Dr. Andreas Schlothauer-Grünberg, Westerende 7a, 25876 Schwabstedt, Tel. 04884 / 9450, Fax: 04884 / 9452
An
Bernd Sachse
Bürgermeister der
Hansestadt Lübeck
Rathaus
Breitestr. 62
23539 Lübeck
31.8.2002
Sehr geehrter Herr Sachse,
der Ausstellungsbetrieb der Völkerkundlichen Sammlung Lübeck soll - wie ich bereits vor Monaten hörte - geschlossen werden. Ich habe lange überlegt, ob ich mich als Nicht-Lübecker (nur Schlesweig-Holsteiner) hierzu äußern soll.
Ich denke ja, denn etliche Stücke der Sammlung - die ich als Fachmann und Sammler sehr gut kenne - haben internationale Bedeutung. Selbst große Museen in Deutschland wie Berlin, Hamburg, München oder Stuttgart hätten etliche der Stücke gern in ihrem Bestand.
Diese Stücke sind Weltkunst, deren Besitz für den Eigentümer eine Verpflichtung zum Erhalt, der wissenschaftlichen Bearbeitung und der Ausstellung ist.
Als weltoffene Handels- und Hafenstadt hatte Lübeck immer Kontakt mit anderen Völkern. Die Anfänge der völkerkundlichen Sammlung liegen im 18. Jahrhundert, das Völkerkundermueseum am Dom wurde 1893 eröffnet. Weit mehr als 100 Lübecker - davon viele jüdische Mitbürger - haben durch Spenden und Stiftungen zum Aufbau dieser bedeutenden Sammlung beigetragen.
Und das soll damit enden, daß alles im Archiv verschwindet?
Julius Carlebach
Ihnen ist wahrscheinlich nicht bekannt, daß sich eine der wichtigsten Sammlungen von Judaica in Deutschland in ihrem Museum befindet; gesammelt durch den weltberühmten Lübecker, später New Yorker Kunst- und Ethnografikahändler Julius Carlebach (Enkel des Rabbiners Salomon Carlebach) und finanziert u.a. durch die jüdische Gemeinde.
Günter Tessmann
Der Lübecker Günter Tessmann konnte 1907-1909 in Afrika ein Sammlung zusammentragen und später wissenschaftlich dokumentieren, wie sie weltweit für die Ethnie der Fang einmalig ist. So einmalig, dass im Fotoband der Ausstellung des Pariser Museums Dapper im Jahre 1991/92 das Buch von Tessmann auf französisch übersetzt und nachgedruckt wurde. In diesem Band sind auch etliche Stücke der Lübecker Sammlung veröffentlicht.
Diese Auflistung läßt sich fortsetzen, an Bedeutung mangelt es der Sammlung nicht. Die Ausstellungen der letzten Jahre waren hervorragend und haben Sammler aus ganz Deutschland zu einem Besuch der Stadt Lübeck bewegt.
Betriebswirtschaftlich betrachtet ist dieses Museum wahrscheinlich das Rentabelste aller Lübecker Museen:
- das Gebäude ist vorhanden und leicht erreichbar;
- die Sammlung besteht, es müssen keine neuen Stücke angeschafft werden;
- die Ausstellungen sind preiswert organisiert und gestaltet.
Eine Schließung der Ausstellung ist jedoch allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich.
1934 wurde in einem Vertrag zwischen der ‚Gemeinnützigen' und der Stadt Lübeck die Sammlung mit Rechten und Pflichten übergeben. Dieser Vertrag bindet die Stadt auch heute noch. Hinzu kommt, daß etliche der Stiftungen und Schenkungen zweckgebunden waren, beispielsweise die Spende 1969 von Hr. Christern über 135.000,- DM oder 1984 von Rudolfo Groth über 700.000,- DM.
Das Zeughaus wurde mit dieser zweckgebundenen Spende für den Ausstellungs-betrieb der Völkerkunde restauriert.
Die Zuschüsse von Bund und Land (830.000,- DM) für den Umbau 1981-87 waren ebenfalls an einen Zweck gebunden.
Es ist sehr zweifelhaft, ob die derzeitige Unterbringung einer zweckfremden Behörde in einem Teil des Gebäudes überhaupt zulässig ist.
Als Betriebswirt und selbstständiger Unternehmer kann ich das Ziel zu sparen nur befürworten. Hierfür sehe ich durchaus Ansatzpunkte. Die Schließung des Ausstellungsbetriebes bedeutet jedoch lediglich, daß die Einnahmen auf Null reduziert werden, die Kosten für Gebäude und Sammlungsbetreuung jedoch bestehen bleiben. Auch deswegen scheint mir dies die schlechteste aller Gestaltungsmöglichkeiten zu sein.
Auf eine Antwort und eine konstruktive Diskussion im Sinne von Sparen und Erhalt des Ausstellungsbetriebes freue ich mich.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Schlothauer