künstlicher Belüftung. Dies dient dem Erhalt der Stücke. Das Arbeiten in diesen ‚lebensfeindlichen' Räumen ist jedoch kein Vergnügen. Kein Wunder, dass ich bei meinen Magazinbesuchen mehrmals - vor allem ältere -Kuratoren erlebte, die anscheinend etliche Stücke das erste Mal in ihrem Leben sahen und, die den Besuch im eigenen Magazin als etwas Beunruhigendes empfanden.
(Angegliederte Arbeitsräume mit Tages-Licht und Tages-Luft zum temporären Arbeiten mit einer Auswahl von Stücken wären z. B. eine Lösungsmöglichkeit.)
Hat sie oder er sich von dem Kultur- und Mengen-Schock erholt, wird der Kurator bzw. die Kuratorin häufig verbeamtet und arbeitet ab jetzt im wesentlichen allein, ohne den wissenschaftlichen Austausch mit den Universitäten und ohne die institutionalisierte Zusammenarbeit mit FachkollegInnen in anderen Museen.
Natürlich gibt es andere KollegInnen: Restauratoren/innen, Handwerker, Sammlungsverwalter, Kuratoren anderer Kontinente (Amerika, Asien etc.), Sekretärin, Öffentlichkeitsarbeiter, Volontärinnen, Direktor oder Direktorin und darüber die unsichtbare öffentliche Verwaltung und Hierarchie.
Spätestens nach zwei Jahren - wenn die Dankbarkeit, dass sie oder er als Ethnologe überhaupt eine Stelle gefunden hat, abgeklungen ist und die Probezeit beendet bzw. die Verbeamtung vollzogen ist - stellt der Kurator oder die Kuratorin fest:
"Als Wissenschaftler angefangen und in einer Behörde angekommen."
Zahlreiche Rituale großer Behörden finden sich - wenig überraschend - auch in den Museen. In der Kolonialzeit wesentlich geprägt, haben sich die Organisationsstrukturen seitdem nur unwesentlich verändert. Boshaft könnte man sagen: die völkerkundlichen Museen haben nicht nur die Haupt-Sammlungsbestände aus der Kolonialzeit durch zwei Weltkriege in die Gegenwart gerettet und bewahrt (eine wirklich großartige Leistung!), sondern auch die kolonialen Organisationsstrukturen.
Zuletzt zu den unsichtbaren Lenkern und finanziell Verantwortlichen: die
Die Träger der Museen
In jedem Bundesland und fast bei jedem Museum sind die Eigentumsverhältnisse unterschiedlich. Teils eine Folge der Entstehungsgeschichte des jeweiligen Völkerkundemuseums, teils eine Folge unseres föderalistischen politischen Systems. Gemeinsam ist allen Trägern, dass sie bestenfalls den Erhalt des jeweiligen Museums organisieren, nur ein halbes Auge und Ohr für die Nöte derjenigen haben, die die Sammlungen erhalten sollen, und keinerlei Vorstellung davon, wohin die ‚Reise gehen könnte'. Politiker und Träger der Museen schwanken zwischen Unverständnis, Desinteresse und hilfloser Aktivität.
Ein Beispiel für Letzteres ist die Planung von Baumaßnahmen. Der Um- oder Neubau wird dann doch meist nicht oder wenn, dann ganz anders ausgeführt. Welcher Ethnologe hat hier Fachkenntnisse in seinem Studium oder Berufsleben erworben? Mit diesen Arbeiten wurden und werden Generationen von Kuratoren und Direktoren verschlissen und viel Geld zum Fenster rausgeschmissen.
Ein anderes Beispiel, welches die Ratlosigkeit dokumentiert, ist die häufige und sinnlose Beauftragung von Unternehmensberatern zur Erstellung von Gutachten. Die Ergebnisse sind lächerlich und (deswegen?) meist geheim. Sonderausgaben für den Museumsalltag zu beantragen, ist inzwischen schwieriger, als das Geld für die mehrfach teureren Berater zu erhalten. (Ein Berater, der nicht wenigstens 3-5 Jahre in dem zu beratenden Bereich gearbeitet hat, kann nur zufällig Wesentliches beitragen.)
Übrigens habe ich hier in München Betriebswirtschaftslehre (Schwerpunkt Organisation und Planung), Ethnologie und Politikwissenschaft studiert. Anschließend folgten drei Jahre bei der Firma Siemens, dann Promotion an der Universität Bremen (Informatik, Prof. Klaus Häfner). Seit 15 Jahren bin ich selbstständiger Unternehmer.
Dass es auch anders geht, habe ich bei meinen Besuchen in Frankreich und den Niederlanden gesehen. Hier meine ich weniger das in letzter Zeit viel zitierte Pariser ‚Musee du quai Branly', sondern die abgestimmte Strategie in diesen Ländern hinsichtlich der Erfassung und Dokumentation der außereuropäischen Sammlungen in Museen. Mein positivstes Beispiel ist das - bereits genannte - Museum Rietberg in Zürich.
Warum gibt es das in Deutschland nicht?
Was früher Überlegenheitsgefühle, Verachtung und Gewalt gegenüber den außereuropäischen Kulturen war, ist heute Gleichgültigkeit gegenüber den magazinierten Sammlungsbeständen und Missachtung der vielen Einflüsse dieser Kulturen auf unseren heutigen Alltag?
Ich hoffe und glaube das nicht.
Wir spenden Altkleider und Geld in die ‚Dritte-Welt', statt ‚copy-right'-Gebühren an diese Länder zu zahlen für all die musikalischen, tänzerischen, gestalterischen, philosophischen Einflüsse, die unsere Lebensqualität verbesserten und verbessern.
Von den Beständen in unseren Museen könnte eine dauerhafte weltweite Zusammenarbeit ausgehen. Denn wir bewahren in unseren Museumsmagazinen das kulturelle materielle Erbe einer Vielzahl von Stammesgemeinschaften, Völkern und Kulturen. Dieses gemeinsame Weltkultur-Erbe ist ein großes Potenzial der friedlichen Begegnung mit vielen Menschen und Gemeinschaften der Welt. Wir haben das Geld und die Sammlungen, was uns (noch) fehlt ist der politische Willen. Dann werden diese Begegnungen nicht stattfinden.
B. UNIVERSITÄT
Trotz der internationalen Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit wurde Hans Himmelheber nie auf einen Lehrstuhl berufen. Auch ein Lehrstuhl für "Kunst-Ethnologie bzw. Materielle Kultur bzw. Museumsstudien" wurde nicht errichtet.
Masken und Figuren sind bis heute kaum Thema der universitären Afrika-Forschung in Deutschland. Eine konsequente Ausbildung für die spätere Arbeit in den Museen findet nicht statt. Alle derzeitigen Versuche einzelner Personen an Lehrstühlen bei geringster Unterstützung seien ausdrücklich gewürdigt !!
Konkurrierende Forschung, wie in anderen Bereichen der Wissenschaft üblich, ist im Bereich der Ethnologie die Ausnahme. Es ist wie bei den Kunsthistorikern, jeder findet seine Nische, nur sie oder er ist dort Experte. Wer feldforschend tätig war oder ist, besetzt seine Nische derart erfolgreich, dass 30 Jahre - bis zur Pensionierung - keine Forschung mehr in diesem Bereich stattfindet.
Dies erzeugt eine Menge kleiner Päpste, die nicht mit- bzw. gegeneinander diskutieren. Wissenschaft ohne Diskussion, ist bestenfalls guter Monolog und schlimmstenfalls Stillstand bzw. gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit. Die Ethnologie ist zur Ethno(theo)logie geworden ... und keiner hat's gemerkt.
Systematische langfristig angelegte Feldforschung und gemeinsame langjährige Projekte zur materiellen Kultur mit Universitäten Afrikanischer Länder und eine regelmäßige Zusammenarbeit Deutscher und Afrikanischer Museen gibt es nicht und hat es - zumindestens in Deutschland - ohnehin nie gegeben. Aus einem anderen Forschungsbereich ein Zitat zum besseren Verständnis, was ich mit ‚systematisch' meine (ich habe ein paar Worte gestrichen):
"Das von Mitarbeitern ... seit den 1980er Jahren besuchte Forschungsgebiet ... ist leicht hügelig ... Die Station besitzt ein Gästehaus für etwa sechs Personen ... Bis heute wurden mehr als 150 Publikationen über die ... veröffentlicht und zahlreiche Diplom- und Doktorarbeiten verfasst. Die Gästeliste der Station ist dementsprechend lang. ... Von zahlreichen Wissenschaftlern erhielt die Sammlung über Jahrzehnte hinweg aufgesammeltes, sehr umfangreiches Material aus dieser Region ... das in ihren Magazinen zur weiteren Bearbeitung und Dokumentation aufbewahrt wird. Die jährlich in ... stattfindenden Studien erfolgen in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verschiedener Institutionen Deutschlands und anderer Länder."
Jetzt die ‚Millionen'-Frage: Welches ist der zitierte Bereich?
Panguana eine Bayrische Urwaldforschungsstation (Peru)
in AVISO 1/2007, S. 46-49
http://www.panguana.de/index.html [Nicht mehr verfügbar 07/2011]
Zoologische Staatssammlung Muenchen: http://www.zsm.mwn.de/panguana/publications.htm
Nicht, dass ich schlecht finde, dass in derartige Forschung investiert wird. Im Gegenteil, das ist unbedingt notwendig. Aber warum sind uns Flora und Fauna wichtiger als unsere Mitmenschen?
Dass die Artenvielfalt schwindet, ist tragisch und unbedingt ein Thema, dass die Menschen- und Kulturvielfalt längst dramatisch geschwunden ist, und viele kleine Stammesgemeinschaften und Völker heute um ihr kulturelles Überleben kämpfen, wird hingenommen, fällt wenigen auf und wird mit keinem groß angelegten Programm erforscht.
Auch im Rahmen des gerade diskutierten ‚500-Millionen-Programms' der Bundesregierung ist hiervon nicht die Rede.
Interessant übrigens, dass die, im Bereich der Panguana-Station lebenden, Indigenen (Campa bzw. Ashaninka) zwar erwähnt werden, aber nicht in die Forschung einbezogen sind ... und das seit fast 30 Jahren.
Während die universitäre Forschung kaum noch einen Beitrag für die Museen leistet, bleibt aus Sicht der Museen sehr viel zu tun:
- Bis heute hat nur ein deutsches Museum Stücke und teilweise Sammlungsunterlagen systematisch digital erfasst und fotografiert.
- Die Stücke und Sammlungsunterlagen sind nicht im Internet öffentlich zugänglich.
- Empirische Untersuchungen zur Organisationsstruktur, Personalpolitik, Museumskonzepten, finanziellen Situation etc. der Museen gibt es nicht.
- Nur wenige Stücke werden jemals ausgestellt, etwa 90-100 % lagern in den, nicht öffentlich zugänglichen, Magazinen und sind nur teilweise wissenschaftlich bearbeitet.
Die Finanzierung und Koordination der Zusammenarbeit der Museen untereinander, sowie von Museen und Forschung bei
- gemeinsamen Ausstellungsprojekten,
- Sammlungsankäufen,
- Feldforschung und Kooperation mit ausländischen Partnermuseen und -universitäten,
- Weiterbildung, könnte die Aufgabe einer zentralen Einrichtung in Deutschland sein.
C. SAMMLER
.. sind die Menschen, die freiwillig Geld für ihre ‚völkerkundliche Arbeit' ausgeben; im Unterschied zum Universitäts- und Museumspersonal, welches Geld durch diese Arbeit verdient.
Seit 1988 bin ich Sammler von Stücken aus Ozeanien, Afrika, Asien und Südamerika. Ich spreche also auch aus eigener Erfahrung.
Folgende Eigenschaften können sie oder ihn kennzeichnen:
- Begeisterung bis hin zur Besessenheit für das Sammelgebiet.
- Optische (Augen) und haptische (Hände) Erregung beim Anblick von Gegenständen des Sammelgebietes.
- Aneignungstrieb
Der intensive Wunsch ein Stück zu erwerben und zu besitzen. - Verzichtsbereitschaft
Ein(e) Sammler(in) hat nie genug Geld, um die Stücke zu erwerben, die sie/er gern hätte. Häufig ist das Geld bereits ausgegeben, bevor es verdient wurde. Sammeln bedeutet daher Konsumverzicht. - Risikobereitschaft
Ein Vergleich: Wer mit dem Sammeln beginnt, springt allein ins Wasser ohne Schwimmen gelernt und ohne die Temperatur des Wassers geprüft zu haben. Meist weiß er nicht einmal, dass man im Wasser schwimmen muss, um nicht unterzugehen. - Suchverhalten bei Erwerb und Besitz
Wer sammelt, ist immer oder periodisch wiederkehrend auf der Suche nach neuen Stücken und neuen Erkenntnissen zu bereits gesammelten Stücken. Das Suchverhalten beim Besitz äußert sich im regelmäßigen Wiederentdecken von Stücken der eigenen Sammlung, d h. diese werden in die Hand genommen, verglichen, in Büchern gesucht etc. Mit den Jahren erhalten die Stücke dadurch eine typische Sammler-Patina. - Präsentationsbedürfnis
Wer sammelt, möchte seine Sammlung zeigen.
Hier gibt es unterschiedliche Typen (A bis C):
- "Meine Sammlung"
d.h. der Sammler überlässt dem Besucher weitgehend das Besichtigen der Sammlung, er zeigt einzelne Stücke und beantwortet Fragen. Ab und erzählt er leidenschaftlich eine Geschichte, wann, wo und wie ein Stück entdeckt und erworben wurde. - "Meine Sammlung und ich"
Der Sammler übernimmt die Führung durch die Sammlung und erläutert von jedem Stück, wann und wo es von ihm erworben wurde. Ab und zu erwähnt er ein Preisniveau im Sinne von teuer, sehr teuer oder sehr günstig. - "Ich und meine Sammlung"
Der Sammler führt durch seine Sammlung, vergleicht die gezeigten Stücke jeweils mit anderen Sammlungen und verwendet häufig Begriffe wie "Weltgeltung, das schönste Stück der Welt, nur noch zwei weitere Stücke weltweit etc.". Einkaufspreise werden immer wieder exakt genannt, ebenso die Namen bekannter Händler und Auktionshäuser.
Übrigens: Weibliche Sammler vom Typ C sind mir bisher nicht begegnet.
Das vielleicht wichtigste Problem eines jeden Sammlers ist der ewige Zweifel an der Echtheit und Qualität von Stücken der eigenen Sammlung: Zweifel, die "Echt oder Falsch"-Kommunikation und das ‚Provenienz'-Problem
Nur ganz selten kann ein Sammler bei der Herstellung des gesammelten Stückes anwesend sein. Daher ist in der Regel weder der Hersteller, noch der exakte Ort und Zeitpunkt der Herstellung bekannt. Unsicher ist auch fast immer die Ausreise des Stückes aus Afrika und der Eintritt in die westliche Welt. Das Wort ‚Provenienz' wird in diesem Zusammenhang sehr verkürzt verwendet für die Ahnengalerie Nicht-Afrikanischer Eigentümer des Stückes; richtiger wäre es das Wort für die Afrikanische regionale und zeitliche Herkunft zu verwenden. Da die Provenienz oder Herkunft unsicher ist, ist der Zweifel permanenter Begleiter des Sammlers. Nicht verwunderlich daher, dass unter Sammlern das wichtigste Thema "Echt oder Falsch" bzw. "authentisch" ist.
(Die echten Stücke befinden sich meist in der eigenen Sammlung, während die Gefälschten in den Sammlungen anderer zu suchen sind.) Ich möchte hier gar nichts zum Thema "Echt oder Falsch" selbst sagen, das ist - meiner Meinung nach - wissenschaftstheoretisch bezüglich der Frage "Was ist Wahrheit?" bereits im 20. Jahrhundert befriedigend diskutiert worden durch Sir Karl Popper und Paul Feyerabend.
Sehr verkürzt gesagt:
- Die Suche nach Wahrheit ist zwar möglich, der endgültige Beweis einer Wahrheit selbst jedoch nicht (Verifikation).
- Thesen sind jeweils so lange gültig, solange diese nicht widerlegt bzw. falsifiziert sind (Falsifikation).
Es ist der Zweifel, der ein Sammlerleben dominiert und das ist gut, denn ohne Zweifel keine Erkenntnis eigener Fehler und kein Lernen. Und: wer sammelt, muss schnell aus seinen Fehlern lernen, wenn er beim - möglicherweise notwendigen - Verkauf von Stücken nicht feststellen will, dass diese unangemessen teuer gekauft oder in den Augen anderer wertlos sind.
Die Kommunikation zum Thema "Echt-Falsch" wird bisweilen mit einem heilig-zornigen Eifer geführt, den, zufällig Anwesende, vom Thema nicht ergriffene Dritte, fälschlicherweise als anmaßend, überheblich, aggressiv und verletzend empfinden. Ursprünglich verantwortlich für die Art der Kommunikation ist, wie gesagt, der jahrelang einsam genährte Zweifel und die zermürbende Verzweiflung angesichts der nicht lösbaren Provenienz-Rätsel. Wir müssen glauben, um weiter sammeln zu können, d.h. der Sammler entwickelt eine ‚ethno-theologische' Grundhaltung.
An dieser Stelle habe ich mich schon manches mal gefragt: Was ist schlimmer?
Ein falsches Stück nicht zu erkennen und als möglicherweise echt zu bezeichnen oder ein echtes, gutes Stück als Fälschung abzustempeln und dadurch möglicherweise zu dessen Untergang beizutragen?
Entspannen können wir uns, wenn wir bedenken, dass
- es das Stück selbst ist, das auf uns wirkt und nicht irgendeine ‚Provenienz';
- wir nicht die Hersteller der Stücke sind, sondern diese durch unsere Begeisterung würdigen;
- wir nur die zeitweiligen Bewahrer der Stücke sind, und der schwächste Bestandteil unserer Sammlung, denn die einzelnen Stücke werden uns meist überleben; (In der Regel werden Sammlungen nicht mehr mit dem Sammler beerdigt.)
- viele Stücke irgendwann in Museen kommen und dort in den Regalen der Magazine schlummern, bis irgendein begeisterter Mensch sie für seine Zwecke (Ausstellung, Forschung etc.) wiederentdeckt.
EPILOG
Entscheidend ist nicht der persönliche Besitz, sondern unsere gemeinsame Begeisterung für das Weltkulturerbe eines anderen Kontinentes.
Audiomitschnitt des Vortrags
Vortrag bei Frühjahrstagung 2008 der Vereinigung der Freunde Afrikanischer Kultur in München (Staatliches Museum für Völkerkunde), 30. Mai bis 1. Juni 2008 - Ulrike und Hans Himmelheber - Leben und Schaffen
redigiert: 07-2008.